Von Berat aus nehmen Steve und ich in aller Herrgottsfruehe den Bus nach Saranda. Es wird immer heisser und die Landschaft immer karger, deswegen ist die fruehe Stunde kein Nachteil. In Saranda an der Bushaltestelle, die durch kein Schild und keinen Hinweis gekennzeichnet ist und eigentlich nur aus einer grossen Ansammlung von Bussen besteht, stuerzen sich die Leute mit Angeboten fuer Unterkuenfte auf uns. Wir entscheiden uns trotzdem fuer das Hostel, um dort Internet und Reisetipps nutzen zu koennen.

Das Hostel liegt im 8 Stock eines grossen Appartmentblocks mit herrlichem Blick auf die Bucht von Saranda und auf Korfu. Es haelt uns nicht lange dort, wir gehen gleich schwimmen und schlendern durch das Staedtchen. Es ist nicht gerade huebsch, vielmehr kommt es sehr touristisch daher und am Hang stehen tonnenweise halbfertige Gebaeude. Mit dem Fall des Kommunismus musste man auf einem Stueck Land bauen, um es fuer sich in Anspruch zu nehmen. Viele Leute haben damals ein qualitativ minderwertiges Fundament auf den Hang gesetzt und niemals fertig gebaut. Die schiere Menge an Haeuserskeletten steht in krassem Kontrast zu den aufbluehenden Strandbars und hippen Restaurants an der Promenade. Der Tourismus kommt im grossen Schritten auf dieses Land zu.

Ausser uns ist mit Noveed aus den USA nur noch ein weiterer Gast im Hostel, die Saison ist noch nicht richtig losgegangen. Am Morgen fahren wir zu dritt nach Butrint, um die Quote an UNESCO Weltkulturerbe-Staetten hoch zu halten. Die antike Stadt hat roemische, venezianische und osmanische Ruinen zu bieten – ein herrliches Amphitheater, eine Basilika, ein Kastell auf dem Berggipfel. Die Gelder fuer eine vernuenftige Restaurierung fehlen, alles ist ein bisschen ungepflegt. Das kenne ich aus Griechenland anders. Dafuer kenne ich aus Griechenland aber auch, dass man keinen Tempel betreten darf und ueberall nur auf den ausgeschilderten Wegen laufen darf. Hier koennen wir nach Herzenslust herumklettern. Auch das wird sich sicher bald aendern.

 
Auf dem Weg zurueck nach Saranda halten wir in Ksamil, der Strand soll sehr schoen sein – aber es sind uns schon anderswo schoene Straende versprochen worden, die dann nur mittelmaessig waren. Umso groesser ist die Ueberraschung:

Ein traumhafter kleiner Kiesstrand mit netten Restaurants und drei kleine Inseln, die man schwimmend erreichen kann. Das Wasser ist glasklar und von einem hellen tuerkisblau wie es mir noch nie untergekommen ist. Abends machen wir alle drei bei Annette, der das Hostel gehoert, eine Sitzung Akkupunktur – entspannter geht es einfach nicht.

Fuer den naechsten Tag haben Steve und ich ein Auto gemietet und fahren die ionische Kueste hoch. Ein herrlicher Strand jagt den naechsten. Wir springen fast ueberall kurz ins blaue Mittelmeer und machen auf der Kuestenstrasse staendig halt, um die herrliche Landschaft zu photographieren. Kuehe am Strand und Ziegen auf der Hauptstrasse machen das Flair malerisch und urspruenglich, wir finden eine verlassene Festung und essen herrlichen Fisch zum Mittagessen am Strand, es wird einfach immer besser. Das aendert sich auch nicht, als wir nachmittags das uns gesteckte Ziel erreichen: den Strand von Drymades. Der Lonely Planet schickt uns auf eine „dirt road“ – aber die gibt es nicht mehr, alles ist frisch asphaltiert, wir muessen die „dirt road“ um wenige Wochen verpasst haben. Deswegen wird die Idylle, die wir erleben, auch nicht mehr lange anhalten. Wir finden voellig verlassene grosse Buchten mit herrlichen Ausblicken auf die Weiten des Meeres. Wir breiten unsere Schlafsaecke unter einem Felsvorsprung aus, Steve macht Feuer, wir haben eine Flasche Wein, die Sonne geht unter, die Sterne zeigen sich. Es ist definitiv eines der Highlights meiner Reise.

Morgens bringen wir das Auto zurueck nach Saranda und nehmen die Faehre nach Korfu. Die drei Tage, die folgen, sind ein Urlaub vom Urlaub: Strand, Sonne, gutes Essen und das ein oder andere Bier in einem Hostel, dessen Anlage eher an Cluburlaub erinnert. Ich habe diese Art von Entspannung dringend noetig und geniesse es in vollen Zuegen.

Der Abschied von Korfu ist auch der Abschied von Steve, der ueber Athen weiter zu den griechischen Inseln in der Aegeis reist. Ich habe mich sehr an ihn gewoehnt und muss mich nun erstmal wieder ins Alleinsein hineinfinden. Die Fahrt nach Ohrid hilft dabei nicht: Ich soll morgens um halb 6 einen Bus in Saranda nach Korca bekommen, der nicht faehrt. Ein Taxifahrer bringt mich fuer ein horrendes Geld nach Gjirokaster, von wo aus der Bus angeblich fahren soll – das stimmt natuerlich auch nicht. Ich bin fast am Verzweifeln, bekomme dann aber einen Bus in ueber Fier Richtung Tirana, der mich irgendwo in der Wallachei bei einem Furgon (einem Minivan, den die Leute hier privat als Bus betreiben) absetzt, welcher mich wiederum nach Elbasan bringt. Von Elbasan bringt mich ein weiterer Furgon an die Grenze zu Mazedonien. Ich muss ueber die Grenze laufen, das ist ziemlich skurril. Auf der anderen Seite erwische ich wieder ein Taxi nach Ohrid. Ich mache drei Kreuze, als ich endlich ankomme, und gehe erstmal schlafen. Wer die Reise auf der Karte nachschaut, wird die absurde Kurve entdecken, die ich da gefahren bin. Aber was lehrt es mich? Man kommt immer irgendwie an.

Ohrid ist ein wunderschoenes Fleckchen Erde. Von der Festung aus ist der Blick ueber den Ohrid-See, das antike Amphitheater und die zahlreichen Kirchen und Kirchlein unfassbar. Die Kirchen gefallen mir am besten. Sie haben eine ganz eigene Architektur mit vielen Kuppeln und Backstein und sind alle mit wunderbaren Wandmalereien geschmueckt. Fast immer stehen die Heiligenbilder vor dunkelblauem Grund, der einen tiefen, unendlichen Nachthimmel suggeriert.

Die Kirche Sveti Jovan Kaneo ist winzig klein und steht auf einem hohen Kliff ueber dem See. Ich zuende dort zwei Kerzen an und muss ploetzlich, kniend auf dem nackten Steinfussboden, bitterlich weinen. Etwas in meinem tiefsten Innern ist angeruehrt von diesem Ort. Ich klettere ueber die hohe Tuerschwelle aus der Nachtstimmung ins Tageslicht zurueck und vor mir liegt in seiner ganzen Schoenheit der See. Es ist bewoelkt in Ohrid, aber auf dem gegenueberliegenden Ufer ueber Albanien funkelt die Sonne. Dankbarkeit durchflutet mich. Nachmittags gehen wir mit einer Menge anderer Reisender aus dem Hostel schwimmen. Wir klettern unmoegliche Wege in eine kleine geheime Bucht hinunter. Das Wasser ist kalt, aber angenehm.

Es giesst in Stroemen, als ich am naechsten Morgen den Bus zum Kloster Sveti Naum nehme. Der Klosterhof ist von sicherlich um die 15 Pfauen bevoelkert, wie ich lerne symbolisieren sie den byzantinischen Glauben. Ich habe noch nie so gepflegte, stolze Pfauen gesehen. Sie wissen sicher um ihre Schoenheit, jedenfalls machen sie einen dementsprechenden Laerm. Das ist skurril, wenn man in der Klosterkirche steht und die Fresken bewundert. Ich sitze lange in der Exedra der Klosterkirche und denke nach. Ich finde langsam wieder zum Alleinsein zurueck. Mir wird klar, dass es mir in Gesellschaft nicht so vorkam, als wuerde ich mich viel und staendig bewegen, weil es eine Konstante in meinem Reisealltag gab. Jetzt strengt mich die viele Bewegung wieder mehr an, aber sie bringt mich auch zurueck zum kribbelnden Aufgeregtsein, wenn es an einen neuen Ort geht. So hat alles seine Zeit, die Geselligkeit und die Einsamkeit, die Unruhe und die Stille.