In Split am Flughafen empfaengt mich die Hitze, die ich den Sommer ueber in Berlin vermisst habe. Palmen stehen vor der Ankunftshalle. Die Luft flimmert. Ich teile mit zwei Australierinnen ein Taxi in die Innenstadt und springe fast uebergangslos in den Bus nach Mostar.
Die kroatische Kueste ist mir vertraut mit ihrer sich sanft schlaengelnden Strasse, den vereinzelten Glockentuermen in den kleinen Siedlungen und dem Blick auf ueberfuellte Straende. Verkarstete Berge liegen zu meiner linken, die Adria zur rechten. Noch vor der bosnischen Grenze wird der Himmel langsam dunkler, die Nacht senkt sich auf die Landschaft herab. Nach einer Busfahrt, die mir laenger vorkommt als im letzten Jahr, scheucht mich der Busfahrer in Mostar aus dem Bus. Ich habe diesen Busbahnhof noch nie gesehen. Ich mache mir kurz Sorgen, dass ich in der falschen Stadt ausgestiegen bin. Ein Geisterbahnhof, er sieht aus als waere er noch nicht ganz fertig gebaut, als wuerde hier eigentlich niemals ein Bus halten. Lebendig ist nur die Tankstelle an der Strasse. Ich fasse mir die zwei schwedischen Maedels, mit denen ich mich im Bus unterhalten habe, laufe vor zur Tankstelle, zeige dem Tankwart meinen Mostarstadtplan im Lonely Planet und frage auf bosnisch, wo wir sind. Unbestimmt zeigt er auf eine Gegend im kroatischen Teil der Stadt. Ich frage nach der Altstadt. „Taxi…“ lautet die Antwort. Ich bitte ihn, ein Taxi fuer uns zu rufen, weil wir keine bosnischen Telephone haben, und fuenf Minuten spaeter kommt auch eins. Ich nenne die Adresse von Majdas Hostel, der Taxifahrer weiss gleich bescheid. Die Schwedinnen sagen ihre Adresse, der Taxifahrer kennt sie nicht. Viel spaeter wird mir klar, dass das Hostel der Schwedinnen auf der bosniakischen Seite der Stadt liegt, der Busbahnhof ist neu, er wird auf der kroatischen Seite gebaut, damit Busse aus Kroatien und aus der vornehmlich kroatisch bevoelkerten Umgebung nicht mehr bis in den bosniakischen Teil fahren muessen. Ich bin wieder in die politische Sphaere eingedrungen, die Mostar heisst.
Im Hostel gibt es ein grosses Hallo und herzliche Begruessungen. Wie nicht anders erwartet: Ich fuehle mich, als sei ich nie weg gewesen. Der erste ganze Tag vergeht in entspannter Traegheit. Bosanska kahfa, an den Moscheen in der Altstadt vorbeitroedeln, in kurzes Bad in der reissenden Neretva, um der Hitze zu entfliehen. Abends gehen wir ein Bier trinken auf einer der kleinen Terassen ueber dem Fluss, die den wunderschoenen Blick auf die Bruecke freigeben. Dahinter ist eine Islamschule fertig restauriert, die letztes Jahr noch nicht da war. In meinem Kopf ersetze ich die Klaenge der Balkanmusik durch Bombenlaerm und Kriegsgeraeusche. Alles an diesem Ort ist herzzerreissende Schoenheit und abgrundtiefe Traurigkeit zugleich.
Am naechsten Tag fahre ich mit Brent, Else und Nick aus dem Hostel nach Stolac. Es muss im Krieg voellig dem Erdboden gleichgemacht worden sein, und man sieht deutlich mehr Kriegsschaeden als in Mostar – Einschussloecher an den Waenden, mitunter Haeuser von denen nur noch die Waende stehen. In den Ruinen hinter der Moschee liegen, wie in Vukovar, noch die Bosenfliesen in einem rotweissen Karomuster, ein intakter Fussboden in einem vollstaendig zerschossenen Haus.
Wir klettern ueber verschlungene Pfade einen eindeutig inoffiziellen Weg hoch zur Burg. Eine Herde Ziegen versteckt sich vor der brennenden Hitze in einem der alten Wachtuerme. Sie maehen uns klaeglich an. Weiter nach oben durch das Gestruepp, immer hoeher, bis wir im obersten Burghof ankommen. Hier steht ein ueberdimensionales Steinkreuz, davor ein grosser steinerner Altar. Mich erinnert die Szene an die Chroniken von Narnia und die Szene, in der der Loewe Aslan sich auf dem steinernen Tisch opfert. Die Steine sind neu, und der Putz auch, eindeutig sind diese Dinge hier erst nach dem Krieg hingesetzt worden, um kroatische Besitzansprueche zu demonstrieren. Immerhin ist die Moschee im Tal in sehr gutem Zustand und von aussen entzueckend mit einem kleinen gepflegten Friedhof voller bluehender Rosen. Leider ist sie geschlossen.
Wir fahren durch die Umgebung, schauen uns die grossen Grabsteine der bosnischen Kirche an, die von eben dieser christlichen Bewegung des Mittelalters zeugen. In Mostar gibt es ein altes ausgebombtes Einkaufszentrum, das noch immer ruinoes in der Innenstadt steht und dessen Aussenwaende ebensolche Zeichnungen aufweisen, wie wir sie hier auf den Grabsteinen finden. Die bosnische Kirche ist durchaus Teil der genuin bosnischen Identitaet.
Die bosnische Kirche soll auch Blagaj bereits als heiligen Ort genutzt haben, wo wir ebenfalls noch Halt machen. Heute steht dort die herrliche Tekke, in der ich letztes jahr so viele ruhige friedliche Stunden zugebracht habe. Sie wird durch tuerkische Geldgeber restauriert und man kann nicht hinein, aber die Quelle der Buna ist ein Naturereignis wie eh und je. Dennoch kommt mir der Ort irgendwie entweiht vor durch den Baulaerm, und ich habe auch den Eindruck, dass mehr Restaurants dort geoeffnet haben und alles etwas touristischer geworden ist. Bata versichert mir spaeter, dass dort genauso viele Gebaeude stehen wir letztes Jahr und es schon immer genauso touristisch war wie jetzt. Aber mir wird trotzdem etwas wehmuetig, als ich dort stehe und auf die Tekke hinuebersehe.
Der Weg zurueck nach Mostar fuehrt durch eine trostlose Landschaft. Auf der einen Seite verbrannte Erde, auf der anderen karges Heideland. Ich habe Bosnien gruener in Erinnerung. Ob der lange heisse Sommer die Gegend so ausgetrocknet hat? Ich bin froh, wieder in Mostar anzukommen, die gruene Neretva im Blick. Abends gehen wir mit Hostelgaesten essen. Im Restaurant hoere ich eine Gruppe am Nebentisch aufbrechen, einer der jungen Maenner sagt: „Ajde!“ Mein Herz huepft. Ich bin tatsaechlich wieder auf dem Balkan.
Ich fahre noch einmal mit auf die wunderbare Tagestour, die Bata anbietet. Sie ist etwas anders als im letzten Jahr und umfasst nur noch zwei Orte, darunter die wunderbaren Wasserfaelle in Kravice, an denen wir viel Zeit verbringen. Bata bringt uns diesmal etwas abseits von der Fuelle der Badegaeste in abgeschiedenere Gegenden. Ich springe von einem elf Meter hohen Kliff in das gruene Wasser und schreie dabei laut. Es ist befreiend.
Die zweite Station heisst Pocitelj, und die Schoenheit des Ortes geht mir wieder ans Herz. Die anderen Reisenden erklimmen einen der Festungstuerme der mittelalterlichen Stadt, ich bleibe unten, schaue auf die Moschee hinueber und sehe zu, wie das letzte bisschen Sonnenlicht hinter den Bergen verschwindet.
Am naechsten Morgen geht der Zug in aller Fruehe nach Sarajevo. Ich fuehle mich nicht ganz gesund, habe Magenprobleme und bin sehr muede, ich habe die letzten drei Naechte sehr schlecht geschlafen, weil die Klimaanlage so kalt eingestellt war. In Sarajevo angekommen checke ich im Hostel ein und gehe in dem kleinen Innenhof hinter dem Taubenplatz eine bosanska kahfa trinken. Anschliessend beschliesse ich, mich im Hostel ein bisschen hinzulegen. Nach zwei Stunden wache ich auf, mir ist eiskalt, ich zittere, aber ich fuehle mich heiss an, ich glaube ich habe ein kleines Fieber. Ich gehe direkt schlafen – aus einem schoenen Tag in Sarajevo wird so nichts, aber ich kenne die Stadt ja und bin froh, wenigstens ein bisschen das besondere Flair der tuerkisch gepraegten Innenstadt aufgesogen zu haben. So werde ich hoffentlich wenigstens fit sein fuer die lange Busfahrt nach Trebinje am naechsten Tag.