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Brückenschläge und Schlagworte

In Istanbul ankommen

Vor zwei Jahren schrieb ich: 

Istanbul und ich, das ist die ganz große Liebe. 

Die Aussicht auf ein Wiedersehen ist dementsprechend aufregend. Wie begegne ich dieser Stadt nun? Wird alles wieder, wie es war? Will ich das überhaupt? Lernen wir uns ganz neu kennen oder verfolgen wir alte Muster miteinander? Es ist als hätte ich tatsächlich Schmetterlinge im Bauch.
Meine Cousine Julia und ich fliegen gemeinsam von München. Alles geht irrsinnig schnell, ich weiß kaum, wie mir geschieht. Plötztlich sind wir schon da, haben unser Gepäck vom Band genommen und suchen in der Ankunftshalle des Flughafens Atatürk nach unserem Shuttleservice. Aber es gibt die Agentur nicht, die in unseren Reiseunterlagen angegeben ist. Von allen Seiten werden uns Taxis in die Stadt angeboten, aber wir haben unseren Shuttle schon bezahlt. Von einer anderen Agentur leiht uns ein Angestellter mit etwas muffligem Gesicht sein Handy und wir rufen die Notfallnummer an – keiner antwortet. Wir suchen weiter, und ein zweiter junger Mann kommt uns zu Hilfe. Er ruft selbst bei der Nummer an und hat mehr Glück, auf türkisch spricht er mit jemandem und zeigt uns dann den Weg, und dann geht wieder alles ganz schnell. Die Autofahrt in die Stadt mit dem herrlichen Blick auf das Marmarameer ist im Nu vorbei. Kaum habe ich Zeit, darüber nachzudenken, wie skeptisch ich eben am Flughafen den jungen Männern begegnet bin, die uns ihre Hilfe angeboten haben. Mein Alltag in Deutschland scheint mich zynisch zu machen. Ob Istanbul mir die Chance gibt, wieder ein bisschen vertrauensseliger auf das Leben zu blicken?
Das Hotel liegt in Laleli – was für ein herrliches Wort, weich und fließend wie die türkische Sprache überhaupt. Die Gegend ist allerdings nicht besonders türkisch, stattdessen stehen an den Schaufenstern der zahllosen Boutiquen überall Angebote in kyrillischer Schrift – „Wir nehmen auch Rubel“ – und sogar die Straßenverkäufer preisen uns ihre Waren auf Russisch an. Das Hotelzimmer ist klein, einfach und sauber, alles was man braucht. Uns hält es dort nicht lange, wir laufen gleich los. 
An der Universität vorbei geht es auf verschlungenen Pfaden durch kleine Gässchen mit absurdem Verkehr hinüber nach Eminönü – immer Richtung Wasser. Hier hängen in den Schaufenstern ganze ausgeweidete Tiere, der frische Orangensaft wird auf der Straße gepresst, Männer laufen Arm in Arm umher und grüßen sich gegenseitig mit Küsschen und bekopftuchte Frauen bieten Teegläser zum Verkauf. Es gibt unfassbar hässliches Spielzeug, gefälschte Markenartikel und riesige Plastikbeutel mit kleinen Metallteilen, vermutlich zur Herstellung von Schmuck und Gürteln. Julia bemerkt, dass es hier wohl keinen Großhandel gibt, und es scheint wirklich so, als ob die Türken hier in diesen winzigen Lädchen ihren Bedarf an Materialien für ihre eigenen Produkte decken. Ich genieße das Chaos und das pralle Leben, das hier herrscht, und etwas in mir beginnt langsam, sich zu öffnen.
Schließlich erreichen wir die Brücke vom Goldenen Horn, die Galata-Brücke. Der erste Blick auf das türkisblaue Wasser – mein Herz geht wieder ein bisschen auf. Es ist mir diesmal so vertraut, wie die vielen Angler oben auf der Brücke stehen und ihre Angelruten in die Fluten auswerfen. Julia kauft sich einen Döner im Brot, und dann wandern wir langsam über die Brücke nach Beyoğlu. In den zerschnittenen Plastikkanistern, die die Angler neben sich stehen haben, tummeln sich die Fische. Einer windet sich auf dem bloßen Asphalt, der Angler wirft ihn routiniert in seinen Kasten. Tierfreundlich ist das nicht. Ich denke an Taksim und daran, wie dort der frische Fisch in den Auslagen angepriesen wird und so schmackhaft aussieht. Ein unangenehmer Widerspruch.
Auf der Nordseite des Goldenen Horns trinken wir eine Cola in einem Fischrestaurant. Die Möwen kreisen gierig über und neben uns, prächtige Vögel, riesig und elegant. Auf der Mauer stehen ein großer Wasserkanister und eine Flasche mit Seife zum Händewaschen nach dem Fischessen. Wer braucht schon Messer und Gabel, wenn er mit den Fingern essen kann? Eine wohlgenährte junge Katze liegt faul neben uns in der Sonne. Buntes Treiben auf dem Wasser und am Ufer, und gleichzeitig eine große Friedlichkeit. Und dann – ich stoße innerlich einen Jubelschrei aus – ruft der Muezzin zum Gebet. Über das Goldene Horn klingt es von den Minaretten in hin und her. Ich habe mich mehr auf diesen Klang gefreut, als Worte beschreiben können.
Wir laufen dann unten an der Brücke zurück, wo sich ein Restaurant neben das andere reiht. Hier ist schlendern und wandern keine Option mehr; wir eilen, als versuchten wir, uns zu retten. „Lady! Lady! You like the drink? Sit here! I make the drink!“ „You like fish? Lady! Sit! Fresh fish!“ Ich grinse. „No, no. No, no.“ den ganzen Weg entlang. Julia sagt noch höflich „No, thank you!“ Das ständige Werben ist zwar auch ein bisschen anstrengend, aber es amüsiert mich noch immer. Irgendwie gehört es hierher. 
Wieder in Sultanahmet trinken wir in den kleinen Seitenstraßen am Gülhane Park einen Apfeltee und einen türkischen Kaffee. Auch hier werden wir umworben, und hier kommen sie von beiden Seiten gleichzeitig und reden auf uns ein. „Lady, my beautiful roadside terrace, good drink, nice and cold, tea coffee fish!“ „Lady, lady, my garden, my beautiful garden!“ Spontan gehen wir nach links, hier gilt es sich schnell zu entscheiden oder gar nicht – der Gewinner grinst, der Verlierer sagt durchaus gutmütig zu seinem Konkurrenten „I fuck you! I fuck you!“ Mein Kaffee schmeckt nach Fremde und Heimat gleichzeitig. Die bunten Lampen mit den vielen kleinen Glassteinchen baumeln lustig an der Markise, und über die Straße wächst eine knorrige Ranke, die noch kein Grün zeigt. Als es kühler wird, machen wir uns wieder auf den Weg.
Blaue Moschee – Sultanahmet Camii

Bergauf geht es ins Herz von Sultanahmet auf den Platz zwischen Ayasofia und Blauer Moschee. Julia war noch nie in einer Moschee. Ich denke an die Moscheen in Bosnien und Albanien, die ich besucht habe, auch an die in Berlin – alle so unterschiedlich, alle von orientalischer, fremder und wunderbarer Schönheit. So wie die Blaue Moschee ist keine andere gewesen, schon wegen der Größe. Wir werfen einen kurzen Blick hinein. Sehr kurz, denn nach wenigen Minuten werden wir aufgefordert zu gehen, es ist Gebetsstunde. Dennoch: Der weiche Teppich, die Farbenpracht und das lebendige Gewusel geben mir das Gefühl einer fröhlichen Andächtigkeit zurück, das ich auch vor zwei Jahren hier empfunden habe.
Burger King Moschee
Nicht gerade auf dem schnellsten, aber vielleicht tatsächlich auf dem schönsten Weg – vorbei an dem Gebäude, das wir die Burger King Moschee taufen – laufen wir ins Hotel zurück und gehen früh schlafen. 
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück auf der verglasten Dachterasse des Hotels nehmen wir die Tram nach Tophane und laufen an der Straße bis Findikli – hier habe ich vor zwei Jahren am Ufer des Bosporus jeden Morgen Börek und Kaffee gefrühstückt, bevor ich zur Stadterkundung aufgebrochen bin. Wir lassen uns die Sonne auf die Nase scheinen und schauen nach Asien hinüber. Als wir richtig aufgewärmt sind, laufen wir langsame die steile Straße hinauf, nicht ohne bei meinem damaligen Stammbäcker Börek zu kaufen. Er zergeht auf der Zunge, so zart ist er. Der Geschmack des Reisens. Oben gelangen wir an den Taksim Meydani. Schon wieder schlägt mein Herz höher. Etwas an Taksim rührt an bestimmte Orte in meiner Seele, die für ein ganz bestimmtes, überwältigendes Glücksgefühl reserviert sind. Und sie öffnen gerade wieder ihre Türen.

4 Kommentare

  1. ..mehr, mehr, mehr…es fühlt sich wieder so nah an- danke 🙂

  2. Ja, Istanbul ist echt eine absolute Reiseempfehlung ich war schon drei Mal da und jedes Mal war es ein total anderes Erlebnis für mich. Sehr schön geschriebener Bericht, gefällt mir sehr gut.

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