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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: city (Seite 7 von 7)

Gdańsk – Danzig II

Auf der Schiffsfahrt hinaus zur Halbinsel Westerplatte nachmittags nieselt es und es ist ziemlich kalt. Auf polnisch und deutsch schallen Informationen aus den Lautsprechern, die erklären, an welchen geschichtsträchtigen Orten wir vorbeifahren. Am żuraw, dem Krantor, an der Werft, an zahlreichen Speichern und Kränen, die unseren Weg säumen, der Festung Weichselmündung und dem Weichseldurchbruch vorbei geht es immer weiter, bis wir schließlich anlegen. Durch den Wald hindurch spaziere ich zwischen den zahlreichen anderen Ausflüglern an die Spitze der Halbinsel, an der auf einem Hügel das große Denkmal steht, das an den Ausbruch des zweiten Weltkriegs erinnert. Als „europäischen Erinnerungsort“ feiern es die Reiseführer, und als „obligatorische Station jedes politischen Staatsbesuchs“. Ich fühle mich etwas in mich gekehrt. Der Gedanke, dass dies einmal ein Ort der Sommerfrische war, bevor Militär einzog, dass hier Menschen mit eleganten Kleidern am Ufer flanierten und Kinder in den Wellen spielten, fühlt sich fremd und unwahrscheinlich an.

Das Denkmal ist groß und pompös. Ich bin eher für die stillen Erinnerungsorte, die versuchen, Gefühl zu vermitteln. Der Steinklotz vermittelt nur Härte – aber vielleicht muss das so sein an diesem Ort? Unterhalb des Hügels stehen große weiße Lettern vor dem Wald – „Nigdy więcej wojny“, Nie wieder Krieg. Ich sitze auf dem Sockel des Denkmals mit dem Blick auf die weiten der Ostsee, von wo aus der Angriff auf Polen gekommen sein muss und singe, mal wieder, leise vor mich hin. Reinhard Mey. „Mein dunkles Land der Opfer und der Täter, ich trage einen Teil von deiner Schuld.“ Aber so richtig kann ich nicht begreifen, an was für einem Ort ich mich hier eigentlich befinde.

Die Rückfahrt in die Danziger Innenstadt ist wunderbar, die Sonne ist hervorgekommen und scheint mir ins Gesicht, der Fahrtwind und eine leichte Gischt um meine Nase geben mir das Gefühl, zuhause zu sein – wie in Hamburg. Als das Krantor wieder in Sicht kommt, freue ich mich auf das Hostel und ein bisschen Ruhe. Jedoch, der Abend wird länger als vermutet – als ich ins Bett gehe, wird es draußen schon wieder hell. Es ist phantastisch, wie viele interessante und unterschiedliche Menschen man in Hostels kennen lernt, wie der Kontakt mit diesen Menschen den eigenen Horizont immer und immer wieder erweitert und wie unkompliziert Menschen, die einander bis vor Kurzem fremd waren, anteil aneinander nehmen.

Am nächsten Tag frühstücke ich mit Lea und Vroni in der Mariacka, der Frauengasse. für mich ist es die schönste Straße in der Danziger Innenstadt. Die Häuser haben alle kleine Terassen vor den Eingängen, die Straße ist schmal und bunt von den hübschen Bürgerhäusern und führt vom Wasser direkt auf die Marienkirche zu.


Kleine Schmuckgalerien und Straßenstände mit Bernsteinschmuck säumen das schmale Gässchen mit Kopfsteinpflaster. Hier kann man mit einem Kaffee durchaus die Zeit vergessen. Gerne bliebe ich länger, aber ich habe noch Pläne. Nach einem kurzen Besuch im Günter Grass Museum fahre ich heute nach Oliwa.

Es nieselt. Die Straßenbahn hält nicht dort, wo mir mein Reiseführer empfohlen hat, auszusteigen. Die Kapuze meiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen versuche ich, mich zu orientieren, es klappt nicht. Ich laufe also geradewegs in die Richtung, in der ich die Ostsee vermute, obwohl die eigentlich viel zu weit weg ist, um zu Fuß dorthin zu gehen. Auf der rechten Straßenseite tut sich ein Park auf. Der gefällt mir, da will ich rein – kaum schaue ich in meinem Reiseführer nach, sehe ich, dass ich hier sowieso noch hätte landen wollen. Der Park von Oliwa ist sehr alt und sehr hübsch. Ich bedaure es sehr, dass das Wetter so schlecht ist, ich hätte mich zu gerne auf eine der Bänke gesetzt und die Blumenrabatten, die kleinen Statuen, Seen und Bächlein auf mich wirken lassen. Einer der Bäume tut es mir besonders an.


Ich streichle den weißen alten Stamm. Er fühlt sich warm und sehr lebendig an, dabei sieht er so trocken und geisterhaft aus.

Direkt an den Park anschließend finde ich den Kirchhof der Kathedrale. Oliwa hat eine lange Geschichte als Sitz eines großen Klosters – ein Hort des polnischen Katholizismus und besonders spannend und spannungsreich im Verhältnis zum preußischen, protestantischen Danzig. In seiner Geschichte hat Oliwa mehrmals zu Danzig gehört, um dann wieder eigenständig zu werden. Immer noch muss die Kathedrale wohl ein wichtiger Identifikationspunkt für die Einwohner sein.

Ich stehe noch am Eingang und schalte mein Handy aus, da sehe ich schon, wie voll es in der Kirche ist. Ich hoffe erst auf einen Gottesdienst, aber es kommt fast noch besser. Es spielt jemand Orgel – und was für eine Orgel! Sie ist wunderschön und riesenhaft, mit dunklem Holz und kitschigen Engelchen, die Instrumente halten. Es erklingt die Bach Toccata und Fuge in d-moll (BWV 565). Zu den Höhepunkten beginnen sich an der Orgel vier Zimbelsterne zu drehen, und die Engel bewegen ihre Posaunen und Trompeten auf und ab. Ich finde das ein bisschen amerikanisch, aber der Organist ist wirklich gut und die Stimmung in der unfassbar schmalen, langen, hohen Kirche ganz besonders. Nach dem Stück löst sich die Masse aus ihrer kurzfristigen relativen Verzauberung, und auch ich streife noch ein bisschen durch das Kirchenschiff mit den ungewöhnlichen Maßen. An einer Wand hängt eine Tafel, auf der das Vater Unser auf Kaschubisch steht. Es liest sich lustig, es kommt mir vor als verhielte es sich zu Polnisch in etwa so wie Platt zu Hochdeutsch.

Ich wage mich wieder in den Regen und klettere noch auf den Pachołek, den Pollerhügel. Wenn das Wetter schön ist, muss die Aussicht atemberaubend sein, aber auch so gefällt mir der Blick auf die wolkenumrahmten Hügel und Freudenthal, Dolina Radości. Schließlich laufe ich noch ein ganzes Stück durch die kleinen Oliwaer Straßen, von denen viele mit herrlichen Lindenbäumen gesäumt sind, um die Stelle zu finden, an der das Haus des Professors Hanemann aus Stefans Chwin gleichnamigem Roman (in deutscher Übersetzung: „Tod in Danzig“) stehen soll – kein besonders lohnenswerter Ausflug, dort ist ein Mischgebiet, und das Haus gibt es gar nicht. Durchgefroren und klamm fahre ich wieder in die Innenstadt, ich habe mir wohl eine kleine Erkältung geholt. Im Hostel haben Vroni und Lea schon für mich mitgekocht. Noch ein Abend in ausgelassener Reiseheiterkeit liegt vor mir.

Am nächsten Morgen reicht es nur noch für ein weiteres Frühstück in der Mariacka und schon muss ich wieder zum Bahnhof. Danzig hat sich mir viel eher als Gdańsk erschlossen, ich finde die Stadt erstaunlich wenig deutsch – aber ich bin auch Schlesien gewöhnt, das wenig polnische Geschichte hat und eigentlich fast immer deutsch war, während Danzig tatsächlich auf ein wirres Hin und Her zwischen der deutschen und der polnischen Kultur und Herrschaft in seiner Geschichte zurückblickt. Schon wieder ein Ort, an den ich zurückkehren möchte. Wie gut, dass Danzig nicht weit ist von Berlin. Wenn mich das Fernweh packt, kann ich auch kurzfristig ein paar Tage dorthin fliehen. Mir würde es gefallen, wenn ich das Zuhause-Gefühl, das ich in dieser Stadt hatte, auf diese Weise vertiefen kann. Es gibt dort zumindest noch tausend Dinge zu entdecken.

Kraków

Als ich das erste Mal nach Kraków kam, war ich seit 13 Jahren nicht in Polen gewesen, lernte aber schon seit fast 2 Jahren die Sprache. Ich war aufgeregt und neugierig auf dieses Land, von dem ich nurmehr dunkle Erinnerungen an einen Kindheitsurlaub in mir trug, von dem ich mich aber doch entschieden hatte, es durch das Studium der Polonistik zu einem Teil meines Lebens zu machen. Damals stieg ich aus dem Bus vom Flughafen aus, direkt an den Planty, und lief den Kirchtuermen nach ich die Richtung, in der ich die Innenstadt vermutete. Mein Weg fuehrte mich ueber die Floriańska direkt auf den Rynek, den grossen Hauptmarkt. Meine Beine trugen mich, als kennten sie den Weg, als seien sie ihn schon hundertmal gelaufen. Maechtig ueberfiel mich ploetzlich das Gefuehl, als sei ich hier schon einmal gewesen. Ueberall war Musik. Bilder von Kaffeehaeusern mit schweren roten Samtvorhaengen zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie ich sie spaeter im Cafe Singer in Kazimierz, dem alten juedischen Teil von Kraków, tatsaechlich erleben sollte. Es war als ob meine Seele die Stadt aus einem frueheren Leben wiedererkannte. Ich war auf eine seltsame Art und Weise nach hause gekommen.
Wenn mich heute Freunde fragen, warum ich diese Stadt so liebe, kann ich es nur mit dieser ersten Erfahrung begruenden. Ohnehin finde ich die Frage jedoch seltsam. Wie kann man Kraków nicht sofort ins Herz schliessen?
Ich komme erneut in Kraków an und die Sonne scheint, als wuerde sie dafuer bezahlt. Mit Paweł und Paulina setze ich mich auf dem Rynek in die Sonne und trinke Kaffee. Spaeter setzen Paulina und ich uns an die Wisła, die Weichsel, die unter dem Schlosshuegel ihre maechtige Kurve zieht und stolz und ruhig an uns vorbeifliesst, als koennte sie niemals grau und wild werden und ueber die Ufer treten. Ueber auf dem Wawel steht das Schloss mit der Kathedrale. Die Schoenheit greift mir ans Herz. Ich habe mich hier wirklich niemals fremd gefuehlt.
Abends gehen wir im Klezmer Hois in Kazimierz juedisch essen. Im Nebenraum beginnt ein Klezmerkonzert. Wir stellen uns in den Tuerrahmen und sehen verstohlen zu. Vor einem dunkelroten filigranen Vorhang mit goldenen Blattornamenten steht ein Kontrabassist, daneben sitzt ein Akkordeonspieler. Die dritte im Bunde ist eine junge Frau mit einer Geige. Sie spielen suess und schwungvoll, lebendig und melancholisch. Hava Nagila. Bei mir bist du scheen. Wenn die Frau ihre Geige absetzt, tut sie es, um die Harmonie der Instrumente um ihre Stimme zu bereichern. Sie ist tief und samten, wie dunkles Holz. Steinerne Saeulen, gehaekelte Spitzendeckchen. Die tiefe Stimme beginnt zu seufzen, hoch und jazzig, wie es im Klezmer sonst die Klarinette tut. Ich will auch seufzen. Kraków, du Zauberstadt.

München

Meine Reise hat entweder vier oder fünf Monate gedauert, je nachdem wie ich zähle. Wenn ich Berlin und München dazurechne sind es fünf. Ausser Landes sind es vier. Da ich aber wirklich zu der festen Überzeugung gelangt bin, dass Reisen weniger vom Ort bestimmt wird als vielmehr von der Sichtweise des Reisenden auf seine Umgebung, bin ich mehr als bereit, die längere Definition als die gültige anzuerkennen, und deswegen bekommt auch München noch einen Eintrag auf meinem Blog.

Ich sitze morgens am Sendlinger-Tor-Platz und trinke Kaffee. Die Sonne scheint, und der Blick auf den roten Backstein des Sendlinger Tors versichert mir, dass ich wieder zuhause bin. Alles ist plötzlich auffallend deutsch. Die Architektur. Die Sprache. Das Verkehrssystem. Die etwas ruppige, aber durchaus freundliche Kellnerin im Dirndl – na gut, die ist vielleicht eher nicht typisch deutsch, sondern vor allem, gewollt, typisch bayrisch. Es sind viel weniger Menschen unterwegs als in den großen Städten des Balkans an ähnlichen Orten. Da fällt mir erst wieder ein, wie es mich am Anfang in Kroatien fasziniert hat, dass anscheinend alle ständig Zeit haben, in Cafés zu sitzen und Zeit totzuschlagen. Hier ist das eher ein Luxus als ein naturgegebenes Lebensgefühl.
Ich kaufe eine Brezel beim Bäcker in der U-Bahn-Station. Der Verkäufer kassiert, dreht sich zu seinem Kollegen um und sagt etwas auf kroatisch. Dann dreht er sich noch einmal zu mir und sagt: „Tschüss!“ und ich antworte: „Prijatno!“ Mir fehlt die Sprache. Sie ist so wunderschön. Meine Zunge und mein Mund haben sich noch nicht wieder ans Deutsche gewöhnt.

In München ist es kalt und regnerisch. In meiner Erinnerung habe ich auf der Reise nur selten schlechtes Wetter gehabt. Wenn ich meine Photos sortiere sehe ich, dass das gar nicht unbedingt stimmt, vor allem am Anfang, im April, ist da viel grauer Himmel. Der Unterschied liegt darin, dass mich schlechtes Wetter dort nie davon abgehalten hat, durch die fremde Stadt zu laufen und alles zu entdecken. Warum sollte ich also in München bei Regen in Julchens Wohnung sitzen und nicht durch die bayrische Hauptstadt schlendern?
Am Marienplatz frühstücke ich Müsli und Chai Latte. Ein teures Vergnügen, aber ich gebe zu, so ein gutes Müsli habe ich mir das ein oder andere Mal statt des Bureks zum Frühstück herbeigesehnt. Es giesst in Strömen. Vor dem Hugendubel steht eine reihe grosser blauer Terassenschirme, die im stürmischen Wind gefährlich schwanken. Plötzlich fallen sie alle um. Menschen, die darunter Schutz vor dem Regen gesucht haben, hoppeln erschreckt zur Seite. Eine Kellnerin rast aus dem zugehörigen Restaurant und versucht, die abtrünnigen Ungeheuer wieder aufzurichten. Die Passanten stehen entweder unbeholfen herum oder ziehen hilflos an den Schirmen, anstatt dass sie der Kellnerin helfen, den Mast gerade zu bekommen. Ich verspüre den Drang, hinüberzurennen und anzupacken, aber vermutlich denken sie in meinem Café dann, dass ich die Zeche prellen will. Ein bisschen unpraktisch kommt mir dieses Land vor. Gedankenverloren streift mein Blick hoch zum Rathaus. Deutschland. Unpraktisch vielleicht. Aber schön. Ehrwürdig.

Der Regen hält an und ich entscheide mich, ins Deutsche Museum zu gehen. Ich bin eigentlich nicht so der Museumsmensch, aber das Deutsche Museum ist ja so eins, wo man, wenn man meinen Eltern glauben darf, „mal gewesen sein muss“. Schon die Eingangshalle ist beeindruckend, und ich freue mich über den saftigen Studentenrabatt. Segelkunst, Flugtechnik, Raumfahrt. Und meine Lieblingsabteilung ist doch wieder, wenig überraschend, eine schöngeistige: Musikinstrumente! Ich könnte stundenlang da sitzen und mir die Cembali und die gitarrenartigen Seiteninstrumente aus aller Herren Länder anschauen. Da ist so viel Seele in diesem Raum! Über den Vitrinen thront eine Orgel, die gerade gestimmt wird. Als sie damit fertig sind, spielt der eine Stimmer kurz „Heilig, heilig, heilig“ an. Das habe ich mit meinem Chor in Greifswald gesungen. Die Orgel spielt nur die ersten paar Takte, aber ich singe leise für mich weiter. Es ist eine getragene, eine demütige Melodie, die nichts mit der stolzen Lebensfreude der Balkanmusik zu tun hat, die mich nun so lange begleitet hat. Ich werde mir die Vergleiche so schnell nicht abgewöhnen können. Dadurch reflektiere ich aber auch die deutsche Kultur wieder ganz anders. Die Schönheit des Balkans habe ich, gerade durch das Schreiben, immer zu benennen versucht und ich denke, das ist mir oft gelungen. Nun sehe ich mich gezwungen, auch die Schönheit Deutschlands zu benennen und das fällt mir wesentlich schwerer. Ich will Deutschland mit den Augen des Reisenden zu betrachten versuchen.

Julchen und ich fahren raus nach Großhelfendorf, um die Familie zu besuchen. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Haus meines Onkels kommen wir an einem Zaun vorbei, hinter dem ein kleines Hasengitter steht. „Wir freuen uns über Löwenzahn“ steht auf einem von Kinderhand gemalten Schild am Zaun. Großhelfendorf ist Dorfidylle. In der Ferne ragen dunkel die Alpen am Horizont auf. Die Felder leuchten in tausend verschiedenen Grüntönen. Bei meinem Onkel im Garten gibt es Apfel- und Pflaumenkuchen zum Kaffeetrinken. Heile Welt. Ich erzähle viel von meiner Reise und je länger ich darüber rede, desto weiter entfernt kommt mir das alles vor. Bin das wirklich ich gewesen, die das alles erlebt hat?
Abends zurück in München zwischen Stachus und Marienplatz stehen Julchen und ich und schauen Straßenmusikern zu. Ich erinnere mich an Istanbul, an Taksim. Auch hier ist eine große Vielfalt, eine große Bandbreite verschiedener Stile und Qualität zu beobachten. Es ist lebendig und schön. Mir gefällt München plötzlich. Ich bin schon öfter hier gewesen, aber richtig warm geworden bin ich mit der Stadt bisher nie. Jetzt, da ich ein bisschen mehr Zeit hier verbringe und ihr nach all den Reiseerfahrungen so viel wohlwollender gegenübertrete, habe ich sie ganz gern. Sie ist sehr sauber und aufgeräumt. Aber warum muss das eigentlich was Schlechtes sein?

Am Sonntag fahre ich mit Rene, Lou und Jesus, die ich in Sofia im Hostel kennengelernt habe, an den Unterfoehringer See. Jesus hat seine Schwester mit ihren Kindern zu Besuch, und es kommen noch mehr Freunde dazu, so dass wir schliesslich eine Gruppe von 11 Leuten mit deutscher, irischer, namibischer, hollaendischer, polnischer und spanischer Beteiligung sind. Ich fuehle mich fast wieder wie auf Reisen. Viele Kinder sind dabei, die Kleinste ist erst 1 1/2 und ein so entzueckendes Kind, dass alle ganz in sie verliebt sind. Wir spielen Knack, Tischtennis und Federball und schwimmen im gruenen See. Gegen Abend leert es sich, als wir zusammenpacken sind kaum noch Menschen da. Es ist so friedlich und die Stimmung um den See ist so sehr wie aus einem Moerike-Gedicht geklaut, dass es mir fast die Traenen in die Augen treibt. Ich bin froh, dass die Gluecksmomente nach der Reise nicht abreissen.

Eine Woche habe ich jetzt noch hier, bevor ich nach Tuebingen fahre und beginne, mich wieder um Dinge zu kuemmern, die etwas mit der realen Welt zu tun haben. Ein letzter Eintrag steht noch aus, in dem ich noch einmal Bilanz ziehen will. Ans Bloggen habe ich mich so sehr gewoehnt, dass ich damit auch nach der Reise nicht aufhoeren will. Es wird also weiter Dinge von mir zu lesen geben. Ueber die neue Blogadresse werde ich beizeiten informieren und ich freue mich, wenn ihr mich weiterhin gerne lest.

Istanbul

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Istanbul und ich, das ist die ganz grosse Liebe.
Bayrampaşa

Im Bus ueberfaellt mich kurz die Angst vor der eigenen Courage. Bin ich denn des Wahnsinns, alleine in eine der grössten Staedte der Welt zu fahren ohne auch nur einen Stadtplan im Gepaeck? Ich hab ja keine Ahnung von Istanbul. Ich hab ja noch nicht mal Orhan Pamuk gelesen. Vielleicht ist so ein bisschen Ehrfurcht ganz gut. Ich steige in Bayrampaşa aus und tue mich mit einem schwedischen Paerchen aus dem Bus zusammen, um den Weg in die Stadt zu finden. Wir werden in den kommenden Tagen noch viel zusammen die Stadt erkunden.

Eminönü

Überall ist Wasser. Alles ist blau und golden. Moscheen thronen stolz und maechtig am Ufer. Ein westlicher Orientalismus schlaegt in mir durch und vielleicht verklaere ich diese Aesthetik, aber ich kann mir nicht helfen: Ich finde es bezaubernd. Wir gehen frühstücken auf der Galata-Brücke – der Brücke vom Goldenen Horn, vom Haliç. Der Kellner hat fuenf Jahre in Radolfzell am Bodensee gearbeitet, spricht hervorragendes Deutsch und schenkt uns bunt bemalte Untertassen. Der tuerkische Joghurt mit Honig schmeckt nach Sommerurlaub.

Bosporus

Der Wind weht uns auf dem Schiff um die Nase und die Sonne strahlt genauso wie wir drei. Am Ufer eroeffnen sich immer neue wunderbare Aussichten. Ich kann noch keines der Gebaeude zuordnen. Ich trete der Stadt voellig unbefangen gegenueber – vielleicht trifft mich genau deswegen jeder neue Blickwinkel ins Herz. Mein Kopf wird frei auf den gruenblauen Wellen des Bosporus. Europa und Asien, Moderne und Geschichte, ich fuehle mich im Herzen einer riesigen Metropole aus Gegensaetzen, die europaeischen Lebensstil und mitteloestliche Lebensfreude zu einer einzigartigen Synthese bringt.

Sultanahmet

Der Weg fuehrt durch den Gülhane-Park am Topkapı-Palast vorbei zur Ayasofia. Buntes Treiben auf den Strassen, Touristen werden sofort als solche erkannt. „Hey Lady! Lady!“ rufen uns die Strassenverkaeufer zu, um uns was auch immer zu verkaufen – Kebab, Orangensaft, Schmuck, Teppiche. Am Orangensaft kommen wir nicht vorbei, er wird vor unseren Augen frisch gepresst und schmeckt so suess und fruchtig, dass ich mir kaum vorstellen kann, jemals wieder Saft aus einem Tetrapack zu trinken. Wir lernen einen sechzigjaehrigen Goldschmied kennen, der seinen Çay neben uns trinkt. Er teilt tausend Lebensweisheiten mit uns – manche sind gut, manche sind weniger gut.

Taksim Meydanı

Ich treffe Emre, meinen Couchsurfing-Gastgeber, abends am Taksim Meydanı. Ich bin frueh dran und gebe meinen touristischen Beduerfnissen nach: Venti Iced latte bei Starbucks. Chaotischer Verkehr, ausschliesslich junge Leute, eine ueberdimensionale tuerkische Flagge, feine Hotels, Dürüm-Staende. Das geballte Leben am Kreisverkehr vor der Metrostation. Alles ist schnell und energiegeladen, aber das Gefuehl von Stress will sich nicht einstellen. Emre und ich laufen zu seiner Wohnung in einer Sackgasse. Ploetzlich ist alles ruhig. Dutzende von streunenden Katzen spielen auf der laecherlich steil abfallenden Strasse. Das Leben von Taksim tobt nur ein paar Blocks weiter. Ich fuehle mich hier sofort wohl. Fuenf Tage spaeter, wenn ich von dort zu meinem Shuttlebus nach Bayrampaşa laufen werde, werde ich mich fuehlen als haette ich hier gelebt und es nicht nur besucht.

Fındıklı

Fındıklı ist die Metrostation, die man erreicht, wenn man von Emres Wohnung immer bergab zum Wasser laeuft. Ich fruehstuecke am Ufer Starbucks-Kaffee und Börek. Bosnien hat sicher den besten Burek auf dem Balkan, aber die Tuerkei ist das Mutterland des Börek. Der Blick auf den Bosporus – unbeschreiblich. Ein Spielplatz mit laermenden Kindern nebenan zaubert mir ein Laecheln auf’s Gesicht. Ich lege es die gesamte Zeit in Istanbul nicht ab.

Gülhane Parkı

Der Rosenhaus-Park, so die deutsche Uebersetzung, am Topkapı Sarayı ist eine Oase der Ruhe in dieser riesigen Metropole. Er ist gruen und bunt und laedt zum Entspannen ein. Ich sitze auf einer Bank, hinter mir spielen zwei Jungs Gitarre. Ich ziehe auf den Rasen um und warte, dass sie etwas spielen, das ich kenne. Da: „Wonderwall“. Ich fange an zu singen. Sie winken mich zu sich rueber und wir machen gemeinsam Musik und unterhalten uns nett. Die zwei kommen aus Libanon. Es ist so einfach, hier Menschen kennen zu lernen! Es faengt an heftig zu regnen. Ich suche Schutz unter einem Baum. Eine Baby-Katze versteckt sich unter meinem bodenlangen Rock.

Sultanahmet Camii

Laute Geschaeftigtkeit herrscht in der Blauen Moschee. Die Schuhe muessen wir ausziehen, aber das Kopftuch ist im Besucherbereich nicht notwendig. Kinder rennen und spielen auf dem weichen Teppich. Ueberalle sitzen Menschen im Schneidersitz auf dem Fussboden, Touristen lesen sich gegenseitig aus Reisefuehrern vor, das Klicken der Kameras reisst nicht ab. Es ist trotz allem ein spiritueller Ort. Die Glaeubigen beten dort nur mitten im Leben und nicht in der stillen Abgeschiedenheit. Ich empfinde Moscheen als so viel einladender als christliche Kirchen, die haeufig einschuechtern mit ihrer unsubtilen Demonstration von Macht und Groesse. Ich denke an den Petersdom in Rom. Ich assoziiere: gross und eindrucksvoll. Ich denke an die Blaue Moschee. Ich assoziiere: warm und lebendig.

Taksim I

Taksim, oh, Taksim. Ich habe mein Herz an Taksim verloren. Das Leben ist hier dichter als an anderen Orten. Emre und ich essen in einem einfachen kleinen Lokal. Wir suchen uns den Fisch im Fenster selbst aus. Dazu Salat und zum Nachtisch Wassermelone. Alles ist hier geschmacksintensiv und frisch. Anschliessend laufen wir durch die verschlungenen kleinen Strassen mit Kopfsteinpflaster und tausend Strassencafes. Wir trinken Bier in einer Kneipe, in der ausschliesslich gute Musik laeuft. Es gibt tausend Dinge zu sehen und alles scheint sich staendig zu veraendern, ohne dass es unangenehm unruhig waere. Bunte Lichter an alten Haeusern. Zigarettenrauch und Dürüm-Duft in der Luft. Menschen, die sich zufaellig treffen und mit einer Herzlichkeit begruessen, die mich anruehrt. Der Ort sprueht vor einer Energie, die ansteckend ist. Das Glueck kommt ueber mich wie eine Welle.

Kadıköy

Von Beşkitaş bringt die Faehre uns nach Kadıköy auf der asiatischen Seite Istanbuls. Am Haydarpaşa Bahnhof, von dem aus traditionell die Hajj nach Mekka beginnt, laufen wir langsam in den Hafen ein. Wir trinken tuerkischen Kaffee am Ufer des Bosporus und geniessen die entspannte Atmosphaere. Es fuehlt sich nicht sehr anders an auf diesem neuen Kontinent. Aber ein bisschen. Ich kann nicht beschreiben, warum. Ueber Europa zieht ein Gewitter herauf. Ein wahnsinniger weiter Himmel spannt sich ueber uns. Dass diese Stadt so gross ist und man trotzdem immer so viel Himmel sieht!

Ayasofia
Ayasofia, die beruehmte. Ein historischer Platz. Wunderschoen. Unfassbar. Mich macht er vor allem traurig. Wieder denke ich an Rom, diesmal an die Sixtinische Kapelle. Meine Gastmama hat darueber gesagt: „It was like a mall in there.“ Ayasofia ist kein spiritueller Ort mehr. Es ist jetzt nur noch ein Museum. Nur noch? Vielleicht ist das der einzige Weg, dieses unvergleichliche Bauwerk zu schuetzen vor den Klauen der Geschichte, vor dem Zahn der Zeit. Es faellt mir schwer, Ayasofia nicht als geweihten Ort zu begreifen, sondern als ein touristisches Objekt. Ich kann sie nicht richtig spueren. Sie bleibt trotz ihrer Schoenheit ein wenig seelenlos.

Topkapı Sarayı

Ich fuehle mich wie in den Gaerten von Alamut. Wieder denke ich, dass meine westliche Erziehung vermutlich den orientalischen Stil zu einem maerchenhaften Wunder. Ob ein Tuerke Topkapı wohl so empfindet wie ich etwa Sanssouci? Und wie empfindet ein Tuerke dann Sanssouci? Ich verliere mich in den verschiedenen Palastgebaeuden und den endlosen Gartenanlagen. In einem Raum singt ein junger Mann aus dem Koran. Ich stehe zwanzig Minuten und hoere ihm zu, waehrend die Touristen an mir vorbeirauschen, nicht rechts oder links schauend. Koennen sie den Zauber dieser Musik nicht fuehlen?

Ortaköy

„It has to be night,“ sagt Emre, als wir uns gegen 8 auf den Weg nach Ortaköy machen. Wir kaufen Kumpir und setzen uns ans Wasser. Boğaziçi Köprüsü, die erste Bosporus-Bruecke, wird in allen Regenbogenfarben angestrahlt. Blauer Nachthimmel scheint durch eine lose Wolkendecke. Ortaköy Camii, die Moschee, liegt stolz und ruhig hinter uns. Das Leben summt um uns wie in einem Bienenstock. Der Bosporus schlaegt leicht Wellen, aber das Wasser kraeuselt sich nicht so sehr, dass es dumpf wird, sondern es glaenzt wie ein Zerrspiegel. Die bunten Lichter werden zurueckgeworfen in die Nachtluft. Die Stadt hat alles zu bieten, aber sie hat nichts noetig. Ihr groesstes Geschenk fuer den geneigten Besucher ist, dass er hier einfach sein kann.

Taksim II

Auch tagsueber verliert Taksim nichts von seiner Anziehungskraft. Ich kaufe mir einen Ring. Ich moechte die Stadt am Finger tragen. In der langen Fussgaengerzone, İstiklâl Caddesi, spielen alle paar Meter Strassenkuenstler Musik von voellig unterschiedlichem Stil und Klang, alle paar Meter aendert sich die Atmosphaere. Emre und ich rauchen Nargile (Shisha), essen Dürüm (Kebab im Wrap), trinken Ayran (Joghurt) und spielen Tavla (Backgammon). Wir sitzen in einem Hinterhof, in dem Menschen bei Çay oder Kaffee zusammensitzen und antiquarische Buecher verkauft werden. Wir schauen einfach nur zu. Noch nie ist es mir in einer wirklich grossen Stadt so leicht gefallen, zur Ruhe zu kommen.

Haliç

Der Shuttlebus von Taksim nach Bayrampaşa faehrt am gesamten Suedufer des Goldenen Horns entlang. Ich blicke noch einmal hinueber nach Beyoğlu. Am Horizont ueber Istanbul geht ein roter Mond auf. Ich verlasse die Stadt sehr wehmuetig. Es waere nicht auszuhalten, wenn ich nicht das sichere Wissen im Herzen truege, dass ich wiederkommen werde, wann auch immer.

Hamburg / Motto

Noch immer in Hamburg, komme ich inzwischen ein wenig dazu, meine Reise vorzubereiten. Ich sitze zum Beispiel gerne bei Starbucks und lese in meinem Lonely Planet – autsch, soviel zu meiner Individualität. Ausgerechnet der Lonely Planet, den sich jeder Rucksackreisende anschafft. Und dann auch noch Starbucks, so ein heterotopisch anmutender Ort! Hm, ich frage mich, ob ich es wohl schaffe, Foucault mental zuhause zu lassen? Na, wenigstens kann ich versprechen, dass ich auf der Reise alles daran setzen werde, nicht ein einziges mal bei McDonalds / Burger King einzukehren!
Und immerhin fühle ich mich inzwischen in der Geographie Osteuropas so sicher, dass ich mir ein paar alternativ einsetzbare Reiserouten zurechtgelegt habe. Nebenbei wächst die Liste von Anschaffungen, die ich noch tätigen muss: Ohropax für laute Hostel-Schlafsäle, Wandersocken, eine zusätzliche Speicherkarte für die Kamera. Über diesen Überlegungen werde ich täglich ein bisschen aufgeregter.

Jenseits von materiellen Planungen beginne ich auch, mich emotional auf die Reise einzustellen. Vielleicht ist einigen aufgefallen, dass ich das polnische Motto auf dieser Seite geändert habe. Zuvor stand da:

Za rzeką i za górą, ciągle nas kusi blask. Jest tyle miast przed nami, za nami tyle miast… Bo nie wiemy co za tym dniem, za horyzontem, za snem, jaki rysunek miast i skąd ten w oczach blask; czy to jest ten drugi brzeg, koniec szukania, dróg kres; czy to twój rysunek ust – Co może być, jest już…

Es handelt sich bei diesem hübschen Text um ein Zitat aus einem Lied von Grzegorz Turnau. Nach wie vor bleibe ich dabei: Es ist zum Übersetzen einfach zu kitschig. Wer eine unkitschige Übersetzung leistet, bekommt von mir etwas von der Reise mitgebracht.
Das neue Zitat ist, Überraschung, von Ryszard Kapuściński. Wer es sich noch nicht gedacht hat, ich bin ein großer Fan.

Podróż przecież nie zaczyna się w momencie, kiedy ruszamy w drogę, i nie kończy, kiedy dotarliśmy do mety. W rzeczywistości zaczyna się dużo wcześniej i praktycznie nie kończy się nigdy, bo taśma pamięci kręci się w nas dalej, mimo że fizycznie dawno już nie ruszamy się z miejsca. Wszak istnieje coś takiego jak zarażenie podróżą i jest to rodzaj choroby w gruncie rzeczy nieuleczalnej.

Annelie hat in einem Kommentar weiter unten schon eine Übersetzung gechrieben, vielen Dank! An dieses Stück traue ich mich aber selbst auch heran. Also:

Die Reise aber beginnt nicht in dem Moment, in dem wir uns auf den Weg machen, und sie endet nicht, wenn wir das Ziel erreicht haben. Tatsächlich beginnt sie viel früher und endet so gut wie niemals, denn das Band der Erinnerung spinnt sich in uns weiter fort, auch wenn wir uns physisch schon lange nicht mehr vom Fleck bewegen. Es gibt doch schließlich so etwas wie die Ansteckungsgefahr des Reisens, und dabei handelt es sich um eine Art Krankheit, die im Grunde genommen unheilbar ist.

Eine familiäre Vorbelastung macht mich wohl besonders anfällig für diese Krankheit. Ausgebrochen ist sie spätestens vor zehn Jahren, als ich mich auf den Weg in mein Austauschjahr nach El Paso, Texas machte. YFUler wissen was ich meine, wenn ich sage: Ich habe vielleicht einfach seit damals nicht mehr mit dem Reisen aufgehört, und genauso wie es bei der Reise nach Amerika war, so hoffe ich auch von dieser Osteuropareise, dass sie niemals aufhört. Erstmal freue ich mich aber darauf, mich auf den Weg zu machen, auch wenn die Reise schon längst angefangen hat.

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