Auf Twitter habe ich es nicht geschrieben, aber auf Facebook. Und ich wollte erst gar nicht. Aber dann schreib eine Freundin von mir, eine Amerikanerin, ein Statusupdate. Sie schrieb sinngemäß: „Ich habe die Beiträge unter #metoo gesehen und gedacht ‚Ganz genau!‘ Und dann habe ich gedacht: ‚Ich glaube meine Erfahrungen zählen nicht.‘ Deshalb ist diese Aktion wichtig.“ Ich fühlte mich so ertappt. Und erst dann konnte ich es schreiben. Ich auch. Denn ja, auch meine Erfahrungen zählen.

Ich hatte Angst gehabt, die Erfahrungen von Frauen zu schmälern, ihre Bedeutung zu verwässern, die wirklich vergewaltigt worden sind. Aber hier geht es nicht nur um diese entsetzlichsten der Fälle. Es geht um Belästigung und um Missbrauch. Und vielleicht ist es genau Teil des Problems, dass wir gar nicht wissen, was wir mit Belästigung meinen, und wo die Grenze zum Missbrauch ist. 

Bin ich missbraucht worden, wann immer mir jemand auf Partys, in Clubs oder in überfülltem Verkehrsmitteln an den Hintern oder den Busen gegriffen hat? Oder dann, wenn mir jemand so lange auf die Nerven ging, bis ich einvernehmlich mit ihm schlief, weil ich nicht als prüde oder frigide gelten wollte, obwohl ich selbst keinen Sex wollte und es mir weh getan hat? Vielleicht erst, wenn mich jemand bedroht oder beschimpft hat als „nichts als ein Stück Fleisch mit ein paar Löchern zum Ficken drin“? Und wie knapp bin ich dem Missbrauch entronnen, als der Taxifahrer seine rechte Hand auf meine Brust legte und sie erschrocken zurück zog, als ich ihm meinen Ellenbogen mit voller Wucht in die Seite rammte und das Auto einen gefährlichen Schlenker auf der menschenleeren Straße machte?

Ist das alles „nur“ Belästigung und deshalb nicht der Rede wert? Ist erst der Missbrauch so schlimm, dass ich ein Recht darauf habe, davon traumatisiert zu sein? Sollte ich mich nicht so anstellen? Soll ich akzeptieren, dass ein solches Verhalten Teil der Gesellschaft ist? 

Nein. Nein, nein, nein. Dass ich diese Erfahrungen gemacht habe und weitere mache, dass fast alle meine Freundinnen und weiblichen Verwandte #metoo geschrieben haben, ist keine Zwangsläufigkeit. Ich bin schockiert davon und denke bei jedem #metoo: „Was, du auch??“ Und dann stelle ich fest, dass ich im Grunde nicht überrascht bin, und dann werde ich wütend.

Jahrelang habe ich geglaubt, dass es aus Versehen passiert, wenn fremde Männer mich in der Öffentlichkeit anfassen. ‚Ist ja auch eng hier, das kann keine Absicht gewesen sein‘. Aber warum fühlte ich mich danach immer so schlecht? Einmal hatte ich eine Begegnung mit einem Exhibitionisten. Ich stand an der Ampel, hinter mir pfiff es und hinter einem Baum winkte ein eregierter Penis hervor. ‚Mich kann der nicht wirklich gemeint haben‘, dachte ich. Aber ich hatte danach tagelang Übelkeitsgefühle und mied die Ecke, an der es geschehen war. Ich habe auch bei der Polizei angerufen. Sie haben es aufgenommen, aber besser habe ich mich danach nicht gefühlt. 

Von vielen Erfahrungen habe ich gerade als junges Mädchen niemandem erzählt, weil ich mir sicher war, dass mir keiner wirklich glauben würde. Ich stand nämlich den größten Teil meines Lebens unter dem Eindruck, ich wäre so hässlich, dass mich nicht einmal jemand freiwillig belästigen würde. Manchmal fragte ich mich in der Disco traurig, warum mir niemand in den Ausschnitt schielte. Wenn es dann aber passierte, dass mich jemand angeiferte und sabbernd (und das meine ich nicht metaphorisch) zu meinen Brüsten sagte: „Ich find dich geil!“, dann ekelte ich mich still, lief weg, und sprach nicht darüber. Wer würde mir schon glauben, dass mich jemand „geil“ fand. Und wenn sie mir glaubten, würden sie mir dann nicht sagen, ich sollte mich glücklich schätzen?

Das ist die gesellschaftliche Realität. Junge Mädchen, die glauben, dass sie sexuelle Belästigung als Kompliment aufzufassen haben. Wie krank ist das denn?

Ich bin dankbar für #metoo. Es gibt mir die Möglichkeit, darüber zu sprechen, was nicht okay ist. Eine starke Schulter zu sein für diejenigen, die Schlimmeres erlebt habe als ich. Mit denjenige zu sprechen und von denen zu lernen, die stärker sind als ich und sich öfter gewehrt haben. Diejenigen aufzuklären, die glauben, dass sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch nur ein paar Täter kennen, schwarze Schafe, die einfach böse sind.

Wenn der Hashtag Männer dazu bringt, ihre Frauen, Freundinnen und Schwestern nach ihren Erfahrungen zu fragen, wenn das eigene Verhalten reflektiert wird, wenn alle erkennen, wie flächendeckend die Respektlosigkeit in der Gesellschaft nistet, wie stark sich Männer über Potenz und Frauen über sexuelle Verfügbarkeit definieren, welche Folgen das für unsere Beziehungen hat und wie tief diese ekelhaften Muster in uns sitzen, dann haben wir viel erreicht. Ich für meinen Teil jedenfalls bin es Leid, zu akzeptieren, dass sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch eine gesellschaftliche Notwendigkeit sein sollen. 

Wer übrigens ernsthaft behauptet, er traue sich nun nicht mehr, Komplimente zu machen, der hat nichts verstanden. So ehrlich sollte jeder zu sich selbst sein können, dass er weiß, ob das Kompliment eine ehrliche Anerkennung von Schönheit ist oder ob daran sexuelle Interessen, gar Ansprüche geknüpft sind. Im zweiten Fall ist ein Kompliment kein Kompliment, sondern eine widerliche Manipulation. Wer das nicht unterscheiden kann, sollte aller Wahrscheinlichkeit nach die „Komplimente“ einstellen.