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Brückenschläge und Schlagworte

Wien / Bratislava / Budapest

Man haette ja auch fliegen können. Aber Zugfahren erlaubt es, so richtig Abstand zu bringen zwischen den Ort, den man verlaesst, und den, zu dem man reist. Im Übrigen ist so eine Bahnfahrt von Berlin nach Wien doch sicherlich immer für eine Überraschung gut und überdies unschlagbar günstig. Ich steige morgens um halb 9 in Berlin in den Zug und – schwupps! – zehn Stunden spaeter bin ich in Wien. Dazwischen liegt ein Abenteuer: Ich teile eine Sitzgruppe im Grossraumwagen mit einer sechsköpfigen bosnischen Familie, Mama und fünf Söhne, der aelteste so um die 15, die jüngsten Zwillinge von etwa 4 Jahren – halleluja! Wenn ich nicht aufgeregt gewesen waere und ausgesprochen gut gelaunt, haette mich nach etwa einer halben Stunde der Geruch von warmgewordenen Milchprodukten aus der riesigen Provianttüte tödlich genervt, und das Geschrei der Zwillinge erst recht. Ich bin aber gut gelaunt, und laechle die arme Mutter immer wieder an, damit sie kein schlechtes Gewissen hat. Dafür bietet sie mir spaeter in gebrochenem, aber ausgesprochen charmantem Deutsch Waffeln an. Jetzt freue ich mich noch mehr auf Bosnien!

Wien ist wunderbar, aber vor allem wegen Nele und der schönen entspannten Zeit, die wir miteinander verbringen. Die Stadt und ich werden keine besten Freunde mehr, ich halte sie auf Distanz. Sie ist mir zu kühl und zu adrett.
Umso schöner der Tagesausflug nach Bratislava. Die Stadt wirkt kaum wie eine Hauptstadt, zu verschlafen und gemütlich kommt sie daher an diesem Schönwettersonntag. Aber gegen die Abwesenheit von Hektik habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Nele und ich schauen in die Martinskathedrale hinein, dort gibt es ein kostenloses Konzert, ich glaube es ist eine Passion. Herrlich! Anschliessend gehen wir ausgesprochen gut und günstig essen in einem Restaurant, das der Lonely Planet empfiehlt. Um uns herum spricht man trotzdem, Gott sei Dank, nur Slovakisch, es ist also keine Touristenfalle und die Atmosphaere stimmt auch mit Haekelvorhaengen und alten Radios und Schreibmaschinen als Deko. Ich versuche auf Polnisch zu bestellen und das klappt ganz gut.

Und ploetzlich ist schon Montagmorgen und ich steige in Wien an einer der zahlreichen Baustellen, die ein Bahnhof sein wollen, wenn sie gross sind, in den Zug nach Budapest. Drei Stunden dauert die Fahrt, jetzt ist es endlich so richtig losgegangen!
Am Keleti Bahnhof steige ich aus, das Gebaeude ist wunderschön und alles ist aufregend. Es ist ein Kopfbahnhof, und zwischen Gleisende und Absperrung spielen alte Maenner Schach. Das Wetter ist fast sommerlich warm und es herrscht ein buntes Treiben. Ich gebe meinen Rucksack in die Gepaeckaufbewahrung und stiefele los.
Als erstes lande ich, eher zufaellig, im juedischen Viertel. Die Synagoge ist von aussen herrlich, aber es ist voll und teuer und das Wetter ist zu schön um drinnen zu sein. Ich laufe also weiter und erkunde Pest von allen Seiten. Viele hübsche Ecken gibt es, und ich bin ganz angetan. Mehr oder minder plötzlich stehe ich auf dem Szabadsag ter, der umrahmt ist von herrlichen Gebaeuden, und meine Begeisterung waechst – und dann taucht das Parlament auf und ich kann mich kaum noch halten. Der Reichstag wirkt wie eine schlecht gestrichene Streichholzschachtel dagegen.
Mir faellt auf wie lange ich nicht mehr in einem Land war, in dem ich die Sprache kein bisschen verstehe. Ich habe noch nicht mal eine Ahnung, wie man irgendwas aussprechen könnte. Was die Leute reden ist mir ein völliges Raetsel. Heute, drei Tage spaeter, habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt, ich spreche jetzt in der Metro dem Ansager die Stationen nach um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen, aber es ist so unfassbar anders, dass es mich manchmal etwas anstrengt. Dunkel fühle ich mich an die Zeiten erinnert, in denen das Polnische mir genauso fremd war. Wie schön, dass das vorbei ist!
Nun, ich fahre also abends zu meinen Gastgebern zur ersten Couchsurfing-Erfahrung, ich habe lange niemanden gefunden und Melinda und Laszlo haben sich sehr kurzfristig bereit erklaert, mich aufzunehmen – die beiden sind entzückend und wahnsinnig hilfsbereit und freundlich. Sie müssen die ganze Woche sehr viel arbeiten, aber ich bekomme haufenweise Hinweise auf lohnenswerte Aktivitaeten.
Am naechsten Morgen stehen wir alle frueh auf, da ich keinen Schlüssel habe muss ich mit den beiden das Haus verlassen. Ich erkunde tagsüber das Parlament von innen – für EU-Bürger ist das kostenlos. Besonders gefallen mir die Zigarrenhalter vor den Plenarsaelen und die Tatsache, dass sich der Securitymann am Eingang von dem Hinweis auf das Messer in meiner Tasche (sowas muss man als Backpacker ja dabei haben) kein bisschen beeindrucken laesst. Ich schaue mir auch die Stephanskathedrale an und gehe nachmittags mit einem ungarischen Maedchen, das ich ebenfalls über Couchsurfing kontaktiert habe, zum Schloss hoch. Es ist ein sehr netter Nachmittag mit angeregten Diskussionen.
Heute schliesslich war ich früh am Heldenplatz und dann im Haus des Terrors, einem Museum über die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, und den Soviet-Terror in Ungarn. Museumspaedagogisch erinnert es mich hier an das Museum zum Warschauer Aufstand in Warschau, es ist sehr interaktiv und emotional aufgezogen. Ich lasse mich darauf nicht mehr so stark ein wie früher vielleicht. Ich habe aber auch sachlich einiges mitgenommen, denn ich war so firm zuvor in ungarischer Geschichte nicht. Am fruehen Abend bin ich in einem kostenlosen Konzert im Palast der Kuenste und geniesse anschliessend das Sonnenuntergangs-Panorama auf dem Gellert-Hügel.

Untermalt werden diese vielen kulturellen Eindrücke natürlich von den zugehörigen Kleinigkeiten – zum Beispiel das Geraeusch der Krankenwagen. Es klingt wie ein Laser-Maschinengewehr in einem Computerspiel, das einen besonders scheusslichen Ork töten soll. Oder die roten Postkaesten. Oder die Computertastatur, auf der es ü und ö gibt, aber keinen a-Umlaut, dafür ł und Ł, obwohl die Ungarn das nicht brauchen. Oder der kurze Ausflug in die Markthalle, wo es so wahnsinnig gut duftet nach Gemüse, Gewürzen, frischem Fleisch und ganz viel Knoblauch und Paprika. Diese Kleinigkeiten werden sich noch weiter zu einem Ungarn-Gesamteindruck zusammenfügen. Denn noch ist ja Ungarn nicht abgeschrieben: Morgen geht es erstmal nach Kecskemet, und dann nach Pecs und an den Balaton. Ich hoffe zum Beispiel noch auf ein zünftiges Gulas und auf den ersten Titel in meinem Lieder-Repertoire, das ich mitbringen soll. Da gibt es noch viel zu tun. Also: Szia!

3 Kommentare

  1. Das hört sich ja alles ganz zauberhaft an! Wie schön, daß Du Deine Erfahrungen mit uns teilst. Ich warte auf weitere Berichte. Liebe Grüße

  2. schöööööön…da kann mein reisebericht aus bremen nicht mithalten 😉

  3. haaach ich fühle mich bei Wien und Budapest, vor allem aber in Budapest, so an meinen Österreich-Ungarn Trip vom Dezember erinnert…der Bahnhof, die Gepäckaufbewahrung, das Parlament, die Steühanskathedrale (war bei dir denn wenigstens die Reliquienhand beleuchtet oder hat sich keiner erbarmt Geld in den Lichtautomaten zu werfen)…leider musste das bei mir ja wegen des gestrichenen Fluges alles Ruckizucki gehen, Budapest in 4 Stunden, aber toll fand ichs trotzdem :-)Allerdings fand ich auch Wien ganz wunderhübsch und toll…und auch bei Berlin sind wir uns auch uneins… aber sonst, haaaaaach, tolle Reise!

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