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Brückenschläge und Schlagworte

Kategorie: Balkans 2010 (Seite 5 von 5)

Kotor / Budva / Ulcinj / Tirana / Berat

Endlich reisst die Wolkendecke auf, die mich nun seit einer Weile begleitet hat, und es wird sommerlicher. Im Hostel in Kotor treffe ich mehrere Reisende wieder, die ich in Mostar kennen gelernt habe. Zusammen mit einigen Ankoemmlingen aus anderen Richtungen finden wir uns zu einer bunten Runde zusammen, die gemeinsam Kotor und die Straende an der montenegrinischen Kueste erkundet.
Kotor ist eine kleine, gemueliche, traditionellere Ausgabe von Split. An allen drei Tagen, die ich dort bin, kaufe ich auf dem Markt frische Erdbeeren und Joghurt. Wir klettern auf die Festung, ein ziemlicher Gewaltmarsch im warmen Wetter, aber das Picknick oben mit der herrlichen Aussicht ueber die weite Bucht ist den Aufstieg definitiv wert. Wir fahren nach Jaz an den Sandstrand, der nicht haelt, was die Einheimischen in Kotor versprechen, aber die Altstadt von Tivat ist huebsch und die Kuestenstrasse eroeffnet herrliche Landschaften mit wilden gruenbewachsenen Bergen und der ausgedehnten Adria.

Sana aus Kanada hat ein Auto gemietet. Nach zwei Naechten in Kotor fahren wir gemeinsam mit Steve aus Australien nach Budva. Die Stadt gefaellt uns, und spontan beschliessen wir eine Nacht zu bleiben. Abends schauen wir das Championsleague-Finale, kein Mensch spricht Serbisch, es sind nur Auslaender in dem Irish Pub, das das Spiel uebertraegt, aber der Abend ist ausgesprochen unterhaltsam.
Am naechsten Morgen schliesst sich uns noch Chris aus Norwegen an. Gemeinsam fahren wir landeinwaerts zum Skadar-See, aber das Doerfchen, das wir erreichen koennen, ist wenig spektakulaer – was soll’s, der Weg ist das Ziel, denn auf der Fahrt sehen wir wieder wunderschoene landschaftliche Szenerien. Mein staerkster Eindruck von Montenegro ist das schnelle Umschlagen des Wetters. Von einer Minute zur anderen folgt auf strahlenden Sonnenschein und brennende Hitze ein Nieselregen oder gar ein dunkles Gewitter. Insgesamt ist mein kultureller Eindruck eher blass geblieben. Ich komme nicht mit der einheimischen Bevoelkerung in Kontakt, sondern erlebe das Land hauptsaechlich als Touristin. Das ist schade, aber im Moment tut es mir gut, mit anderen Reisenden zusammen zu sein und mich nicht an jedem Ort neu auf einen ortsansaessigen Couchsurfer einzulassen.
Nachmittags erreichen wir Ulcinj. Die Stadt ist deutlich aermer und ungepflegter als Kotor und Budva. Wir bekommen zu viert ein dekadentes Hotelzimmer mi Balkon und Meerblick fuer 7,50 Euro pro Person. Die Adria ist noch kuehl, aber der Strand ist sandig und sauber.

Am naechsten Tag verstauen wir unsere vier Rucksaecke im Kofferraum eines Taxis zum Busbahnhof und erwischen gerade eben so puenktlich einen Bus nach Shkodra in Albanien. Nur aus dem Busfenster bewundern wir die dortige Festung, bevor wir weiterfahren nach Tirana. Schon auf der Fahrt ist einiges anders als in den slavischen Balkanstaaten. Die Albaner sind zweifelsohne das freundlichste und hilfsbereiteste Volk, das mir jemals untergekommen ist. Keiner versteht uns, aber alle wollen helfen. Der Busfahrer lacht sich scheckig ueber uns, sein Gesicht scheint zu sagen: Warum in Gottes Namen ihr hier seid, werde ich gar nicht versuchen zu begreifen – aber ich bin gerne bereit euch den Aufenthalte so angenehm wie moeglich zu machen. In Tirana fragt der Taxifahrer, der ebenfalls kein Wort Englisch spricht, ungefaehr vier verschiedene Passanten nach dem Weg und uebergibt uns schliesslich an einer Strassenecke an einen Unbekannten, der mit uns zum Hostel laeuft und stuermisch fuer uns an der Tuer klingelt.
Wir beginnen die Stadterkundung am Abend auf dem Weg zu einem Restaurant, in dem wir phantastisches albanisches Essen geniessen – viel Kaese und viel Fleisch, ich esse einen gewuerzten Huettenkaese mit Leber, lecker!
Am naechsten Morgen folgen wir dem Stadtrundgang, den der Lonely Planet vorschlaegt. Tirana wirkt auf mich wie eine Kreuzung aus Berlin, Athen und meiner Vorstellung von Damaskus. Auf Speed. Die Stadt ist schnell, kitschig, dreckig, bunt, haesslich und wunderbar. Der Verkehr folgt keinen Regeln und alles geht voellig durcheinander. Ich schmunzle ueber mein Beduerfnis, Ordnung im Chaos zu erkennen. Es fuehrt mir meine westliche Praegung vor Augen.

Nachmittags verabschieden Steve und ich uns von Sana und Chris, die wieder in den Norden wollen. Steve will nach Korfu, unsere Reiserouten ueberschneiden sich also noch eine Weile und wir verstehen uns praechtig. Wir springen in Tirana in ein Taxi und sagen, so macht man das hier, „Autobus Berat“, und der Taxifahrer bringt uns zum Abfahrtsort fuer den Bus nach Berat. Der Busfahrer spricht, Ueberraschung, kein Englisch, aber er bringt uns bei, wie man „danke“ auf albanisch sagt (falim nderit) und steht dann neben uns und telephoniert. Dann gibt er Steve das Telephon. Er hat seinen Sohn angerufen, damit der uns auf englisch erklaeren kann, dass wir Problemen jederzeit den Busfahrer bitten koennen, seinen Sohn zu kontaktieren und auf englisch fuer uns die Lage zu klaeren. Das ist wirklich deutlich mehr Gastfreundlichkeit als irgendjemand erwarten wuerde.
In Berat finden wir das Hostel schneller als jedes andere Hostel auf der Reise. Es ist mitten im schoensten Teil der Stadt gelegen, in einem alten osmanischen Haus, das auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes steht. Im Garten wachsen Granataepfel, Feigen und Kirschen. Das Hostel gehoert einem ganz unglaublich netten Briten und wir sitzen gemuetlich auf Sofas im Garten bis in den Abend.
Am naechsten Morgen stuermen Steve und ich die Festung. Schon um 10 Uhr ist es so heiss, dass es kaum auszuhalten ist. Der Aufstieg ist muehsam auf dem blankpoliertem Kopfsteinpflaster in der brennenden Sonne, ich wickle mir turbanartig mein Tuch um den Kopf. Wir sind umgeben von osmanischen Steinhaeusern. Oben angekommen ist es deutlich kuehler. Ich bin begeistert von der Atmosphaere und freue mich, dass der Tourismus noch nicht nach Albanien gekommen ist. Ich kann mir ein aehnliches Monument auch in Griechenland vorstellen, aber da waere es teuer und ueberlaufen und voll von haesslichen Souvenirlaeden. Wir klettern auf einen steilen Aussichtsturm. Steve vermutet, dass es sich um die Ueberreste eines Minaretts handelt, und er koennte damit durchaus recht haben. Der Blick ueber das weite Tal mit dem fast ausgetrockneten Fluss, das von schneebedeckten Bergen begrenzt wird, ist monumental. In ein paar Jahren wird der Tourismus hier einschlagen wie eine Bombe.

Wieder im Tal besuchen wir die Tekke mit einer herrlichen goldverzierten Holzdecke, in der uns ein unglaublich freundliches Maedchen eine kleine Tour gibt und kein Geld dafuer annehmen will. Wir schlendern auch durch die Markthalle und kaufen Gewuerze zwischen Kaese- und Fleischstaenden. Alle gruessen uns freundlich und haben gute Laune wenn wir „falim nderit“ sagen. Ich mag die Menschen in diesem Land! Ich bin sehr leicht dadurch gluecklich zu machen, dass Leute nett zu mir sind. Morgen geht es in den Sueden des Landes, nach Moeglichkeit an die schoensten Straende. Da der oeffentliche Transport hier eher provisorisch funktioniert, kann ich nicht genau sagen, wo wir landen. Es ist verrueckt, dass mich das gar nicht nervoes macht, im Gegenteil, ich finde es herrlich, mich nicht festlegen zu muessen. Auf Reisen ist es leicht, dem Motto „Carpe Diem“ zu folgen.

Anekdoten aus Serbien und Herzegovina

Ich fahre im Bus von Kraljevo nach Užice. Der Bus ist ziemlich voll und entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten habe ich keinen Fensterplatz. Neben mir sitzt ein irgendwie altersloser Mann mit gegerbtem Gesicht. Vielleicht ist er schon 75. Vielleicht ist er auch erst 50 und hat in seinem Leben viel und schwer gearbeitet und gekaempft. Er hoert, wie ich vom Busfuehrer mein Ticket kaufe und verzieht kaum eine Mine zu meinen broeckeligen Versuchen, serbisch zu sprechen.
Gegen Ende der Fahrt kommt ein junger Mann aus dem vorderen Teil des Busses nach hinten und unterhaelt sich ueber meinen Kopf hinweg angeregt mit meinem Nachbarn. Ich beachte das zunaechst nicht weiter, sondern doese nur gemuetlich vor mich hin. Schliesslich merke ich, dass er ueber mich spricht. Mein Nachbar sagt zu ihm auf serbisch: „Sie versteht dich nicht.“ Ich nicke und bestaetige: „Ich verstehe nicht.“ Aber manche Menschen sind ja hartnaeckig. Ich unterhalte mich schliesslich fast eine Stunde mit dem Kerl auf serbisch. Das beinhaltet von meiner Seite ziemlich viel „Ne razumijem!“ („Ich verstehe nicht!“) und „Šta?“ („Was?“) und mit Sicherheit tausend gruselige Fehler, Kroatismen, Polonismen und Germanismen, aber ich kann ihm irgendwie verstaendlich machen, wer ich bin und was ich hier und zuhause tue. Mein Gespraechspartner, Damir heisst er, ist aber auch sehr geduldig, und es soll sich zeigen warum: Serbien sei kein gutes Land, Arbeit zu finden sei schwer, das Geld sei zu wenig; Deutschland dagegen – ein Land wo Milch und Honig fliessen, er wolle dorthin auswandern, aber man brauche da diese Papiere, und ein deutscher Staatsbuerger muesse fuer einen buergen, und langer Rede kurzer Sinn, ich koenne das doch eigentlich fuer ihn uebernehmen. Praktisch, dass ich mich wieder auf mein „Ne razumijem“ verlassen kann.Ich bleibe schliesslich noch fuenf Tage in Mostar haengen und bin voellig verliebt in die Stadt und ganz Herzegovina. Auch heute morgen kann ich mich kaum dazu durchringen die Stadt zu verlassen ohne mir selbst zu versichern, dass ich wiederkommen werde. Ich muss wieder dorthin, um besser zu begreifen, wie der Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalitaeten und Religionen weiter schwelt. Gestern war ich mit zwei Amerikanerinnen in einer ausgebombten Bank in Mostar, die im Krieg als Hort fuer Scharfschuetzen benutzt wurde, im „Snipers‘ Nest“. Die Ruine steht direkt an der Frontlinie. Ueberall liegen rostige Patronenhuelsen, und die kaputten Fensterscheiben sind ueber den Boden verteilt, sogar Moebel und Akten sind noch im ganzen Gebaeude aufzufinden. An den Waenden prangen grosse Grafittis von Unterstuetzern der kroatisch-nationalistischen Szene. Wenn man das Stadtpanorama betrachtet, faellt das grosse Kreuz ins Auge, dass die Kroaten auf einem Berggipfel errichtet haben, von dem aus sie im Krieg dynamitgefuellte Traktorreifen auf die Stadt haben rollen lassen. Das „Snipers‘ Nest“ ist ein symboltraechtiger Ort, er zeigt viel von Geschichte und aktueller Situation in Mostar.

An einem Tag in Mostar fahre ich mit Aasa, einer Kanadierin, die im Hostel arbeitet, zurueck nach Blagaj zur Tekke. Wir wollen auf die dortige Burg klettern. Im Ort fragen wir nach dem Weg, der aeltere Herr im Souvenierladen erwaehnt Stein, ich verstehe aber nicht alles, na gut. Wir kommen an eine Kreuzung, da ist ein Schild: Betreten nur mit Helm und Stahlkappenstiefeln erlaubt. Also den anderen Weg, der schnurgerade nach oben fuehrt, mit Felsbrocken und Kieseln bedeckt ist, steil und und ein bisschen gruselig aussieht. Da liegt ein dickes Drahtseil, wir ziehen uns ein bisschen daran hoch. Oben auf der Burg treffen wir auf eine Horde Bauarbeiter. Die lachen sich tot. Sie sagen: „Aber da drueben ist ein Pfad!“ Wir sagen: „Naja, das wussten wir nicht…“ Wir fragen ob wir trotz Bauarbeiten die Festungsruine anschauen durefen. Ein Bauarbeiter sagt einen langen Satz, am Ende faellt das Wort „…pada!“ Ich sage zu Aasa: „It’s falling down.“ Aasa sagt: „Great!“ Und wir stuermen die Festung. Aasa bemerkt nuechtern: „I just realized how ridiculous it is that we thought we couldn’t take the regular path but decided instead to climb that steep slope that probably every normal person with common sense would recognize without a sign to be too dangerous to be used!“ Der Blick ins Tal ist unbezahlbar und die Bauarbeiter schliessen uns umgehend ins Herz und zeigen uns das ganze Gelaende. Anschliessend verbringen wir zwei stille Stunden in der Tekke. Es ist ein herrlicher herrlicher Tag.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.

Mostar und Umgebung / Travnik / Jajce / Banja Luka / Sarajevo

Die Busfahrt von Split nach Mostar eroeffnet wieder Ausblicke, die mich sprachlos machen. In Kroatien werden die Berge immer hoeher und der Blick ueber die Adria wird immer weiter. Hinter der bosnischen Grenze (diesmal Passkontrolle, aber kein Stempel, ich bin fast ein bisschen enttaeuscht) ist alles weicher und gruener. Die Landschaft ist so harmonisch und friedlich, der Krieg, den man mit Bosnien doch so haeufig als erstes assoziiert, er kommt mir gar nicht in den Sinn. Auffaellig nur die grosse Anzahl kleiner Schrottplaetze mit ausgenommenen Autos deutscher Hersteller… ein paar Stereotypen muss wohl jedes Land bedienen.

Die Ankunft in Mostar ist ziemlich dramatisch. Erst will der Busfahrer mit mir was trinken gehen. Nein danke. Dann setzt er mich irgendwo ab und behauptet, die Innenstadt waere ganz nah. Da der Busbahnhof laut Karte tatsaechlich irgendwo in der Wallachei liegt, glaube ich ihm, steige aus und verlaufe mich hoffnungslos. Da stehe ich dann auch ploetzlich zwischen Kriegsruinen und alles ist ein bisschen unheimlich. Nach einer Stunde finde ich das Hostel, habe, hurra, erstmal einen Asthmaanfall vor lauter Aufregung und bin ganz schoen k.o. Keine halbe Stunde spaeter lachen mich die anderen Hostelgaeste aus, weil ich schon voellig wiederhergestellt bin und ausgesprochen gute Laune habe. So kann es gehen. Das Hostel wird von Majda und Bata betrieben, Geschwister um die 40, und liegt in einer Wohnung in einem Plattenbau. Die Stimmung ist unheimlich familiaer und gemuetlich und man muss sich einfach sofort wohlfuehlen.

Am naechsten Tag bietet Bata eine Tour durch die Region an. Fast alle Hostelgaeste fahren mit, und es ist nicht zu irgendjemandes Schaden. Zuerst bringt Bata uns nach Međugorje. 1981 hatten hier auf einerm einsamen Berghuegel sechs Teenager eine Vision der Heiligen Jungfrau Maria. Seitdem ist der Ort eine Pilgerstaette und wird jaehrlich von bis zu 2 Millionen Menschen besucht. Alles fuehlt sich ein bisschen nach Disneyland an, weil der Ort eigentlich nur aus Restaurants, Souvenirlaeden und Hotels besteht, viel Plastik und Pappe. Aber was fuer eine Macht der Glauben haben kann! In naher Zukunft will der Vatikan die Vorkommnisse ueberpruefen, bislang ist der Vorfall nicht offiziell anerkannt, und trotzdem diese Menge von Pilgern!
Die zweite Station heisst Kravice. Hier gibt es einen wunderbaren Wasserfall von fast 30 Metern Hoehe. Wir baden im eiskalten Wasser, stehen unter Nebenwasserfaellen, und springen mit einem Seil in den Gebirgsfluss. Herrlich!

Weiter geht es nach Počitelj. Das mittelalterliche Dorf war bis zum Krieg ganz regulaer bevoelkert, ist aber 1993 ethnischen Saeuberungen zum Opfer gefallen und wurde weitestgehend zerstoert. Einiges ist heute wieder aufgebaut, und der Blick vom Burgturm auf die gruene Neretva ist so schoen, dass es mir die Traenen in die Augen treibt. Wir kehren bei einer der letzten Bewohnerinnen des Dorfes ein und werden mit Kirschstrudel, bosnischem Kaffee (der uns meistens als tuerkischer Kaffee bekannt ist) und selbstgemachtem Minz-, Salbei- und Granatapfelsirup bewirtet.

Der letzte Halt ist Blagaj, eine Pilgerstaette fuer Moslems mit einer herrlichen Tekke und der Quelle des Flusses Buna. Das erste Mal auf dieser Reise muss ich ein Kopftuch tragen. Ich habe noch viele Diskussionen darueber vor mir, aber ich finde es nicht unangenehm. Blagaj ist ein wirklich zutiefst spiritueller Ort. Ich moechte gerne wiederkommen.

Die ganze Tour ueber versorgt uns Bata mit Informationen ueber die Region, den Krieg, seine Lebensgeschichte und die bosnische Kultur. Er hat unglaublich viel zu teilen, und es ist ein Geschenk, dass er bereit ist so offen darueber zu sprechen. Seine ganze Familie musste im Krieg fliehen, und die Dinge, die sie vorher gesehen haben muessen, entbehren jeder Beschreibung. Ich scheue mich davor, zu viel hier niederzuschreiben. Wer die Geschichten hoeren will, soll selbst nach Mostar fahren.

Wir kommen erst spaet nach Mostar zurueck und deswegen habe ich am folgenden Morgen nur noch wenig Zeit fuer die Stadt. Sie begeistert mich. Sie ist bunt und froehlich und lebensfroh. Die Menschen scheinen aus den Erfahrungen des Krieges einen besonderen Ueberlebenswillen gezogen zu haben. Maedchen mit und ohen Kopftuch sitzen gemeinsam beim Kaffee und schnacken. Die Souvenirstaende mit den herrlichen Schals und Schmuckstuecken nehmen Euro und Bosnische Mark und ueberall spricht man Englisch. Die Bruecke, die beruehmte, sie trohnt ueber allem. Ein herrliches Fleckchen Erde!

Nach einem kurzen Zwischenstop in Sarajevo (ich hoere das erste Mal in meinm Leben den Muezzin vom Minarett zum Gebet rufen, ich finde es wunderschoen!) brechen mein Gastgeber Nagy, ein Kumpel Fatih und ich am Samstag frueh morgens in den Norden Bosniens auf. Nagy und Fatih kommen aus der Tuerkei und arbeiten beide an einer hiesigen tuerkischen Privatuniversitaet. Beide sind glaeubige Moslems und zwischendurch muessen wir das ganze Wochenende immer mal wieder eine Moschee suchen, weil die beiden beten muessen. Wenn man wirklich will, kann man sowas ja echt in jeden Tagesablauf integrieren! Ich frage viel zum Islam, wir haben eine kleine Kopftuchdiskussion und nebenbei geniessen wir die Schoenheit von Travnik und Jajce.

Banja Lukas, unser Ziel fuer den Tag, ist dagegen erschreckend nichtssagend und beinahe haesslich. Abends treffen wir uns mit ortsansaessigen Couchsurfern – noch eine Kopftuchdiskussion. Ich bin mir in meiner Meinung darueber noch nicht ganz klar, aber die staendige Auseinandersetzung mit dem Thema ist ziemlich spannend. Am naechsten Tag geht es ueber Krupa na Vrbasu, einem Mini-Plitvice, wieder zurueck nach Sarajevo.

Sarajevo selbst ist eine sehr bunte Stadt, und die Kriegswunden stoeren die Aesthetik des Ortes nur bedingt. Zumindest atmet man hier Geschichte, ein bisschen wie in Berlin. Das tuerkische Viertel Baščaršija ist voller Leben und ich moechte am liebsten ueberall Schmuck und Tuecher und Roecke kaufen. Ich sitze an beiden Tagen, die ich hier verbringe, stundenlang vor der grossen Moschee und betrachte das Treiben dort. Auch Kopftuecher folgen unterschiedlichen Moden: alte Muetterchen in traditionellen Farben, stylishe junge Frauen mit abgestimmten Outfits. Abends fahren Nagy und ich zur Festung hoch und geniessen einen herrlichen Blick auf die Stadt. Ich besuche auch das Tunnelmuseum, das den Eingang des Tunnels zwischen Sarajevo und dem freien bosnischen Territorium waehrend der Belagerung 1992-1995 bewahrt. Es hat ein bisschen was von Berliner Luftbruecke und ist sehr bewegend.

Morgen kommt noch mehr Auseinandersetzung mit dem Krieg: Es geht nach Vukovar in Kroatien, das schwer beschaedigt worden ist. Mich macht es ganz verrueckt, dass das erst so kurz her ist und ich so wenig darueber weiss. Nach Vukovar steht Serbien auf dem Plan. Darauf bin ich sehr gespannt, denn Kroaten und Bosnier haben, wenn es um den Krieg geht, doch meistens die Serben als den gemeinsamen Feind genannt. Dort begegnet mir sicher eine neue Sicht auf den Krieg.

Dalmatien

Die spontane Unterkunft bei Marinas Freundin Ana ist ein echter Gluecksgriff. Ich schaue abends mit ihrem Mann Championsleague und es ist sehr entspannt. Am naechsten Morgen nehme ich den Bus in die Innenstadt. Ich kaufe mein Busticket inzwischen schon auf kroatisch am Kiosk. An der Bushaltestelle wartet ausser mir nur noch eine weitere Frau, prompt habe ich wieder eine Gespraechspartnerin. Wir sprechen zwei Drittel deutsch ein Sechstel polnisch ein Sechstel kroatisch, Wahnsinn!
Zadar ist wirklich schoen, die Stadtmauer grenzt ehrwuerdig die Altstadt ein, deren Kirchen, Tempeln, Foren und Saeulen den Besucher sofort darauf stossen, dass er sich hier an einer Staette des Weltkulturerbes befindet. Ich gehe in die Donatuskirche und frage nach Studentenermaessigung, das Maedchen am Verkaufstisch ist selbst Studentin und laesst mich kostenlos in das ueber 1000 Jahre alte Gebaeude. Anschliessend besuche ich den Glockenturm und geniesse einen herrlichen Blick auf Zadar – und komme dort mit dem Ticketverkaeufer ins Schnacken, weil der parallel zum Verkauf Gitarre uebt. Alle Leute scheinen sich ueber ein nettes Gespraech mit einem fremden Menschen zu freuen. Nachmittags treffe ich Ana, Baby und die zwei Hunde zum Kaffeetrinken and der Uferpromenade. Die ist sehr schick und hat eine echte Attraktion zu bieten: eine Seeorgel, die durch die Wellenbewegung Musik spielt und in die Stufen zum Meer eingebaut ist – dort sitzt man dann und hoert das Meer musizieren.
Von Zadar aus geht es nach Šibenik, dort couchsurfe ich wieder. Meine Gastgeberin Sylvia ist Strassenmusikerin und spielt Djembe, und aus Anlass des „Tags der Erde“ hat sie in der Stadt einen Infostand zum Wasser- und Energiesparen organisiert und einen Drum Circle mit 16 Djembespielern. Ich stehe lange mit einer Rassel mit im Kreis und finde es faszinierend, wie der Rhytmus Besitz ergreift von der Bewegung der Hand, die die Rassel schuettelt. Ich gehe fast ganz darin auf und bemerke dann doch einen Widerstand. Ploetzlich ist mir das unangenehm, diese Dynamik, diese Fremdbestimmung durch den Trommelklang. Neben uns fangen zwei Maedchen an, Poi zu spielen – es ist wunderschoen, wie das Feuer um die zwei herumtanzt vor der mittelalterlichen Kulisse Šibeniks.

Morgens nehme ich den Bus nach Split, es regnet und meine Laune ist mittelmaessig. In Split im Hostel aendert sich das schnell. Nun bin ich das erste Mal unter lauter Reisenden, die Hostels in Slowenien waren ja eher unterbelegt. Deswegen ist der Eindruck von Split auch weniger kultureller Natur als eher zwischenmenschlich – hier wird viel gefeiert und gelacht. Die Stadtkulisse dazu ist natuerlich vom Allerfeinsten: schicke Laeden, Galerien, hippe Cafes und Kneipen sind in antiken Gebaeuden untergebracht, roemische Tempel sind zu christlichen Kirchen umfunktioniert. Das Altertum ist hier zweifach erobert: durch die christliche Religion und durch die moderne Gegenwart.

Es schliessen sich zwei Tage Inselurlaub auf Vis an. Die Insel ist noch nicht lange der Oeffentlichkeit zugaenglich, sie wurde bis Ende der 90er Jahre vom Militaer genutzt. Das erklaert die herrliche Landschaft. Ich erklettere mir wieder lauter Wege, die nicht als solche ausgewiesen sind und entdecke auf diese Weise Insellandschaften von paradiesischer Schoenheit und Unberuehrtheit.

Ich bade in einer menschenleeren kleinen Kiesbucht im glasklaren Mittelmeer. Ich sitze auf dem Gipfel eines Inselhuegels, unter mir die ganze Weite der Adria, kein Mensch weit und breit, und singe Janis Joplins „Mercedes Benz“. Ich lese stundenlang in Ivo Andrićs „Na Drini Čuprija“, natuerlich auf Englisch (auf Deutsch heisst es „Die Bruecke ueber die Drina“ und ich kann es nur empfehlen).

Nach Vis will ich eigentlich nach Dubrovnik, aber meine Faehre kommt erst in Split an, nachdem der letzte Zug nach Dubrovnik schon weg ist. Deshalb bleibe ich noch eine Nacht in Split, schmeisse alle meine Plaene um und fahre heute nach Mostar in Bosnien. Dubrovnik wird dann ein Ausflug von Montenegro aus. Spontaneitaet ist alles.

Slowenische Kueste / Rijeka / Zagreb / Plitvička Jezera

Der Weg von Bled an die Kueste steht unter keinem guten Stern. Ich verlaufe mich natuerlich auf dem fruehmorgendlichen Gewaltmarsch zum Bahnhof in Bled und erwische den Zug gerade noch so, schweissgebadet. Das Wetter ist miserabel und die Sicht auf die eigentlich huebsche slowenische Landschaft dementsprechend auch nur halbschoen. In Koper sitze ich kaum im Bus nach Piran, da faengt es an zu hageln in riesigen Koernern. Na, das kann ja was werden!
Aber ich habe ja mehr Glueck als Verstand mit dem Wetter. In Piran ist strahlender Sonnenschein, und die Adria liegt in schoenster Ruhe zu meinen Fuessen, als ich aus dem Bus klettere. Und mein Gott, was fuer eine huebsche Stadt! Sehr italienisch mit ihrer Piazza, den venezianischen Haeuschen und der Hafenanlage, aber eben irgendwie slawisch! Nicht nur die Strassenschilder sind zweisprachig italienisch-slowenisch (ich freue mich an dem herrlichen Ausdruck „Prvomajski trg“ fuer „Platz des ersten Mai“ – Slowenisch ist so praezise!), sondern auch die Werbeplakate fuer den Sparmarkt. Das Hostel ist teuer, aber gut gelegen und sehr sauber und nett, und in den kleinen Gaesschen kann man sich gut verlaufen. Ich schlendere hoch zur Kirche Svet Jurij. Auf dem Weg waechst Pfefferminze, das riecht so gut. Nachmittags trinke ich einen Cappucino auf einem kleinen Platz, da duftet es auch – nach Zigarettenrauch, Wein, Proščut und Kaffee. Die Stadt ist wunderbar, ich koennte hier Wochen verbringen und einfach sitzen und lesen und gucken.

Am naechsten Tag fahre ich nach Koper weiter – nicht so spektakulaer, aber auch sehr niedlich. Nina, meine Gastgeberin dort, ist wieder eine Couchsurferin, wir gehen abends in einem herrlichen Sonnenuntergang an der Hafenpromenade spazieren. Am Morgen darauf fahre ich mit dem Bus nach Izola und laufe immer am Wasser entlang nach Koper zurueck. In der Ferne glitzern wieder schneebedeckte Berge.

Von Koper mache ich mich auf den Weg nach Rijeka. Die Grenzueberschreitung ist diesmal ganz anders – es gibt einen direkten Zug von Pivka nach Rijeka, ich muss also nur einmal umsteigen. Dafuer kommen in Illirska Bistrica und in Šapjane die Kontrolleure und schauen Paesse an. Ich bekomme meinen ersten Stempel und finde das irgendwie alles so ganz gut und richtig. Dann faellt mir auf, wie komisch es ist, dass ich dieses Ritual so verinnerlicht habe und es so viel gewoehnlicher finde als die Grenzueberschreitung zwischen Ungarn und Slowenien, die ohne jede Formalitaet auskommt. Seltsam.

In Rijeka fahre ich mit dem Bus zu meinem neuen Gastgeber Roni. Wir verstehen uns blendend und schnacken gleich mal mehrere Stunden auf seinem Balkon. Abends wollen wir zu einem Let3 Konzert, eine kroatische Band, die unbeschreiblich ist, ich empfehle Kostproben auf YouTube. Leider ist das Event ausverkauft, aber wir gehen sehr nett mit vielen Leuten was trinken und sind spaet zu hause.
Am naechsten Morgen fahren wir mit dem Bus in das Fischerdorf Volosko und laufen von dort nach Opatija. Ueberall ist oesterreich-ungarischer Kitsch und Kurort-Pomp. Es gibt deutsche Touristen in rauen Mengen, die auf den Hotelterassen sonnenbaden – Roni findet es dafuer noch viel zu kalt, aber ich merke auch schon den Sommer! In Opatija genehmigen wir uns ein Eis, um dann mit dem Bus nach Rijeka an den Hafen zu fahren und dort frische Sardellen zu essen – lecker! Ich mag Rijeka sehr, es hat einen rauen Charme, ein bisschen wie Hamburg – muss am Hafen liegen.

Am naechsten Tag fahreich hoch zum Schloss und geniesse den Blick auf die Stadt. Der Himmel ist grau, aber auf dem Weg ins Zentrum reisst die Wolkendecke auf und es gibt wieder Sonnenschein. Den ganzen Nachmittag sitzen Roni und ich auf dem Balkon und diskutieren beim schoensten Adria-Blick ueber Gott und die Welt. Gegen abend kommt mich ein Freund von Roni abholen, der mich im Auto mit nach Zagreb nimmt.

In Zagreb komme ich in einer Couchsurfer-WG unter. Marina tritt mir ihr Bett ab, weil sie ab und zu gerne auf dem Boden schlaeft – ruehrend! Ich habe nur einen Tag um mir die Stadt anzuschauen, viel zu wenig – es ist seit Budapest die erste Stadt, die die Qualitaet einer Metropole hat, und sie ist viel schoener als ich dachte. Auf Marinas Empfehlung hin fahre ich zum Friedhof, der herrliche Arkaden hat. An einem Grab weint ein altes Muetterchen bitterlich. Ich schleiche eine Weile um sie herum, habe dann aber doch das Beduerfnis, sie zu troesten. Ich gehe zu ihr hin und sage: „Ich verstehe leider kein Kroatisch…“ und sie sagt: „Ich bisschen deutsch.“ Sie weint um ihren Sohn und freut sich glaube ich sehr ueber meine Gesellschaft und meine Hand zum Festhalten. Sie zeigt mir die Graeber der deutschen Gefallenen aus dem zweiten Weltkrieg. Fuenf oder sechs grosse Grabfelder.

Wieder in der Stadt geniesse ich das bunte Treiben und freue mich ueber die Entdeckung der ersten orthodoxen Kirche – so schoen, so wahnsinnig bunt und froehlich! Die Kathedrale ist ebenso eine Offenbarung, und die Parkanlagen um das Theater und verschiedene Museen herum allemal auch einen Spaziergang wert. Abends gehen Marina und ich mit ein paar Freunden in einem ausgesprochen alternativen Laden etwas trinken. Marina hat noch einen zweiten Couchsurfer fuer die Nacht, einen japanischen Puppenspieler, der seine Marionette fuer uns tanzen laesst.

Am Morgen fahre ich ganz frueh zum Busbahnhof, weil um halb 8 mein Bus nach Plitvice zu dem beruehmten Nationalpark gehen soll. Der Bus geht dann erst um 9, deswegen kann ich nicht den ganzen Park sehen – aber mit diesem Fleckchen Erde hat der liebe Gott es wirklich extrem gut gemeint! Ich habe in Europa noch kein so schoenes Stueck Natur gesehen. Wasserfaelle, Seen, Waelder, die Sonne, die auf dem Wasser tanzt. Worte reichen hier nicht aus. Es ist wunderschoen.

Von Plitvice fahre ich mit dem Bus nach Zadar. Ich habe hier keine Couchsurfer gefunden, deswegen hat Marina mich, ruehrend!, an eine Freundin vermittelt, bei der ich jetzt die kleine Wohnung bevoelkere, die eigentlich mit Mann, Baby und zwei Hunden schon voll genug ist. Aber die unfassbare Gastfreundschaft, mit der ich ueberall empfangen werde, hoert auch hier nicht auf. Die Leute haben keinen Platz, aber sie teilen ihn mit fremden Menschen. Das ist ein gefundenes Fressen fuer meinen Idealismus. Das Leben ist schoen.

Maribor / Ljubljana / Bled

In Veszprem habe ich eineinhalb Stunden nach einer Verbindung nach Slowenien gesucht, die nicht ueber Graz geht – das fand ich total albern. Endlich habe ich dann was gefunden und beginne die neunstuendige Fahrt mit der Etappe Veszprem – Zalaegerszeg, dort muss ich umsteigen in einen winzigen Zug von vielleicht 10 Metern Laenge, ein einziger Waggon. Der aechzt und ruckelt dann sehr angestrengt nach Hodoš, wo die Grenze ist. Die letzten Passagiere ausser mir sind an der letzten ungarischen Station ausgestiegen und ich fahre mit dem Schaffner alleine ueber die Grenze und steige in Hodoš aus- das ist ein totales Nest, das im Prinzip aus einem riesigen Bahnhofsgebaeude mit Zollbehoerde und allem Drum und Dran besteht und sonst aus gar nichts. Nur die slowenische Flagge weht stolz und froehlich ueber den Bahnhof. Ich habe dort eine Stunde Aufenthalt, das ist voellig skurril. Mich fasziniert diese voellig entvoelkerte Grenze. Was fuer ein Kontrast zur amerikanisch-mexikanischen Grenze zwischen El Paso und Ciudad Juarez, an der die zwei Staedte und Staaten nahtlos ineinander uebergehen und die Grenze in der Zivilisation ertrinkt! Weiter geht es ueber Murska Sobota und dann immerhin ohne Umsteigen, dafuer in einer absurden Suedkurve ueber Ormož, Ptuj und Pragersko nach Maribor.

In Maribor komme ich in einer WG von 5 Studenten unter, die aber alle arbeiten – ich komme gegen 20 Uhr an und wir sitzen lange in der Kueche, trinken Salbeischnaps und Wein und diskutieren ueber den Bolognaprozess. Ich moechte am liebsten sofort einziehen. Am naechsten Tag stehen Mojca un Rok, in deren Zimmer ich schlafe, frueh auf und ich setze mich dann irgendwann zum Fruehstueck in die Kueche. Ich fuehle mich wie zuhause. Den ganzen Tag laufe ich durch die Stadt, eigentlich laufe ich immer ein kurzes Stueck und sitze dann irgendwo eine Stunde lang und lese mein Buch – an der Drava, auf dem Glavni trg, im Stadtpark, oben auf dem Huegel Piramida. Das Wetter ist phantastisch und abends habe ich einen Sonnenbrand. Langsam trudeln verschiedene Mitbewohner in der Wohnung ein, Tilen kocht, wir trinken Wein, alle rauchen (nur ich bleibe stark!), es kommt Besuch, wir gehen tanzen bis nachts um 3. Es ist als wurde ich hier wohnen.

Am naechsten Tag nimmt Tilen Eva und mich im Auto mit nach Ljubljana. Auf dem Weg halten wir bei einem Weinbauern in der Naehe von Slovenska Bistrica, weil Tilen dort Wein kaufen will. Wir werden verkoestigt wie die Koenige: verschiedene Sorten kalter Braten, Schinken, Kaese, Raeucherwurst mit viel Knoblauch, Kaese, Brot, selbstgemachte Kuchen, zwei Sorten Wein, selbstgemachter Apfelsaft, Most, es hoert ueberhaupt nicht mehr auf! Es ist einfach wunderbar, und die Gesellschaft stimmt auch.

In Ljubljana angekommen finde ich relativ zuegig zu Mias WG – es ist schoen, auch mal bei jemandem unterzukommen, den man schon kennt. Sie hat ihren Freund Kalle zu Besuch, und am ersten Abend gehen wir noch durch den Regen auf die Metelkova, einen herrlichen alternativen besetzten Gebaeudekomplex mit vielen Clubs in ehemaligen Militaerbarracken. Am naechsten Tag entdecke ich Ljubljana – der Blick vom Schloss auf die verschneiten Berge in der Ferne ist unbezahlbar, die Stadt ist wunderschoen, die Menschen so freundlich – Slowenien begeistert mich restlos.

Abends gehen wir essen – zum Nachtisch gibt es Gibanica, einen Mohn-Topfen-Apfel-Walnuss-Strudel-Unfassbar-Lecker-Unbedingt-Sofort-Jeden-Tag-Essen-Wollen-Nachtisch. Ich habe von einer Freundin von Mias Mitbewohnerin auch ein Rezept bekommen. Der zweite Tag in der Hauptstadt ist ruhig, ich kaufe in einem herrlichen Antiquariat mit englischen Buechern – eine Empfehlung der Maribor-WG – Vladimir Bartols „Alamut“, einen slowenischen Klassiker. Auf die Lektuere freue ich mich sehr!

Heute in aller Fruehe dann der Bus nach Bled. Auf der Fahrt brechen die schneebedeckten Berge durch eine dicke Wolkenwand, das sieht so schoen aus! Leider nieselt oder regnet es den ganzen Tag, aber der Spaziergang um den herrlichen Bleder See mit dem Inselchen in der Mitte und die Fahrt mit dem Boot dorthin lasse ich mir nicht nehmen. Ich laeute die Wunschglocke und denke in dem barocken Kirchlein an meine polnischen Freunde und frage mich, wie es in Polen wohl aussieht nach dem Flugzeugunglueck.
Nachmittags laufe ich noch hoch zum Schloss. Dort gehe ich nicht hinein, der Eintritt ist unverschaemt teuer und schon die Bootsfahrt und der Eintritt auf der Insel waren nicht von Pappe. Aber ich waere nicht Papis Tochter, wenn ich nicht eine Alternative zum Blick von der Schlossmauer suchen wuerde. Ich besteige voellig unbefestigte Wege und laufe um das Schloss herum. Gott segne das Profil meiner Wanderstiefel, ungefaehrlich ist das nicht – aber ich werde mit einem atemberaubenden Blick auf den See belohnt.

Morgen muss ich in aller Fruehe einen Zug bekommen und fahre dann an die Kueste – da soll auch das Wetter wieder besser werden. Schon jetzt ist mir klar, dass dies nicht mein letzter Besuch in Slowenien sein wird, ich habe zu wenig Zeit fuer alles, was ich sehen moechte. Eine unfassbare Vielfalt, von Mittelmeerkueste bis zum Skifahren in den Alpen, Weinberge, Hoehlen, roemische Ruinen, es scheint hier einfach alles zu geben und nichts ist weiter als drei bis vier Stunden entfernt- es sei jedem ans Herz gelegt, sich davon selbst zu ueberzeugen!

Kecskemét, Pécs, Veszprém, Balaton

An meinem letzten Morgen in Budapest gehe ich lange auf der Margareteninsel spazieren. Am Ufer entlang flanierend höre ich plötzlich so eine Klopfen, ein bisschen wie von einem Specht. Ich schaue hinter die Straeucher am Weg und da ist ein riesiges Gehege mit Störchen, die mit den Schnaebeln klappern. Ich habe noch nie so viele Störche auf einmal gesehen. Schöne Tiere. Überhaupt erlebe ich in diesem Land viel Friedlichkeit. Von der Margareteninsel gehe ich zurück zum Szabadság tér, den ich schon am ersten Tag so mochte – es muss am Namen liegen, es ist der Platz der Freiheit, wie ich nun weiss. Dort sitze ich lange in der Sonne und gucke Kindern auf dem Spielplatz zu. Es ist herrlich, für so etwas Zeit zu haben.
Die Zugfahrt nach Kecskemét ist unaufregend. Ich fahre dort übrigens hin, weil Mami bei der Reiseplanung immer dieses Brahmslied gesungen hat: „Schönstes Staedtchen im Alföld ist Kecskemét!“ Ich lerne dann von meinem Gastgeber Dániel, dass Alföld auf ungarisch so etwas wie Tiefebene heisst. Die Stadt ist sehr hübsch und sehr klein, das Glockenspiel am Art-Nouvaeu-Rathaus spielt ein Stück aus der Zauberflöte und die Sonne scheint.

Am zweiten Tag fahren Dániel und ich mit einem Freund von Dániel in einem 30 Jahre alten Opel Kadett in den Kiskunság Nationalpark. Hier geht es mir zum ersten Mal so wie an vielen Orten danach in Ungarn: Ich bin zuerst nur maessig begeistert und plötzlich wird es wunderschön und übertrifft meine Erwartungen. Der Blick von dem Kirchhügel in dem kleinen Dorf beim Park über die Tiefebene, und die Sonne, die postkartenkitschig blutrot zwischen den dunkelgrauen Wolken hindurchscheint, diese Weite – es ist wunderschön und ein bisschen wie in Norddeutschland mit dem platten Land. Wir laufen 4 1/2 Stunden durch den Park – ganz beabsichtigt ist das nicht, wir verlaufen uns zwischendurch ein bisschen. Aber umso besser schmeckt die Palinka, der Schnaps, nach der Rückkehr nach hause. Abends gehen wir mit vielen Leuten etwas trinken und ich lerne, dass man in Ungarn die Begrüssungsküsschen von rechts nach links gibt – sehr verwirrend!

Am naechsten Tag geht es in aller Frühe nach Pécs. Langsam brauche ich mal eine Pause von der vielen Gesellschaft und Zeit um über all die neuen Eindrücke nachzudenken. Ich erkunde die Stadt allein. Sie ist Kulturhauptstadt 2010, aber nichts ist fertiggeworden, alles ist Baustelle. Das ist sehr schade, man merkt, dass es eine wunderbare Stadt ist. Die Moscheekirche auf dem Hauptplatz und die Kathedrale haben es mir besonders angetan. In der Kathedrale gehe ich am Ostersonntag morgens in den Kindergottesdienst. Er ist sehr stimmungsvoll. 
Am Ostermontag fahren mein Gastgeber Zsolt und ich mit einer Freundin von ihm in ein Dorf in der Naehe von Pécs und gucken uns dort die traditionellen Ostertaenze an – mit Trachten und Blaskapelle, es ist wirklich süss. In Deutschland kaeme es mir nicht so hübsch vor, sondern ein bisschen albern, befürchte ich.
Nachmittags fahre ich nach Siófok an den Balaton. Das Wetter ist jetzt grauslig, es giesst in Strömen. In Siófok habe ich ein Pensionszimmer, ich bleibe dort und mache mir einen ruhigen Nachmittag mit, oh Schreck, deutschem Fernsehen. Wir haben alle unsere Laster… Der Ort macht vom Bus aus ohnehin keinen netten Eindruck, sondern wirkt wie eine Ansammlung einer beliebigen Menge von Kreisverkehren unterschiedlicher Grösse. Am naechsten morgen gehe ich zum Faehranleger – hier zeigt Siófok seine touristische Seite, aber am Strand stehen auch ein paar hübsche herrschaftliche Gebaeude. Es weht und windet, der See schlaegt hohe Wellen, ich verstehe ein bisschen, warum sie ihn das „ungarische Meer“ nennen. Die Faehre geht im April nur am Wochenende. Ich fahre also mit dem Bus nach Veszprém.
In Veszprém komme ich bei einer Familie mit drei Kindern im Altern von 1 1/2, 5 und 8 Jahren unter. Vater Gabor ist Übersetzer und spricht sehr gut englisch, Mutter Judit spricht ein bisschen deutsch. Es ist ein Abenteuer, und ich finde es wunderbar. Nach meiner Stadterkundung – Veszprém hat einen hübschen Schlossberg und liegt sehr malerisch am Hang – gibt es abends ein grosses Abendessen und anschliessend spiele ich mit Gabor und den beiden grossen Kindern Carcassonne. Der Kleine ist schon im Bett, aber meine Güte, so ein süsses Kind! Am naechsten Morgen beim Frühstück gibt er mir sogar ein Küsschen, einfach so. Mir geht das Herz auf!
Ich erkunde von Veszprém aus auch Keszthely (sprich „Kaest-hej“ – oh, diese Sprache!!!) mit seinem habsburgischen Schloss, Balatonfüred mit seiner herrlichen Uferpromenade und dem Schick eines Kurorts – es gibt hier auch Heilquellen – und Tihany, das auf der gleichnamigen Halbinsel auf einem Berg über dem Balaton thront und mir einen herrlichen Panoramablick eröffnet.
Ich sitze lange auf der Mauer der Klosterkirche und lese. Als ich mich umdrehe, ist der Schatten des Berges unten über das Ufer der Halbinsel hinaus auf den See gekrochen und man sieht die Silhouette der zwei Kirchtürme auf dem Wasser. Auf der Busfahrt zurück nach Veszprém geht die Sonne unter. Der See hat tausend verschiedene Farben, in Siófok war er grau, in Balatonfüred nachmittags war er von einem hellen Grüngrau, von Tihany oben war er blau und silbern und im Sonnenuntergang jetzt glaenzt er golden. Ein herrliches Fleckchen Erde.
Heute geht es in 9 Stunden mit 5 bis 6 mal umsteigen nach Maribor. Eine neue Grenzüberschreitung. Ich bin gespannt!
„Reisen ist gesund, ich hau ab und zieh Leine und ihr seht mich als Punkt am
Horizont verschwinden um ein Stück weiter hinten mich selbst zu
finden…“

Wien / Bratislava / Budapest

Man haette ja auch fliegen können. Aber Zugfahren erlaubt es, so richtig Abstand zu bringen zwischen den Ort, den man verlaesst, und den, zu dem man reist. Im Übrigen ist so eine Bahnfahrt von Berlin nach Wien doch sicherlich immer für eine Überraschung gut und überdies unschlagbar günstig. Ich steige morgens um halb 9 in Berlin in den Zug und – schwupps! – zehn Stunden spaeter bin ich in Wien. Dazwischen liegt ein Abenteuer: Ich teile eine Sitzgruppe im Grossraumwagen mit einer sechsköpfigen bosnischen Familie, Mama und fünf Söhne, der aelteste so um die 15, die jüngsten Zwillinge von etwa 4 Jahren – halleluja! Wenn ich nicht aufgeregt gewesen waere und ausgesprochen gut gelaunt, haette mich nach etwa einer halben Stunde der Geruch von warmgewordenen Milchprodukten aus der riesigen Provianttüte tödlich genervt, und das Geschrei der Zwillinge erst recht. Ich bin aber gut gelaunt, und laechle die arme Mutter immer wieder an, damit sie kein schlechtes Gewissen hat. Dafür bietet sie mir spaeter in gebrochenem, aber ausgesprochen charmantem Deutsch Waffeln an. Jetzt freue ich mich noch mehr auf Bosnien!

Wien ist wunderbar, aber vor allem wegen Nele und der schönen entspannten Zeit, die wir miteinander verbringen. Die Stadt und ich werden keine besten Freunde mehr, ich halte sie auf Distanz. Sie ist mir zu kühl und zu adrett.
Umso schöner der Tagesausflug nach Bratislava. Die Stadt wirkt kaum wie eine Hauptstadt, zu verschlafen und gemütlich kommt sie daher an diesem Schönwettersonntag. Aber gegen die Abwesenheit von Hektik habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Nele und ich schauen in die Martinskathedrale hinein, dort gibt es ein kostenloses Konzert, ich glaube es ist eine Passion. Herrlich! Anschliessend gehen wir ausgesprochen gut und günstig essen in einem Restaurant, das der Lonely Planet empfiehlt. Um uns herum spricht man trotzdem, Gott sei Dank, nur Slovakisch, es ist also keine Touristenfalle und die Atmosphaere stimmt auch mit Haekelvorhaengen und alten Radios und Schreibmaschinen als Deko. Ich versuche auf Polnisch zu bestellen und das klappt ganz gut.

Und ploetzlich ist schon Montagmorgen und ich steige in Wien an einer der zahlreichen Baustellen, die ein Bahnhof sein wollen, wenn sie gross sind, in den Zug nach Budapest. Drei Stunden dauert die Fahrt, jetzt ist es endlich so richtig losgegangen!
Am Keleti Bahnhof steige ich aus, das Gebaeude ist wunderschön und alles ist aufregend. Es ist ein Kopfbahnhof, und zwischen Gleisende und Absperrung spielen alte Maenner Schach. Das Wetter ist fast sommerlich warm und es herrscht ein buntes Treiben. Ich gebe meinen Rucksack in die Gepaeckaufbewahrung und stiefele los.
Als erstes lande ich, eher zufaellig, im juedischen Viertel. Die Synagoge ist von aussen herrlich, aber es ist voll und teuer und das Wetter ist zu schön um drinnen zu sein. Ich laufe also weiter und erkunde Pest von allen Seiten. Viele hübsche Ecken gibt es, und ich bin ganz angetan. Mehr oder minder plötzlich stehe ich auf dem Szabadsag ter, der umrahmt ist von herrlichen Gebaeuden, und meine Begeisterung waechst – und dann taucht das Parlament auf und ich kann mich kaum noch halten. Der Reichstag wirkt wie eine schlecht gestrichene Streichholzschachtel dagegen.
Mir faellt auf wie lange ich nicht mehr in einem Land war, in dem ich die Sprache kein bisschen verstehe. Ich habe noch nicht mal eine Ahnung, wie man irgendwas aussprechen könnte. Was die Leute reden ist mir ein völliges Raetsel. Heute, drei Tage spaeter, habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt, ich spreche jetzt in der Metro dem Ansager die Stationen nach um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen, aber es ist so unfassbar anders, dass es mich manchmal etwas anstrengt. Dunkel fühle ich mich an die Zeiten erinnert, in denen das Polnische mir genauso fremd war. Wie schön, dass das vorbei ist!
Nun, ich fahre also abends zu meinen Gastgebern zur ersten Couchsurfing-Erfahrung, ich habe lange niemanden gefunden und Melinda und Laszlo haben sich sehr kurzfristig bereit erklaert, mich aufzunehmen – die beiden sind entzückend und wahnsinnig hilfsbereit und freundlich. Sie müssen die ganze Woche sehr viel arbeiten, aber ich bekomme haufenweise Hinweise auf lohnenswerte Aktivitaeten.
Am naechsten Morgen stehen wir alle frueh auf, da ich keinen Schlüssel habe muss ich mit den beiden das Haus verlassen. Ich erkunde tagsüber das Parlament von innen – für EU-Bürger ist das kostenlos. Besonders gefallen mir die Zigarrenhalter vor den Plenarsaelen und die Tatsache, dass sich der Securitymann am Eingang von dem Hinweis auf das Messer in meiner Tasche (sowas muss man als Backpacker ja dabei haben) kein bisschen beeindrucken laesst. Ich schaue mir auch die Stephanskathedrale an und gehe nachmittags mit einem ungarischen Maedchen, das ich ebenfalls über Couchsurfing kontaktiert habe, zum Schloss hoch. Es ist ein sehr netter Nachmittag mit angeregten Diskussionen.
Heute schliesslich war ich früh am Heldenplatz und dann im Haus des Terrors, einem Museum über die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, und den Soviet-Terror in Ungarn. Museumspaedagogisch erinnert es mich hier an das Museum zum Warschauer Aufstand in Warschau, es ist sehr interaktiv und emotional aufgezogen. Ich lasse mich darauf nicht mehr so stark ein wie früher vielleicht. Ich habe aber auch sachlich einiges mitgenommen, denn ich war so firm zuvor in ungarischer Geschichte nicht. Am fruehen Abend bin ich in einem kostenlosen Konzert im Palast der Kuenste und geniesse anschliessend das Sonnenuntergangs-Panorama auf dem Gellert-Hügel.

Untermalt werden diese vielen kulturellen Eindrücke natürlich von den zugehörigen Kleinigkeiten – zum Beispiel das Geraeusch der Krankenwagen. Es klingt wie ein Laser-Maschinengewehr in einem Computerspiel, das einen besonders scheusslichen Ork töten soll. Oder die roten Postkaesten. Oder die Computertastatur, auf der es ü und ö gibt, aber keinen a-Umlaut, dafür ł und Ł, obwohl die Ungarn das nicht brauchen. Oder der kurze Ausflug in die Markthalle, wo es so wahnsinnig gut duftet nach Gemüse, Gewürzen, frischem Fleisch und ganz viel Knoblauch und Paprika. Diese Kleinigkeiten werden sich noch weiter zu einem Ungarn-Gesamteindruck zusammenfügen. Denn noch ist ja Ungarn nicht abgeschrieben: Morgen geht es erstmal nach Kecskemet, und dann nach Pecs und an den Balaton. Ich hoffe zum Beispiel noch auf ein zünftiges Gulas und auf den ersten Titel in meinem Lieder-Repertoire, das ich mitbringen soll. Da gibt es noch viel zu tun. Also: Szia!

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