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Brückenschläge und Schlagworte

Bristol

Morgens fahre ich von Herne Hill zur Victoria Station und steige in die Bahn nach Bristol. England zeigt sich mir von seiner schönsten Seite, mit Sonnenschein und kleinen Schleierwölkchen am Himmel. Kurz vor Bristol fahren wir durch Bath. Ich hänge so sehr an der Fensterscheibe, dass ich meine, sie müsste unter meinem Blick zerspringen. Wunderschön erheben sich die Kathedrale und die vielen steinernen Häuser aus der grünen Landschaft. Wenn ich das nächste Mal hier bin, steige ich hier aus, so viel ist sicher.

Als der Zug in Bristol Temple Meads einfährt, sind die Aussichten aus dem Fenster zunächst weniger spektakulär – aber dann steige ich aus und drehe mich vor dem Bahnhofsgebäude um. Alexa hat mir schon erzählt, dassTemple Meads aussieht wie eine kleine Version der Houses of Parliament, und sie hat nicht untertrieben.

Mit dem Bus fahre ich nach Clifton, wo meine Konferenz stattfinden wird. Ich finde das Haus ohne größere Schwierigkeiten – und es ist wunderbar! Mein Zimmer hat einen flauschigen Teppichboden, einen Schreibtisch, ein gemütliches Bett und einen phantastichen Blick über einen großen Garten mit uralten mächtigen Bäumen, die sich schon in herbstliches Gewand kleiden. Ich mache mich gleich wieder auf den Weg, um ein bisschen herumzulaufen.
Steile Hügel geht es immer weiter abwärts, der Nase nach die schönsten Straßen entlang. Mir kommen viele Kinder und Jugendliche in Schuluniformen entgegen, auch das rührt mich irgendwie an und erinnert mich an Jugendbücher, die in englischen Internaten spielen. Es gefällt mir, alle sehen so schick aus. Ich sehe schließlich Wasser und Schiffe, und es riecht ein bisschen nach Hafen. Auf einer kleinen Terasse eröffnet sich mir ein Blick, der mir eine neue Seite von England zeigt – neben grüner sanfter Weite und der Geschäftigkeit im imposanten, geschichtsträchtigen London finde ich hier nun die Industrieromantik einer Hafenstadt.
Natürlich muss ich einmal ganz nach unten laufen, aber es gibt dort nicht allzu viel zu sehen, also muss ich den steilen Berg wieder hochsteigen, und das ist wirklich anstrengend in der ziemlich warmen Herbstsonne. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass Menschen in Bristol alle ziemlich dünn und ziemlich fit sein müssten, wenn die hier ständig auf und abklettern müssen. Ich lande in einer Ladenstraße und kaufe mir in einem urigen Eisen- und Gemischtwarenladen einen Adapter, denn ich habe vorher völlig vergessen, dass die Steckdosen hier anders sind. Man hat sich ja schon so daran gewöhnt, dass man sich auf eine Reise nicht mehr vorbereiten muss, das ist wie mit dem Euro. Als ich vor zwei Jahren in die Ukraine fuhr, fiel mir erst im Flugzeug ein, dass ich noch nicht einmal wusste, wie die Währung dort heißt. Das ist mir mit England immerhin nicht passiert. Ich finde es grundsätzlich spannend, in einem Land zu sein, in dem mir einige Dinge aus Film und Literatur bekannt ist, und die dann tatsächlich in der Realität vorzufinden. Marks and Spencer zum Beispiel, und WHSmith.
Nach der Kraxelei finde ich, dass ich mir ein Getränk verdient habe. Ich betrete also einen Coffeeshop und bestelle mir ein Mangoshake. Der freundliche Kellner hinter der Theke kassiert und fragt, während er meine Bestellung zubereitet: „And how are you this afternoon?“ und lächelt mich freundlich an. Ich bin ein bisschen überrascht. In London waren die Leute im Service zwar höflich, aber doch sehr distanziert und professionell. „I’m good, I’m enjoying being away from home,“ antworte ich. „Where’s home?“ – „Germany.“ – „Really?? I didn’t catch that, I thought you were from Canada!“ Wenn mich Englischmuttersprachler für eine Muttersprachlerin halten, gehört das zu meinen liebsten Komplimenten. Ich strahle. 
Draußen vor dem Cafe sitze ich mit meinem Notizbuch und versuche, meine Eindrücke in eine Form zu bringen, da fährt ein Big-Issue-Verkäufer auf seinem Fahrrad vorbei und möchte mir eine Ausgabe verkaufen – das ist so etwas wie in Berlin der Straßenfeger oder in Hamburg Hinz & Kunzt. Ich habe am Tag zuvor schon eine Big Issue in London gekauft und lehne dankend ab, komme aber dennoch mit dem jungen Mann ins Gespräch. Nach fünf Sätzen fragt auch er: „Are you from Canada?“ Das trägt durchaus zu meiner guten Laune bei. Er erklärt mir innerhalb von fünf Minuten, was ich mir alles in Bristol anschauen muss, spricht ein paar ziemlich verquere Sätze deutsch mit mir und verlässt mich mit einem herzlichen Händedruck. Sehr offen scheinen mir die Leute hier zu sein. Ich zücke mein Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. Ein uralter Herr mit Rauschebart geht langsam an mir vorbei, bleibt stehen, sagt: „Talking to the world, are ye. Well, don’t forget about the little green men!“ Er deutet mit seinem Gehstock nach oben. „They’re watching!“
Abends beginnt das Konferenzprogramm mit einem kleinen Theaterstück. Eine australische Historikerin hat in Albanien Interviews mit Menschen geführt, deren Eltern vom Hoxha-Regime umgebracht worden sind. Sie spielt mit einem Kollegen eines der Interviews nach. Eine dunkle, traurige Performance, die mich tief beeindruckt. Am nächsten Tag beginnen die Vorträge und die erste Tageshälfte ist sehr geschäftig. Nachmittags finde ich dann aber nochmals Gelegenheit, mir die Stadt anzuschauen. Ich laufe durch den Brandon Hill Park in Richtung Zentrum.
Ich bin ja immer eher für plattes Land als für Hügel und Berge, aber wie sich diese Stadt so an die Hänge schmiegt, das ist wirklich bezaubernd. Ich laufe zum College Green, an dem die Kathedrale steht. Ich bin hier schon an so vielen Gebäuden vorbeigekommen, die aussehen wie Kirchen und dann doch keine sind – das Unihauptgebäude, die Stadtbibliothek, ein Krankenhaus – dass ich bei der Kathedrale schon kurz überlege, ob sie das nun wirklich sein kann. Im Innern gibt es dann aber keine Zweifel mehr. Das Kirchenschiff ist von Säulen begrenzt, die in hellen Blau- und Goldtönen gehalten sind, aber wenn man um den Chor herumgeht, erinnert die Farbgebung eher an den Bremer Dom – kräftig und warm. Hier hätte ich wirklich gerne einen Gottesdienst besucht, aber das habe ich am Sonntag in London auch noch vor. 
Draußen auf dem Rasen schließe ich eine kurzlebige Freundschaft mit einer Horde Dreizehnjähriger, die alle gleichzeitig versuchen, mir zu erzählen, ob sie schonmal in Deutschland waren, da jemanden kennen oder nicht vielleicht doch die USA viel spannender finden als das europäische Ausland. Dann mache ich mich auf den Weg zum Kern der Altstadt hinüber, weil mir die Zeit bereits davonläuft. Viel zu kurz nur kann ich mich am Wasser und an den Speichergebäuden erfreuen, eine kleine Kopfsteinpflasterstraße zum nächsten Wasserstreifen hinunterlaufen und ein bisschen am Fluss in der Sonne sitzen. Wenn ich in England aufgewachsen wäre, wäre Bristol sicherlich eine Stadt gewesen, in der ich hätte studieren wollen. Klein genug, um alles schnell zu kennen und es nirgendwohin weit zu haben, groß genug, um etwas bieten zu können, und gesegnet mit einem entzückenden Stadtbild. 

Nach dem Abendessen gehen wir mit ein paar anderen Teilnehmern noch auf eine schnelle Abendrunde zur berühmten Clifton Suspension Bridge. Sie gilt als Wahrzeichen der Stadt und wird am Abend herrlich angestrahlt. Mit viel Gelächter und Hilfe unserer Handys versuchen wir auf dem Weg durch den dunklen Park den Weg ein bisschen zu erleuchten, aber als wir schließlich die Brücke vor uns liegen sehen, werden wir alle fast ein bisschen andächtig ruhig.


Ich hätte die Brücke gern auch im Tageslicht bestaunt, aber am folgenden und letzten Konferenztag ist das Programm zu dicht, um noch Ausflüge in die Stadt zu machen. Ich bin jedoch froh, dass ich ein bisschen Gelegenheit hatte, neben London auch eine kleinere englische Stadt kennen zu lernen – Bristol hat mir große Lust gemacht, das Land intensiver zu bereisen.

2 Kommentare

  1. Bristol sieht super aus! Bath kann ich sehr empfehlen, ich war da mal 2 Wochen im Tennis Camp. Und irgendwann lief mal eine Frau als Jane Austen verkleidet über den Tennisplatz. Ich fand's super!

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