Es ist so: Ich habe auch Senf zu Meike Lobos Feminismus-Kritik abzugeben. Oder zu Nils Pickerts Replik darauf. Mir fällt so einiges dazu ein, warum ich zwar Julia Klöckners Tweet übers AfD-Wählen völlig daneben fand, warum ich aber gleichzeitig der Meinung bin, dass der Tumbler Die Methode Klöckner ungünstigerweise eine echte Kritik nahezu unmöglich macht. Blogposts, die das AfD-Wahlprogramm kommentieren oder sich in irgendeiner Form konstruktiv mit wichtigen Argumenten gegen diese Partei beschäftigen, waren in meinem Kopf schon halb ausformuliert. Auch der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf und die Tatsache, dass Ted Cruz politisch mindestens so unerträglich ist wie Donald Trump, beschäftigen mich. Die übermäßige Häufung von Links in den ersten Sätzen dieses Textes erklärt, warum ich all das bisher nicht aufgeschrieben habe: Es gibt schon alles.

Und damit meine ich nicht „das meiste“ oder „sehr viel“. Es gibt schon alles. Angesichts dessen überkommt mich eine große Resignation. Warum soll ich alles mögliche aufschreiben, wenn erstens schon alles irgendwo im Netz steht und zweitens, vielleicht noch wichtiger, sowieso alles in der Filterblase bleibt, die mir nachher wohlgemut auf die Schulter klopfen wird und es ganz toll finden, was ich geschrieben habe, während die, die man eigentlich erreichen müsste, weitermachen. Mir platzt bald der Kopf in diesem Affenzirkus. Ich will etwas tun, ich will so dringend etwas tun. Und gleichzeitig bin ich so unendlich müde, wenn mir im Netz dieser wahnwitzige Hass begegnet. Auf Flüchtlinge, auf Frauen, auf Ausländer, auf Linke, auf die CDU (weil es die CDU ist), auf die SPD (weil sie geworden ist wie die CDU), you name it. Wann ist diese Gesellschaft so wütend geworden, und hat es diese unterschwellige Gewalt in die ganze Zeit über gegeben oder ist die neu?

Ich merke das an mir selbst. Die aufgeladene Stimmung in den (sozialen) Medien schlägt mir aufs Gemüt – und dabei meide ich zumindest Facebook schon seit Monaten, weil ich es dort nicht mehr aushalten kann. Trotzdem hat diese Wut auch schon von mir Besitz ergriffen. Ich habe mich schon immer leidenschaftlich aufgeregt, wenn Autos den Fahrradweg zuparken oder sich beim Abbiegen in die Fahrradspur stellen, um die Fußgänger durchzulassen, wenn Leute nicht in der Lage sind, erst die Menschen aus der U-Bahn aussteigen zu lassen, bevor sie einsteigen oder wenn bei der Arbeit jemand mit dem Aufzug, mit dem ich in die siebte Etagemuss, vom ersten in den zweiten Stock fährt, anstatt die Treppe zu nehmen. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit mehr latenter Aggression auf diese Dinge reagiere als früher. Ich rege mich über Kleinigkeiten mehr auf, und es nervt mich kolossal.

Ich reiße mich natürlich zusammen. Denn eigentlich bin ich ja nicht sauer auf gedankenlose Teilnehmer im Straßen- oder Liftverkehr. Ich bin sauer auf diejenigen, die undemokratische und antihumanistische Ansichten vertreten. Ich bin sauer auf Meinungen. Das ist eine ausgesprochen aussichtslose Wut, und ich will sie nicht haben, weil ich glaube, dass sie genau der Sache dient, die mich aggressiv macht. Und dann rege ich mich über die kleinen Dinge auf, weil ein Aufregen über die großen Dinge so unendlich hoffnungslos erscheint.

Was mir mehr fehlt als alles andere ist eine sachliche Diskussion. Über alles. Über den Feminismus, über die Landtagswahlen und die AfD, und über die Flüchtlinge und über die Wahlen in den USA. Wo wir schon dabei sind: eine Debatte über die EU, über den wachsenden Rechtspopulismus auf dem ganzen Kontinent, über Polen und Ungarn, aber auch über die Türkei und Mazedonien. Eine Debatte, in der keine Keulen ausgepackt werden und keiner beleidigend oder ausfallend wird, sondern ruhig und fundiert Argumente ausgetauscht, bestärkt und / oder entkräftet werden. Das ist sehr schwer, wenn es um emotionale Themen geht, und es ist am allerschwersten, wenn Menschen diffamiert und Menschenrechte angegriffen werden. Und je radikaler die eine Seite kreischt, desto schärfer versucht die andere Seite, dagegen zu halten.

Die Rhetorik hat sich verselbstständigt, sie ist radikal geworden. Ich möchte ja gerne Argumente vorbringen, ruhig und sachlich. Aber ich bin selbst schon viel zu emotional dazu. Ich will mich deswegen in diesen Diskurs nicht einschreiben, denn ich möchte nicht anfangen zu kreischen. Gleichzeitig kann ich mich nicht nicht äußern. Ich will doch Farbe bekennen, ich will, ich muss etwas tun, und wenn es nur ein Text ist, den ich schreibe. Diese Lage frustriert mich über alle Maßen.

Es gibt einen Grund, warum Bernd Höcke die AfD lieber auf der Straße sieht als dabei, wie sie im Landtag Politik  macht, weil das die Partei „keinen Schritt weiterbringt (das hat er selbst so gesagt). Die AfD kann agitieren, sie kann ideale wie katastrophale Szenarien der Zukunft entwerfen. Dass die Wunschvorstellungen der Partei von einer deutschen Heimat für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung nicht erstrebenswert sind, ist erfreulich. Dass sie dennoch eine große Menge ansprechen, ist bedenklich. Ein ganz konkretes Problem ist jedoch, dass die AfD alle aggressiv macht und nicht nur ihre Anhänger. Diejenigen, die sie mit ihren Agitationen erreicht, richten ihre Wut auf das Feindbild der AfD. Die anderen richten sie auf die AfD.

Irgendwann kann man in diesem ganzen Theater nur noch mitschreien oder schweigen. Das ist Teil der großen Gefahr. Im letzten halben Jahr habe ich sehr sehr viel gelesen und sehr wenig geschrieben. Politische Diskussionen im Bekannten- und Familienkreis machen mir Angst. Ich fürchte mich davor, Dinge zu hören, die ich nicht hören will von Menschen, die ich mag. Aber es gibt jetzt keine Ausreden mehr. Und vielleicht, leider, nach den morgigen Landtagswahlen noch viel weniger. Zu resignieren, zu schweigen – ist leicht. Farbe zu bekennen, zu reden oder schreiben – ist schwer. Aber Agitation ist auch leichter als Politik zu machen. Wenn die andere Seite weiter schreit, ist zu schweigen definitiv keine Option.