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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: capitol (Seite 4 von 4)

Kotor / Budva / Ulcinj / Tirana / Berat

Endlich reisst die Wolkendecke auf, die mich nun seit einer Weile begleitet hat, und es wird sommerlicher. Im Hostel in Kotor treffe ich mehrere Reisende wieder, die ich in Mostar kennen gelernt habe. Zusammen mit einigen Ankoemmlingen aus anderen Richtungen finden wir uns zu einer bunten Runde zusammen, die gemeinsam Kotor und die Straende an der montenegrinischen Kueste erkundet.
Kotor ist eine kleine, gemueliche, traditionellere Ausgabe von Split. An allen drei Tagen, die ich dort bin, kaufe ich auf dem Markt frische Erdbeeren und Joghurt. Wir klettern auf die Festung, ein ziemlicher Gewaltmarsch im warmen Wetter, aber das Picknick oben mit der herrlichen Aussicht ueber die weite Bucht ist den Aufstieg definitiv wert. Wir fahren nach Jaz an den Sandstrand, der nicht haelt, was die Einheimischen in Kotor versprechen, aber die Altstadt von Tivat ist huebsch und die Kuestenstrasse eroeffnet herrliche Landschaften mit wilden gruenbewachsenen Bergen und der ausgedehnten Adria.

Sana aus Kanada hat ein Auto gemietet. Nach zwei Naechten in Kotor fahren wir gemeinsam mit Steve aus Australien nach Budva. Die Stadt gefaellt uns, und spontan beschliessen wir eine Nacht zu bleiben. Abends schauen wir das Championsleague-Finale, kein Mensch spricht Serbisch, es sind nur Auslaender in dem Irish Pub, das das Spiel uebertraegt, aber der Abend ist ausgesprochen unterhaltsam.
Am naechsten Morgen schliesst sich uns noch Chris aus Norwegen an. Gemeinsam fahren wir landeinwaerts zum Skadar-See, aber das Doerfchen, das wir erreichen koennen, ist wenig spektakulaer – was soll’s, der Weg ist das Ziel, denn auf der Fahrt sehen wir wieder wunderschoene landschaftliche Szenerien. Mein staerkster Eindruck von Montenegro ist das schnelle Umschlagen des Wetters. Von einer Minute zur anderen folgt auf strahlenden Sonnenschein und brennende Hitze ein Nieselregen oder gar ein dunkles Gewitter. Insgesamt ist mein kultureller Eindruck eher blass geblieben. Ich komme nicht mit der einheimischen Bevoelkerung in Kontakt, sondern erlebe das Land hauptsaechlich als Touristin. Das ist schade, aber im Moment tut es mir gut, mit anderen Reisenden zusammen zu sein und mich nicht an jedem Ort neu auf einen ortsansaessigen Couchsurfer einzulassen.
Nachmittags erreichen wir Ulcinj. Die Stadt ist deutlich aermer und ungepflegter als Kotor und Budva. Wir bekommen zu viert ein dekadentes Hotelzimmer mi Balkon und Meerblick fuer 7,50 Euro pro Person. Die Adria ist noch kuehl, aber der Strand ist sandig und sauber.

Am naechsten Tag verstauen wir unsere vier Rucksaecke im Kofferraum eines Taxis zum Busbahnhof und erwischen gerade eben so puenktlich einen Bus nach Shkodra in Albanien. Nur aus dem Busfenster bewundern wir die dortige Festung, bevor wir weiterfahren nach Tirana. Schon auf der Fahrt ist einiges anders als in den slavischen Balkanstaaten. Die Albaner sind zweifelsohne das freundlichste und hilfsbereiteste Volk, das mir jemals untergekommen ist. Keiner versteht uns, aber alle wollen helfen. Der Busfahrer lacht sich scheckig ueber uns, sein Gesicht scheint zu sagen: Warum in Gottes Namen ihr hier seid, werde ich gar nicht versuchen zu begreifen – aber ich bin gerne bereit euch den Aufenthalte so angenehm wie moeglich zu machen. In Tirana fragt der Taxifahrer, der ebenfalls kein Wort Englisch spricht, ungefaehr vier verschiedene Passanten nach dem Weg und uebergibt uns schliesslich an einer Strassenecke an einen Unbekannten, der mit uns zum Hostel laeuft und stuermisch fuer uns an der Tuer klingelt.
Wir beginnen die Stadterkundung am Abend auf dem Weg zu einem Restaurant, in dem wir phantastisches albanisches Essen geniessen – viel Kaese und viel Fleisch, ich esse einen gewuerzten Huettenkaese mit Leber, lecker!
Am naechsten Morgen folgen wir dem Stadtrundgang, den der Lonely Planet vorschlaegt. Tirana wirkt auf mich wie eine Kreuzung aus Berlin, Athen und meiner Vorstellung von Damaskus. Auf Speed. Die Stadt ist schnell, kitschig, dreckig, bunt, haesslich und wunderbar. Der Verkehr folgt keinen Regeln und alles geht voellig durcheinander. Ich schmunzle ueber mein Beduerfnis, Ordnung im Chaos zu erkennen. Es fuehrt mir meine westliche Praegung vor Augen.

Nachmittags verabschieden Steve und ich uns von Sana und Chris, die wieder in den Norden wollen. Steve will nach Korfu, unsere Reiserouten ueberschneiden sich also noch eine Weile und wir verstehen uns praechtig. Wir springen in Tirana in ein Taxi und sagen, so macht man das hier, „Autobus Berat“, und der Taxifahrer bringt uns zum Abfahrtsort fuer den Bus nach Berat. Der Busfahrer spricht, Ueberraschung, kein Englisch, aber er bringt uns bei, wie man „danke“ auf albanisch sagt (falim nderit) und steht dann neben uns und telephoniert. Dann gibt er Steve das Telephon. Er hat seinen Sohn angerufen, damit der uns auf englisch erklaeren kann, dass wir Problemen jederzeit den Busfahrer bitten koennen, seinen Sohn zu kontaktieren und auf englisch fuer uns die Lage zu klaeren. Das ist wirklich deutlich mehr Gastfreundlichkeit als irgendjemand erwarten wuerde.
In Berat finden wir das Hostel schneller als jedes andere Hostel auf der Reise. Es ist mitten im schoensten Teil der Stadt gelegen, in einem alten osmanischen Haus, das auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes steht. Im Garten wachsen Granataepfel, Feigen und Kirschen. Das Hostel gehoert einem ganz unglaublich netten Briten und wir sitzen gemuetlich auf Sofas im Garten bis in den Abend.
Am naechsten Morgen stuermen Steve und ich die Festung. Schon um 10 Uhr ist es so heiss, dass es kaum auszuhalten ist. Der Aufstieg ist muehsam auf dem blankpoliertem Kopfsteinpflaster in der brennenden Sonne, ich wickle mir turbanartig mein Tuch um den Kopf. Wir sind umgeben von osmanischen Steinhaeusern. Oben angekommen ist es deutlich kuehler. Ich bin begeistert von der Atmosphaere und freue mich, dass der Tourismus noch nicht nach Albanien gekommen ist. Ich kann mir ein aehnliches Monument auch in Griechenland vorstellen, aber da waere es teuer und ueberlaufen und voll von haesslichen Souvenirlaeden. Wir klettern auf einen steilen Aussichtsturm. Steve vermutet, dass es sich um die Ueberreste eines Minaretts handelt, und er koennte damit durchaus recht haben. Der Blick ueber das weite Tal mit dem fast ausgetrockneten Fluss, das von schneebedeckten Bergen begrenzt wird, ist monumental. In ein paar Jahren wird der Tourismus hier einschlagen wie eine Bombe.

Wieder im Tal besuchen wir die Tekke mit einer herrlichen goldverzierten Holzdecke, in der uns ein unglaublich freundliches Maedchen eine kleine Tour gibt und kein Geld dafuer annehmen will. Wir schlendern auch durch die Markthalle und kaufen Gewuerze zwischen Kaese- und Fleischstaenden. Alle gruessen uns freundlich und haben gute Laune wenn wir „falim nderit“ sagen. Ich mag die Menschen in diesem Land! Ich bin sehr leicht dadurch gluecklich zu machen, dass Leute nett zu mir sind. Morgen geht es in den Sueden des Landes, nach Moeglichkeit an die schoensten Straende. Da der oeffentliche Transport hier eher provisorisch funktioniert, kann ich nicht genau sagen, wo wir landen. Es ist verrueckt, dass mich das gar nicht nervoes macht, im Gegenteil, ich finde es herrlich, mich nicht festlegen zu muessen. Auf Reisen ist es leicht, dem Motto „Carpe Diem“ zu folgen.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.

Slowenische Kueste / Rijeka / Zagreb / Plitvička Jezera

Der Weg von Bled an die Kueste steht unter keinem guten Stern. Ich verlaufe mich natuerlich auf dem fruehmorgendlichen Gewaltmarsch zum Bahnhof in Bled und erwische den Zug gerade noch so, schweissgebadet. Das Wetter ist miserabel und die Sicht auf die eigentlich huebsche slowenische Landschaft dementsprechend auch nur halbschoen. In Koper sitze ich kaum im Bus nach Piran, da faengt es an zu hageln in riesigen Koernern. Na, das kann ja was werden!
Aber ich habe ja mehr Glueck als Verstand mit dem Wetter. In Piran ist strahlender Sonnenschein, und die Adria liegt in schoenster Ruhe zu meinen Fuessen, als ich aus dem Bus klettere. Und mein Gott, was fuer eine huebsche Stadt! Sehr italienisch mit ihrer Piazza, den venezianischen Haeuschen und der Hafenanlage, aber eben irgendwie slawisch! Nicht nur die Strassenschilder sind zweisprachig italienisch-slowenisch (ich freue mich an dem herrlichen Ausdruck „Prvomajski trg“ fuer „Platz des ersten Mai“ – Slowenisch ist so praezise!), sondern auch die Werbeplakate fuer den Sparmarkt. Das Hostel ist teuer, aber gut gelegen und sehr sauber und nett, und in den kleinen Gaesschen kann man sich gut verlaufen. Ich schlendere hoch zur Kirche Svet Jurij. Auf dem Weg waechst Pfefferminze, das riecht so gut. Nachmittags trinke ich einen Cappucino auf einem kleinen Platz, da duftet es auch – nach Zigarettenrauch, Wein, Proščut und Kaffee. Die Stadt ist wunderbar, ich koennte hier Wochen verbringen und einfach sitzen und lesen und gucken.

Am naechsten Tag fahre ich nach Koper weiter – nicht so spektakulaer, aber auch sehr niedlich. Nina, meine Gastgeberin dort, ist wieder eine Couchsurferin, wir gehen abends in einem herrlichen Sonnenuntergang an der Hafenpromenade spazieren. Am Morgen darauf fahre ich mit dem Bus nach Izola und laufe immer am Wasser entlang nach Koper zurueck. In der Ferne glitzern wieder schneebedeckte Berge.

Von Koper mache ich mich auf den Weg nach Rijeka. Die Grenzueberschreitung ist diesmal ganz anders – es gibt einen direkten Zug von Pivka nach Rijeka, ich muss also nur einmal umsteigen. Dafuer kommen in Illirska Bistrica und in Šapjane die Kontrolleure und schauen Paesse an. Ich bekomme meinen ersten Stempel und finde das irgendwie alles so ganz gut und richtig. Dann faellt mir auf, wie komisch es ist, dass ich dieses Ritual so verinnerlicht habe und es so viel gewoehnlicher finde als die Grenzueberschreitung zwischen Ungarn und Slowenien, die ohne jede Formalitaet auskommt. Seltsam.

In Rijeka fahre ich mit dem Bus zu meinem neuen Gastgeber Roni. Wir verstehen uns blendend und schnacken gleich mal mehrere Stunden auf seinem Balkon. Abends wollen wir zu einem Let3 Konzert, eine kroatische Band, die unbeschreiblich ist, ich empfehle Kostproben auf YouTube. Leider ist das Event ausverkauft, aber wir gehen sehr nett mit vielen Leuten was trinken und sind spaet zu hause.
Am naechsten Morgen fahren wir mit dem Bus in das Fischerdorf Volosko und laufen von dort nach Opatija. Ueberall ist oesterreich-ungarischer Kitsch und Kurort-Pomp. Es gibt deutsche Touristen in rauen Mengen, die auf den Hotelterassen sonnenbaden – Roni findet es dafuer noch viel zu kalt, aber ich merke auch schon den Sommer! In Opatija genehmigen wir uns ein Eis, um dann mit dem Bus nach Rijeka an den Hafen zu fahren und dort frische Sardellen zu essen – lecker! Ich mag Rijeka sehr, es hat einen rauen Charme, ein bisschen wie Hamburg – muss am Hafen liegen.

Am naechsten Tag fahreich hoch zum Schloss und geniesse den Blick auf die Stadt. Der Himmel ist grau, aber auf dem Weg ins Zentrum reisst die Wolkendecke auf und es gibt wieder Sonnenschein. Den ganzen Nachmittag sitzen Roni und ich auf dem Balkon und diskutieren beim schoensten Adria-Blick ueber Gott und die Welt. Gegen abend kommt mich ein Freund von Roni abholen, der mich im Auto mit nach Zagreb nimmt.

In Zagreb komme ich in einer Couchsurfer-WG unter. Marina tritt mir ihr Bett ab, weil sie ab und zu gerne auf dem Boden schlaeft – ruehrend! Ich habe nur einen Tag um mir die Stadt anzuschauen, viel zu wenig – es ist seit Budapest die erste Stadt, die die Qualitaet einer Metropole hat, und sie ist viel schoener als ich dachte. Auf Marinas Empfehlung hin fahre ich zum Friedhof, der herrliche Arkaden hat. An einem Grab weint ein altes Muetterchen bitterlich. Ich schleiche eine Weile um sie herum, habe dann aber doch das Beduerfnis, sie zu troesten. Ich gehe zu ihr hin und sage: „Ich verstehe leider kein Kroatisch…“ und sie sagt: „Ich bisschen deutsch.“ Sie weint um ihren Sohn und freut sich glaube ich sehr ueber meine Gesellschaft und meine Hand zum Festhalten. Sie zeigt mir die Graeber der deutschen Gefallenen aus dem zweiten Weltkrieg. Fuenf oder sechs grosse Grabfelder.

Wieder in der Stadt geniesse ich das bunte Treiben und freue mich ueber die Entdeckung der ersten orthodoxen Kirche – so schoen, so wahnsinnig bunt und froehlich! Die Kathedrale ist ebenso eine Offenbarung, und die Parkanlagen um das Theater und verschiedene Museen herum allemal auch einen Spaziergang wert. Abends gehen Marina und ich mit ein paar Freunden in einem ausgesprochen alternativen Laden etwas trinken. Marina hat noch einen zweiten Couchsurfer fuer die Nacht, einen japanischen Puppenspieler, der seine Marionette fuer uns tanzen laesst.

Am Morgen fahre ich ganz frueh zum Busbahnhof, weil um halb 8 mein Bus nach Plitvice zu dem beruehmten Nationalpark gehen soll. Der Bus geht dann erst um 9, deswegen kann ich nicht den ganzen Park sehen – aber mit diesem Fleckchen Erde hat der liebe Gott es wirklich extrem gut gemeint! Ich habe in Europa noch kein so schoenes Stueck Natur gesehen. Wasserfaelle, Seen, Waelder, die Sonne, die auf dem Wasser tanzt. Worte reichen hier nicht aus. Es ist wunderschoen.

Von Plitvice fahre ich mit dem Bus nach Zadar. Ich habe hier keine Couchsurfer gefunden, deswegen hat Marina mich, ruehrend!, an eine Freundin vermittelt, bei der ich jetzt die kleine Wohnung bevoelkere, die eigentlich mit Mann, Baby und zwei Hunden schon voll genug ist. Aber die unfassbare Gastfreundschaft, mit der ich ueberall empfangen werde, hoert auch hier nicht auf. Die Leute haben keinen Platz, aber sie teilen ihn mit fremden Menschen. Das ist ein gefundenes Fressen fuer meinen Idealismus. Das Leben ist schoen.

Maribor / Ljubljana / Bled

In Veszprem habe ich eineinhalb Stunden nach einer Verbindung nach Slowenien gesucht, die nicht ueber Graz geht – das fand ich total albern. Endlich habe ich dann was gefunden und beginne die neunstuendige Fahrt mit der Etappe Veszprem – Zalaegerszeg, dort muss ich umsteigen in einen winzigen Zug von vielleicht 10 Metern Laenge, ein einziger Waggon. Der aechzt und ruckelt dann sehr angestrengt nach Hodoš, wo die Grenze ist. Die letzten Passagiere ausser mir sind an der letzten ungarischen Station ausgestiegen und ich fahre mit dem Schaffner alleine ueber die Grenze und steige in Hodoš aus- das ist ein totales Nest, das im Prinzip aus einem riesigen Bahnhofsgebaeude mit Zollbehoerde und allem Drum und Dran besteht und sonst aus gar nichts. Nur die slowenische Flagge weht stolz und froehlich ueber den Bahnhof. Ich habe dort eine Stunde Aufenthalt, das ist voellig skurril. Mich fasziniert diese voellig entvoelkerte Grenze. Was fuer ein Kontrast zur amerikanisch-mexikanischen Grenze zwischen El Paso und Ciudad Juarez, an der die zwei Staedte und Staaten nahtlos ineinander uebergehen und die Grenze in der Zivilisation ertrinkt! Weiter geht es ueber Murska Sobota und dann immerhin ohne Umsteigen, dafuer in einer absurden Suedkurve ueber Ormož, Ptuj und Pragersko nach Maribor.

In Maribor komme ich in einer WG von 5 Studenten unter, die aber alle arbeiten – ich komme gegen 20 Uhr an und wir sitzen lange in der Kueche, trinken Salbeischnaps und Wein und diskutieren ueber den Bolognaprozess. Ich moechte am liebsten sofort einziehen. Am naechsten Tag stehen Mojca un Rok, in deren Zimmer ich schlafe, frueh auf und ich setze mich dann irgendwann zum Fruehstueck in die Kueche. Ich fuehle mich wie zuhause. Den ganzen Tag laufe ich durch die Stadt, eigentlich laufe ich immer ein kurzes Stueck und sitze dann irgendwo eine Stunde lang und lese mein Buch – an der Drava, auf dem Glavni trg, im Stadtpark, oben auf dem Huegel Piramida. Das Wetter ist phantastisch und abends habe ich einen Sonnenbrand. Langsam trudeln verschiedene Mitbewohner in der Wohnung ein, Tilen kocht, wir trinken Wein, alle rauchen (nur ich bleibe stark!), es kommt Besuch, wir gehen tanzen bis nachts um 3. Es ist als wurde ich hier wohnen.

Am naechsten Tag nimmt Tilen Eva und mich im Auto mit nach Ljubljana. Auf dem Weg halten wir bei einem Weinbauern in der Naehe von Slovenska Bistrica, weil Tilen dort Wein kaufen will. Wir werden verkoestigt wie die Koenige: verschiedene Sorten kalter Braten, Schinken, Kaese, Raeucherwurst mit viel Knoblauch, Kaese, Brot, selbstgemachte Kuchen, zwei Sorten Wein, selbstgemachter Apfelsaft, Most, es hoert ueberhaupt nicht mehr auf! Es ist einfach wunderbar, und die Gesellschaft stimmt auch.

In Ljubljana angekommen finde ich relativ zuegig zu Mias WG – es ist schoen, auch mal bei jemandem unterzukommen, den man schon kennt. Sie hat ihren Freund Kalle zu Besuch, und am ersten Abend gehen wir noch durch den Regen auf die Metelkova, einen herrlichen alternativen besetzten Gebaeudekomplex mit vielen Clubs in ehemaligen Militaerbarracken. Am naechsten Tag entdecke ich Ljubljana – der Blick vom Schloss auf die verschneiten Berge in der Ferne ist unbezahlbar, die Stadt ist wunderschoen, die Menschen so freundlich – Slowenien begeistert mich restlos.

Abends gehen wir essen – zum Nachtisch gibt es Gibanica, einen Mohn-Topfen-Apfel-Walnuss-Strudel-Unfassbar-Lecker-Unbedingt-Sofort-Jeden-Tag-Essen-Wollen-Nachtisch. Ich habe von einer Freundin von Mias Mitbewohnerin auch ein Rezept bekommen. Der zweite Tag in der Hauptstadt ist ruhig, ich kaufe in einem herrlichen Antiquariat mit englischen Buechern – eine Empfehlung der Maribor-WG – Vladimir Bartols „Alamut“, einen slowenischen Klassiker. Auf die Lektuere freue ich mich sehr!

Heute in aller Fruehe dann der Bus nach Bled. Auf der Fahrt brechen die schneebedeckten Berge durch eine dicke Wolkenwand, das sieht so schoen aus! Leider nieselt oder regnet es den ganzen Tag, aber der Spaziergang um den herrlichen Bleder See mit dem Inselchen in der Mitte und die Fahrt mit dem Boot dorthin lasse ich mir nicht nehmen. Ich laeute die Wunschglocke und denke in dem barocken Kirchlein an meine polnischen Freunde und frage mich, wie es in Polen wohl aussieht nach dem Flugzeugunglueck.
Nachmittags laufe ich noch hoch zum Schloss. Dort gehe ich nicht hinein, der Eintritt ist unverschaemt teuer und schon die Bootsfahrt und der Eintritt auf der Insel waren nicht von Pappe. Aber ich waere nicht Papis Tochter, wenn ich nicht eine Alternative zum Blick von der Schlossmauer suchen wuerde. Ich besteige voellig unbefestigte Wege und laufe um das Schloss herum. Gott segne das Profil meiner Wanderstiefel, ungefaehrlich ist das nicht – aber ich werde mit einem atemberaubenden Blick auf den See belohnt.

Morgen muss ich in aller Fruehe einen Zug bekommen und fahre dann an die Kueste – da soll auch das Wetter wieder besser werden. Schon jetzt ist mir klar, dass dies nicht mein letzter Besuch in Slowenien sein wird, ich habe zu wenig Zeit fuer alles, was ich sehen moechte. Eine unfassbare Vielfalt, von Mittelmeerkueste bis zum Skifahren in den Alpen, Weinberge, Hoehlen, roemische Ruinen, es scheint hier einfach alles zu geben und nichts ist weiter als drei bis vier Stunden entfernt- es sei jedem ans Herz gelegt, sich davon selbst zu ueberzeugen!

Kecskemét, Pécs, Veszprém, Balaton

An meinem letzten Morgen in Budapest gehe ich lange auf der Margareteninsel spazieren. Am Ufer entlang flanierend höre ich plötzlich so eine Klopfen, ein bisschen wie von einem Specht. Ich schaue hinter die Straeucher am Weg und da ist ein riesiges Gehege mit Störchen, die mit den Schnaebeln klappern. Ich habe noch nie so viele Störche auf einmal gesehen. Schöne Tiere. Überhaupt erlebe ich in diesem Land viel Friedlichkeit. Von der Margareteninsel gehe ich zurück zum Szabadság tér, den ich schon am ersten Tag so mochte – es muss am Namen liegen, es ist der Platz der Freiheit, wie ich nun weiss. Dort sitze ich lange in der Sonne und gucke Kindern auf dem Spielplatz zu. Es ist herrlich, für so etwas Zeit zu haben.
Die Zugfahrt nach Kecskemét ist unaufregend. Ich fahre dort übrigens hin, weil Mami bei der Reiseplanung immer dieses Brahmslied gesungen hat: „Schönstes Staedtchen im Alföld ist Kecskemét!“ Ich lerne dann von meinem Gastgeber Dániel, dass Alföld auf ungarisch so etwas wie Tiefebene heisst. Die Stadt ist sehr hübsch und sehr klein, das Glockenspiel am Art-Nouvaeu-Rathaus spielt ein Stück aus der Zauberflöte und die Sonne scheint.

Am zweiten Tag fahren Dániel und ich mit einem Freund von Dániel in einem 30 Jahre alten Opel Kadett in den Kiskunság Nationalpark. Hier geht es mir zum ersten Mal so wie an vielen Orten danach in Ungarn: Ich bin zuerst nur maessig begeistert und plötzlich wird es wunderschön und übertrifft meine Erwartungen. Der Blick von dem Kirchhügel in dem kleinen Dorf beim Park über die Tiefebene, und die Sonne, die postkartenkitschig blutrot zwischen den dunkelgrauen Wolken hindurchscheint, diese Weite – es ist wunderschön und ein bisschen wie in Norddeutschland mit dem platten Land. Wir laufen 4 1/2 Stunden durch den Park – ganz beabsichtigt ist das nicht, wir verlaufen uns zwischendurch ein bisschen. Aber umso besser schmeckt die Palinka, der Schnaps, nach der Rückkehr nach hause. Abends gehen wir mit vielen Leuten etwas trinken und ich lerne, dass man in Ungarn die Begrüssungsküsschen von rechts nach links gibt – sehr verwirrend!

Am naechsten Tag geht es in aller Frühe nach Pécs. Langsam brauche ich mal eine Pause von der vielen Gesellschaft und Zeit um über all die neuen Eindrücke nachzudenken. Ich erkunde die Stadt allein. Sie ist Kulturhauptstadt 2010, aber nichts ist fertiggeworden, alles ist Baustelle. Das ist sehr schade, man merkt, dass es eine wunderbare Stadt ist. Die Moscheekirche auf dem Hauptplatz und die Kathedrale haben es mir besonders angetan. In der Kathedrale gehe ich am Ostersonntag morgens in den Kindergottesdienst. Er ist sehr stimmungsvoll. 
Am Ostermontag fahren mein Gastgeber Zsolt und ich mit einer Freundin von ihm in ein Dorf in der Naehe von Pécs und gucken uns dort die traditionellen Ostertaenze an – mit Trachten und Blaskapelle, es ist wirklich süss. In Deutschland kaeme es mir nicht so hübsch vor, sondern ein bisschen albern, befürchte ich.
Nachmittags fahre ich nach Siófok an den Balaton. Das Wetter ist jetzt grauslig, es giesst in Strömen. In Siófok habe ich ein Pensionszimmer, ich bleibe dort und mache mir einen ruhigen Nachmittag mit, oh Schreck, deutschem Fernsehen. Wir haben alle unsere Laster… Der Ort macht vom Bus aus ohnehin keinen netten Eindruck, sondern wirkt wie eine Ansammlung einer beliebigen Menge von Kreisverkehren unterschiedlicher Grösse. Am naechsten morgen gehe ich zum Faehranleger – hier zeigt Siófok seine touristische Seite, aber am Strand stehen auch ein paar hübsche herrschaftliche Gebaeude. Es weht und windet, der See schlaegt hohe Wellen, ich verstehe ein bisschen, warum sie ihn das „ungarische Meer“ nennen. Die Faehre geht im April nur am Wochenende. Ich fahre also mit dem Bus nach Veszprém.
In Veszprém komme ich bei einer Familie mit drei Kindern im Altern von 1 1/2, 5 und 8 Jahren unter. Vater Gabor ist Übersetzer und spricht sehr gut englisch, Mutter Judit spricht ein bisschen deutsch. Es ist ein Abenteuer, und ich finde es wunderbar. Nach meiner Stadterkundung – Veszprém hat einen hübschen Schlossberg und liegt sehr malerisch am Hang – gibt es abends ein grosses Abendessen und anschliessend spiele ich mit Gabor und den beiden grossen Kindern Carcassonne. Der Kleine ist schon im Bett, aber meine Güte, so ein süsses Kind! Am naechsten Morgen beim Frühstück gibt er mir sogar ein Küsschen, einfach so. Mir geht das Herz auf!
Ich erkunde von Veszprém aus auch Keszthely (sprich „Kaest-hej“ – oh, diese Sprache!!!) mit seinem habsburgischen Schloss, Balatonfüred mit seiner herrlichen Uferpromenade und dem Schick eines Kurorts – es gibt hier auch Heilquellen – und Tihany, das auf der gleichnamigen Halbinsel auf einem Berg über dem Balaton thront und mir einen herrlichen Panoramablick eröffnet.
Ich sitze lange auf der Mauer der Klosterkirche und lese. Als ich mich umdrehe, ist der Schatten des Berges unten über das Ufer der Halbinsel hinaus auf den See gekrochen und man sieht die Silhouette der zwei Kirchtürme auf dem Wasser. Auf der Busfahrt zurück nach Veszprém geht die Sonne unter. Der See hat tausend verschiedene Farben, in Siófok war er grau, in Balatonfüred nachmittags war er von einem hellen Grüngrau, von Tihany oben war er blau und silbern und im Sonnenuntergang jetzt glaenzt er golden. Ein herrliches Fleckchen Erde.
Heute geht es in 9 Stunden mit 5 bis 6 mal umsteigen nach Maribor. Eine neue Grenzüberschreitung. Ich bin gespannt!
„Reisen ist gesund, ich hau ab und zieh Leine und ihr seht mich als Punkt am
Horizont verschwinden um ein Stück weiter hinten mich selbst zu
finden…“

Wien / Bratislava / Budapest

Man haette ja auch fliegen können. Aber Zugfahren erlaubt es, so richtig Abstand zu bringen zwischen den Ort, den man verlaesst, und den, zu dem man reist. Im Übrigen ist so eine Bahnfahrt von Berlin nach Wien doch sicherlich immer für eine Überraschung gut und überdies unschlagbar günstig. Ich steige morgens um halb 9 in Berlin in den Zug und – schwupps! – zehn Stunden spaeter bin ich in Wien. Dazwischen liegt ein Abenteuer: Ich teile eine Sitzgruppe im Grossraumwagen mit einer sechsköpfigen bosnischen Familie, Mama und fünf Söhne, der aelteste so um die 15, die jüngsten Zwillinge von etwa 4 Jahren – halleluja! Wenn ich nicht aufgeregt gewesen waere und ausgesprochen gut gelaunt, haette mich nach etwa einer halben Stunde der Geruch von warmgewordenen Milchprodukten aus der riesigen Provianttüte tödlich genervt, und das Geschrei der Zwillinge erst recht. Ich bin aber gut gelaunt, und laechle die arme Mutter immer wieder an, damit sie kein schlechtes Gewissen hat. Dafür bietet sie mir spaeter in gebrochenem, aber ausgesprochen charmantem Deutsch Waffeln an. Jetzt freue ich mich noch mehr auf Bosnien!

Wien ist wunderbar, aber vor allem wegen Nele und der schönen entspannten Zeit, die wir miteinander verbringen. Die Stadt und ich werden keine besten Freunde mehr, ich halte sie auf Distanz. Sie ist mir zu kühl und zu adrett.
Umso schöner der Tagesausflug nach Bratislava. Die Stadt wirkt kaum wie eine Hauptstadt, zu verschlafen und gemütlich kommt sie daher an diesem Schönwettersonntag. Aber gegen die Abwesenheit von Hektik habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Nele und ich schauen in die Martinskathedrale hinein, dort gibt es ein kostenloses Konzert, ich glaube es ist eine Passion. Herrlich! Anschliessend gehen wir ausgesprochen gut und günstig essen in einem Restaurant, das der Lonely Planet empfiehlt. Um uns herum spricht man trotzdem, Gott sei Dank, nur Slovakisch, es ist also keine Touristenfalle und die Atmosphaere stimmt auch mit Haekelvorhaengen und alten Radios und Schreibmaschinen als Deko. Ich versuche auf Polnisch zu bestellen und das klappt ganz gut.

Und ploetzlich ist schon Montagmorgen und ich steige in Wien an einer der zahlreichen Baustellen, die ein Bahnhof sein wollen, wenn sie gross sind, in den Zug nach Budapest. Drei Stunden dauert die Fahrt, jetzt ist es endlich so richtig losgegangen!
Am Keleti Bahnhof steige ich aus, das Gebaeude ist wunderschön und alles ist aufregend. Es ist ein Kopfbahnhof, und zwischen Gleisende und Absperrung spielen alte Maenner Schach. Das Wetter ist fast sommerlich warm und es herrscht ein buntes Treiben. Ich gebe meinen Rucksack in die Gepaeckaufbewahrung und stiefele los.
Als erstes lande ich, eher zufaellig, im juedischen Viertel. Die Synagoge ist von aussen herrlich, aber es ist voll und teuer und das Wetter ist zu schön um drinnen zu sein. Ich laufe also weiter und erkunde Pest von allen Seiten. Viele hübsche Ecken gibt es, und ich bin ganz angetan. Mehr oder minder plötzlich stehe ich auf dem Szabadsag ter, der umrahmt ist von herrlichen Gebaeuden, und meine Begeisterung waechst – und dann taucht das Parlament auf und ich kann mich kaum noch halten. Der Reichstag wirkt wie eine schlecht gestrichene Streichholzschachtel dagegen.
Mir faellt auf wie lange ich nicht mehr in einem Land war, in dem ich die Sprache kein bisschen verstehe. Ich habe noch nicht mal eine Ahnung, wie man irgendwas aussprechen könnte. Was die Leute reden ist mir ein völliges Raetsel. Heute, drei Tage spaeter, habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt, ich spreche jetzt in der Metro dem Ansager die Stationen nach um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen, aber es ist so unfassbar anders, dass es mich manchmal etwas anstrengt. Dunkel fühle ich mich an die Zeiten erinnert, in denen das Polnische mir genauso fremd war. Wie schön, dass das vorbei ist!
Nun, ich fahre also abends zu meinen Gastgebern zur ersten Couchsurfing-Erfahrung, ich habe lange niemanden gefunden und Melinda und Laszlo haben sich sehr kurzfristig bereit erklaert, mich aufzunehmen – die beiden sind entzückend und wahnsinnig hilfsbereit und freundlich. Sie müssen die ganze Woche sehr viel arbeiten, aber ich bekomme haufenweise Hinweise auf lohnenswerte Aktivitaeten.
Am naechsten Morgen stehen wir alle frueh auf, da ich keinen Schlüssel habe muss ich mit den beiden das Haus verlassen. Ich erkunde tagsüber das Parlament von innen – für EU-Bürger ist das kostenlos. Besonders gefallen mir die Zigarrenhalter vor den Plenarsaelen und die Tatsache, dass sich der Securitymann am Eingang von dem Hinweis auf das Messer in meiner Tasche (sowas muss man als Backpacker ja dabei haben) kein bisschen beeindrucken laesst. Ich schaue mir auch die Stephanskathedrale an und gehe nachmittags mit einem ungarischen Maedchen, das ich ebenfalls über Couchsurfing kontaktiert habe, zum Schloss hoch. Es ist ein sehr netter Nachmittag mit angeregten Diskussionen.
Heute schliesslich war ich früh am Heldenplatz und dann im Haus des Terrors, einem Museum über die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, und den Soviet-Terror in Ungarn. Museumspaedagogisch erinnert es mich hier an das Museum zum Warschauer Aufstand in Warschau, es ist sehr interaktiv und emotional aufgezogen. Ich lasse mich darauf nicht mehr so stark ein wie früher vielleicht. Ich habe aber auch sachlich einiges mitgenommen, denn ich war so firm zuvor in ungarischer Geschichte nicht. Am fruehen Abend bin ich in einem kostenlosen Konzert im Palast der Kuenste und geniesse anschliessend das Sonnenuntergangs-Panorama auf dem Gellert-Hügel.

Untermalt werden diese vielen kulturellen Eindrücke natürlich von den zugehörigen Kleinigkeiten – zum Beispiel das Geraeusch der Krankenwagen. Es klingt wie ein Laser-Maschinengewehr in einem Computerspiel, das einen besonders scheusslichen Ork töten soll. Oder die roten Postkaesten. Oder die Computertastatur, auf der es ü und ö gibt, aber keinen a-Umlaut, dafür ł und Ł, obwohl die Ungarn das nicht brauchen. Oder der kurze Ausflug in die Markthalle, wo es so wahnsinnig gut duftet nach Gemüse, Gewürzen, frischem Fleisch und ganz viel Knoblauch und Paprika. Diese Kleinigkeiten werden sich noch weiter zu einem Ungarn-Gesamteindruck zusammenfügen. Denn noch ist ja Ungarn nicht abgeschrieben: Morgen geht es erstmal nach Kecskemet, und dann nach Pecs und an den Balaton. Ich hoffe zum Beispiel noch auf ein zünftiges Gulas und auf den ersten Titel in meinem Lieder-Repertoire, das ich mitbringen soll. Da gibt es noch viel zu tun. Also: Szia!

Berlin II

In den letzten 8 Tagen, die ich hier verbracht habe, habe ich mir die Stadt von Osten kommend erwohnt.
Treptow ist ein Stadtteil, wie er in vielen deutschen Großstädten gelegen sein könnte. Ein bisschen grau und irgendwie ganz normal. Es erschlägt einen nicht gleich mit voller Kraft diese Empfindung, dass man in Berlin ist. Ich habe das sonst an vielen Stellen in dieser Stadt, dieses Gefühl, dass dir jede Ecke entgegenwirft, ein Teil Berlins zu sein und als solcher unglaublich besonders. Faszinierend ist aber, dass auch Treptow nicht beliebig ist oder langweilig, sondern ebenso einen Berlinstolz in sich trägt wie die Stadtteile, in denen ich danach Station gemacht habe. Es ist dort nur ein bisschen subtiler.
Friedrichshain ist viel plakativer, was das angeht. Am Frankfurter Tor stehe ich und schaue auf die Karl-Marx-Allee, die ehemalige Stalinallee, und mich versöhnt dieser Ort ein wenig mit der Tatsache, dass es den Palast der Republik nicht mehr gibt. Dessen Abwesenheit habe ich auf einem Spaziergang vom Alex zur Museumsinsel empfunden wie eine Wunde im Stadtbild, fast schon wie eine Wunde am eigenen Körper. War der Palast der Republik auch die vielleicht noch so hässliche Narbe, die zurückblieb, nachdem das Stadtschloss gesprengt wurde – jetzt versucht man, diese Narbe wegzulasern und bildet sich ein, dass sie dadurch unsichtbar würde. Ein, wie ich glaube, fataler Irrtum. Nun, Friedrichshain trägt weiter das Gesicht dieses Teils deutscher Geschichte, und es ist siffig und dreckig und links und stolz darauf. Es ist eine sehr ehrlich Gegend.
In Kreuzberg macht sich bemerkbar, was so viele junge Menschen nach Berlin zieht. Es ist ein Gefühl von kreativem Idealismus. Es ist auch ein Gefühl von Szene. Viel reflektieren die Bewohner von Berlin, wie schnell sich derzeit ein Stadtteil verändert. Es geht dabei meistens um den Punkt, an dem aus einem schönen, jungen Standort neuer, kreativer und aufregender Läden, Einrichtungen und Ideen ein Ort entsteht, in dem genau dieses Lebensgefühl zu einer kultivierten Szene stilisiert wird und dadurch seinen Charme verliert. Als Nicht-Berlinerin hat mich der Zauber noch voll ergriffen, und ich habe in Kreuzberg ein Berlin gesehen, das auch mich reizt und herausfordert, das mich lockt und in Versuchung führt mit seiner Sucht nach Leben.
Schließlich bin ich nun in Mitte. Hier ist es zunächst einmal ein bisschen glatt gegenüber den vorigen Stadtteilen, eben und gerade. Gepflegt. Schön. Aber eben doch Berlin und unter der Oberfläche wilder und freier als die entsprechend schicken Stadtteile von Hamburg. Ich bin begeistert von Berlin wie eh und je, und zwar deswegen, weil es mich auch in Mitte, das es mir einfach zu machen scheint, immer noch anstrengt und herausfordert mit seinen tausend Möglichkeiten und seinem Hang zu Überraschungen.
Übermorgen breche ich vom Hauptbahnhof auf nach Wien, mit dem Zug über Tschechien. Berlin präsentiert sich auf der Stadtbahnstrecke von Zoo bis Ostbahnhof von einer Schauseite mit Gedächtniskirche, Siegessäule, Reichstag, Bundeskanzleramt, Museumsinsel, Dom und Fernsehturm. Immer wenn ich dort entlangfahre werde ich ganz aufgewühlt, weil mich diese Schaustücke daran erinnern, was Berlin alles dahinter ist und sein will und was es vom Menschen fordert, der sich dort aufhält. Ich habe es als Besucher wie als Bewohner immer als eine herausfordernde Aufgabe empfunden, in Berlin zu sein. Ich mag Herausforderungen.

Berlin

Immer wenn ich in Berlin bin muss ich daran denken, wie an meiner Schule das Musical „Linie 1“ aufgeführt wurde, als ich in der 5. Klasse war. Damals habe ich wahrscheinlich ungefähr nichts von der Handlung verstanden, aber die Musik fand ich damals toll, und heute gehe ich durch Berlin und habe verschiedenste Lieder im Ohr. Zum Beispiel das hier:
„Es ist herrlich zu leben, mein Kind,
Es ist herrlich zu leben, wenn ein Tag neu beginnt.
Das Herz will zerspringen, die Seele verglühn,
Wenn am Görlitzer Bahnhof die Linden blühn
Und über der Mauer die Möwen ziehn –
Es ist herrlich zu leben in Berlin!“
Und Berlin ist tatsächlich herrlich und aufregend und ich würde auf der Stelle herziehen, wenn ich nicht zuerst den wilden Osten unsicher machen müsste.
Es erreichen mich außerdem soeben per Email mein Masterzeugnis und die Bescheinigung vom Dekanat, dank derer ich mich jetzt offiziell „Doktorandin“ schimpfen darf. Das ist auch ziemlich aufregend, aber vermutlich werde ich diese Art der Aufregung erst nach der Reise richtig zu schätzen wissen.
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