Fernweh ist Teil meiner Persönlichkeit. Ich habe mich längst daran gewöhnt. Die Welt birgt einfach zu viele zauberhafte Wunder, um sich nicht danach zu sehnen, sie alle zu entdecken. Ich bin von Natur aus neugierig und wissensdurstig. Dass ich reiselustig bin, ist ein Nebenprodukt davon – genau wie meine Freude am Lesen. Meine Sehnsucht nach der Ferne ist die gleiche wie die nach Geschichten. Mich dürstet nach Erfahrungen. Ob ich sie in einem fremden Land oder vor der Haustür, in einem Buch oder im wahren Leben sammle, ist zweitrangig.

Fenster, Vrsar, KroatienObwohl ich das sehr wohl über mich weiß, so weiß ich doch auch, dass es Zeiten geben muss, in denen ich mich zurückziehe. Der Fensterladen ist geschlossen, ich sitze dahinter und besinne mich in der wohligen Dunkelheit des Vertrauten auf mich selbst, mein Leben und die Dinge und Menschen, die es bereichern. Ich denke nach, beginne zu begreifen, sortiere. Ich setze meine Prioritäten neu. Ich stelle mir die großen Fragen, was ich will und wer ich bin, wo ich stehe und wo ich sein möchte.

Fenster, Vrsar, KroatienUnd dann beginnt sich der Fensterladen wieder zu öffnen, vorsichtig schaue ich dahinter hervor. Es haben sich Klarheiten gesetzt für mich, und ich kann wieder in die Welt gehen mit all meinem Lebenshunger und meiner Sehnsucht nach Ferne, Weite, Fremde, nach dem Neuen und dem Unbekannten, nach Inspiration und Weisheit, die mich schwindeln lässt, weil sie so unerhört ist im wahrsten Sinne des Wortes. Noch nie gehört. Völlig neue Blickwinkel. Neue Perspektiven. Die Laterne unter dem geöffneten Fenster wird aufs Neue angezündet.

Blumen, Vrsar, KroatienAus dem Grau der Gedanken ersteht wieder ein buntes Sein, das im Hier und Jetzt blüht, nicht im Gestern, nicht im Morgen. Es leuchtet von innen. Vielleicht hat es eine vertraute Form wie die Geranie mit ihren gleichmäßigen vollen Blütenblättern.

Blumen, Veli Brijun, KroatienVielleicht sieht es exotisch und wild aus wie die unbekannte Blume mit ihren langen Blütenkerzen, die ihre dunkle Farbe auf Härchen trägt wie einen kleinen Pelz.

Nie ist es so leicht für mich, den Moment zu leben, den Tag zu nutzen und all den Kalenderweisheiten zu folgen, die sich auf das antike Carpe Diem berufen. Unterwegs zu sein macht mich gesund, wenn mir die Seele weh tut. Ich kann, ich darf wieder durch die Welt gehen wie ein Kind – Staunen, Lachen, Entdecken. Ich darf Fragen stellen und niemand erwartet von mir, dass ich die Antwort schon kenne, weil ich nicht verpflichtet bin, mich in der Fremde zurechtzufinden und alles unter Kontrolle zu haben. Dinge dürfen schief gehen, an deren reibunsglosem Funktionieren im Alltag so oft so viel zu hängen scheint. Auf Reisen ist ein Gewitterhimmel nicht mit einer routinierten Beschwerde über das Wetter verbunden – er ist wunderschön.

Limski Fjord, Kroatien

Und wenn die Schönheit der Wolken sich ihre Zeit genommen hat, macht sie der Schönheit der Sonne Platz.

Barbariga, Kroatien

Reisen heilt. Es zeigt mir lebendig, nicht nur in der Theorie, dass alles seine Zeit hat. Regen hat seine Zeit, Sonne hat ihre Zeit. Grüne Hügel haben ihre Zeit, Kiesstrände haben ihre Zeit. Belebte Städte haben ihre Zeit, einsame Buchten haben ihre Zeit. Über die neuen Eindrücke sprechen hat seine Zeit, gemeinsam im Angesicht der Schönheit schweigen hat seine Zeit.

FüßeUnd plötzlich ist das Leben wieder ein Segen und keine Last. Ich weiß das, immer. Ich vergesse es manchmal. Zu oft, vor allem zu oft wegen Nichtigkeiten. Reisen erinnert mich daran. Neue Wege gehen. Und gemeinsam an neuen Wegesrändern ausruhen und genießen.