In Olsztyn habe ich ein bisschen Zeit, bevor Wiebke ankommt. Ich frage eine ältere Dame am Hauptbshnhof nach dem Bus in die Stadt. Wir kommen ins Schnattern, innerhalb von Minuten hat sie mich zu sich nach Hause eingeladen und mich mit ihrem Bekannten Marek verheiratet. Marek ist 30, Hochschulprofessor und reizend, sagt sie. Zwar könne er kein Deutsch, aber mein Polnisch würde schon reichen. Ich solle ihr ein Photo von mir schicken, die Adresse hätte sie mir ja schon gegeben, sie würde dann alles in die Wege leiten. Sehr amüsant.

Der Markt ist wunderbar, nicht ganz so herausgeputzt wie in anderen Städten. Die Bürgerhäuser tragen teils grauen Putz, teils entschieden sozialistisch-realistische Ornamente, aber das alte Rathaus und die Bibliothek in der Mitte des Platzes glänzen. Rechts ab geht es zur Burg, deren roter Backstein in der Sonne leuchtet. Einen Blick werfe ich auch in den Dom, gerade ist Gottesdienst. Das Vater unser, Ojcze nasz, bete ich mit. Am selben morgen habe ich es noch in Szczytno beim schnellen Blick in die dortige evangelische Kirche mitgesprochen. Mit wie viel mehr Prunk der katholische Gottesdienst in dem riesigen Backsteindom gegenüber dem kleinen weißgelben Kirchlein von morgens daherkommt… Ich gehe beim Friedensgruß. Vor dem Dom läuft ein kleines Mädchen herum und reicht allen die Hand.

Schließlich hole ich Wiebke am Westbahnhof Olsztyn Zachodni ab. Wir essen noch einen Happen auf dem kleineren Platz zwischen Hohem Tor und Markt, dann geht es zum Hauptbahnhof und zum Bus. Nach Suwałki verläuft alles ohne Zwischenfälle, wir verschnacken so die Zeit.

In Suwałki haben wir von 23 bis 2 Uhr Aufenthalt. Ich frage den Herrn an der Bahnhofsaufsicht, ob mit unseren Onlinetickets alles in Ordnung ist und wo der Bus fährt. Er zeigt auf ein rotes Haltestellenhäuschen direkt an der Hauptstraße. Etwas skeptisch Blicke ich auf die etwa 20 schicken, asphaltierten Bussteige des Busbahnhofs. Da sollte der Bus halten, erklärt der Herr, tut er aber nie. Wir müssten jetzt aber ja 3 Stunden warten. Wissen wir. Nun ja, wenn was sei, er sei am Schalter. Wir machen es uns auf einer Bank gemütlich. Alle zwanzig bis dreißig Minuten kommt unser Bahnhofsschutzengel heraus, stellt sich mit seiner Zigarette zu uns und macht einen kurzen Schnack mit mir. Wiebke lässt sich dann hinterher von mir übersetzen, worum es ging: Suwałki ist angeblich die sauberste Stadt Polens, und auf der Hauptstraße fahren täglich 4000 LKWs Richtung Russland und Litauen; Inzwischen gehen wohl mehr Polen nach Deutschland als nach England, er selbst war noch nicht da, aber vielleicht kommt er mal, zum Spargelstechen.
Es wird kälter, ich wickle mich in meinen Rock, Wiebke zieht eine Strumpfhose unter. Da kommt die SMS: 50 Minuten Verspätung. Zwar bin ich begeistert von der Technik, die mich informiert, nicht aber von der Aussicht, noch bis 3 Uhr früh warten zu müssen. Über uns scheppert die Bahnhofsuhr, wenn die Zahlen im digitalen Format umspringen. Die Uhr zeigt auch die Temperatur, aber wie 21 Grad fühlt es sich wahrlich nicht an. Als der Bus endlich zwischen den LKWs auftaucht, sind wir doch sehr froh und schlafen auf unseren Sitzen im Oberdeck sofort ein.
Fast verschlafen wir gut vier Stunden später denn auch den Hauptbusbahnhof in Vilnius. Erst auf Nachfrage bei unseren Sitznachbarn merken wir, dass wir da sind und müssen dann etwas eilig aussteigen. Die Sonne scheint, wir laufen mit unseren Rucksäcken durch das Tor der Morgenröte und weiter zu Ernst & Young, wo wir unsere Gastgeberin Ieva treffen. Sie läuft mit uns durch die Stadt nach Hause zu ihrer niedlichen Altstadtwohnung. Schon auf dem Weg wird mir klar, was der stete Hinweis auf die „barocke Pracht“ in den Reiseführern meint. Es ist geradezu erschlagend, so bunt und sauber und verspielt, wenn auch immer wieder schlichtere Renaissancebauten die schillernden Häuserreihen um ein ruhiges Element bereichern. Zwei Tage hier liegen vor uns, die Sonne scheint und es ist Urlaub.