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Brückenschläge und Schlagworte

Hauptsache nicht Mitte 30!

Ist es eigentlich normal, dass man sich mit Anfang 30 irgendwie immer noch mit dem Erwachsenwerden auseinanersetzt? Es ist ein Klischee, ein unfassbar ausgelutschter Gemeinplatz, diese Überlegung: „Ich dachte, in meinem Alter hätte ich…“ Trotzdem scheint sich beinahe jeder damit zu beschäftigen. Ich dachte, mit Anfang 30 hätte ich…

… einen Mann. (Oder eine Frau. Und Kinder.)
… einen erfüllenden Job. (Der gut bezahlt ist. Unbefristet.)
… ein Haus. (Mit Garten. Abbezahlt.)

… einen Plan.

Darauf lässt es sich schließlich immer reduzieren. Ich dachte, mit Anfang 30 hätte ich einen Plan. Und dabei hat mir das gesamte Universum der Popkultur versucht, mitzuteilen, dass ich auch mit Anfang 30 keinen Plan haben würde – von Filmen mit Zach Braff über Serien um fünf- bis sechsköpfige Freundeskreise bis zu Liedertexten von Olli Schulz und Gisbert zu Knyphausen.

Und die ewige Frage: Wie solls jetzt weitergehn?
Das weiß ich doch auch nicht!
Gisbert zu Knyphausen

Alle haben mich gewarnt. Und trotzdem habe ich mich darauf verlassen, dass dieses Gefühl irgendwann kommt, dass man sein Leben irgendwie unter Kontrolle hat und angekommen ist, dass man weiß, was man tut, warum man es tut, und dass es so bleiben kann. Dabei geht es ja überhaupt niemandem so, der mir nahesteht. Alle suchen. Alle kämpfen. Zugegeben: manche mehr, manche weniger, manche eher im Job, manche eher privat, aber auf seiner Situation ausruhen will sich keiner. Auch nicht mit Mitte 30. Auch nicht mit Anfang 40.

Die Erkenntnis, dass man vielleicht überhaupt nie so richtig wissen wird, was man tut, und schon gar nicht, warum. Hochinteressant.

Ob das der Grund ist, dass manche Menschen mit dem Altern hadern? Weil sie es nicht ertragen können, dass sie nicht automatisch weiser werden, dass das Leben nicht von allein einfacher wird?

Und wenn ich dich dann frage, was du werden willst
Dann sagst du immer nur: „Ich weiß nicht.
Hauptsache nicht Mitte 30.“
AnnenMayKantereit

Wie uralt Mitte 30 klang, als man 16 war. Irgendetwas musste sich bis dahin ja fundamental verändert haben. Vermutlich Weisheit. Sicherheit. Klarheit im Kopf.

Dachte ich.

Eine Freundin sagte neulich singemäß, dass die Zwanziger der Suche nach dieser Weisheit, Sicherheit und Klarheit gewidmet waren und nun die Phase einsetzt, in der man nach Wegen sucht, die Hilflosigkeit, Unsicherheit und Schwammigkeit zu ertragen. Weil man begonnen hat, zu begreifen, dass kein Zeitpunkt kommen wird, an dem sich alles gefügt hat und einen großen Sinn ergibt – nur weil man zufällig inzwischen auf dem Papier erwachsen geworden ist.

Mein sechzehnjähriges Ich schaut mich an dieser Stelle mit Todesverachtung an, weil ich davon rede, etwas zu „ertragen“. Es will, dass ich kämpfe, mich auflehne und niemals, niemals etwas akzeptiere, schon gar keine Unsicherheit. Mein sechzähnjähriges Ich hat zu allem eine sehr ausgeprägte Meinung, von der es bis aufs Blut überzeugt ist. Und ich weiß nicht, wie ich ihm erklären soll, dass man manche Dinge besser bekämpfen kann, wenn man sie einmal für sich angenommen und die Rebellion dagegen aufgegeben hat.

Vielleicht kann ich mich mit ihm darauf verständigen, dass es gerade der Anfang ist von etwas Neuem. Und dass man sich in keine Lebensphase hineindenken kann, bevor man sie durchlebt. Dass das eigentlich schön ist, weil es bedeutet, dass ich mich immer auf den Moment und die Herausforderungen des Augenblicks konzentrieren darf – und dann mal gucken, wohin die Reise geht.

Ich weiß nicht wie es aufhört
Aber so muss es beginnen
Olli Schulz

2 Kommentare

  1. Faszinierend. Mich beruhigt dieses Gefühl von „Ich werde niemals eine richtige Antwort finden“ ein wenig. Auch wenn ich rebelliere, auch wenn mein unsteter Geist mich weitertreiben will und mir sagt, dass ich mich auflehnen muss und dann die ultimative Wahrheit finden kann – im Endeffekt ahne ich, dass es keine absolute Lösung geben kann. Und das beruhigt mich. Nimmt mir den Druck, mich einfach nur noch mehr auflehnen zu müssen und dann finde ich ihn schon. Den Weg, wie ich alle Bedürfnisse unter einen Hut bekomme und wie nichts hinten herunter fällt.
    Es gibt ihn nicht.
    Ich kann nur versuchen, den Weg zu finden, in dem mir das mit den meisten Bedürfnissen gelingt.

    (Ein Kommentar der Reihe – wie ich mich selbst sortiere, indem ich anderer Leute Texte lese. Schön! <3)

    • bruecken_schlag

      Juli 27, 2015 at 8:41 pm

      Schön, dass du das schön findest – ich finde das auch schön <3
      Und ja, etwas Beruhigendes steckt in diesem Gedanken natürlich auch. Wie so oft ist ja alles eine Frage der Perspektive, gerade was dieses ominöse Ding mit der "Sicherheit" angeht, die irgendwie immer relativer wird, je weiter die Zeit voranschreitet, und von der sich dann bei Leuten Mitte 40 plötzlich herausstellt, dass sie sie doch lieber gegen das Abenteuer eintauschen wollen. Klug beraten ist der, der sich glücklich sagen kann "Ich weiß, das ich nichts weiß" - auch in Bezug auf die eigene Lebensplanung. Mir fällt das nur manchmal verdammt schwer, und mir täte deine Perspektive sicher oft nur zu gut.

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