Meine beste Freundin im Kindergarten hieß Lea. Lea hatte krause Locken und eine kleine Schwester, die erst langweilig war, weil sie immer schlief und dann nervte, weil sie immer durch das Kinderzimmer krabbelte. In der Grundschule war meine beste Freundin Aiko. Sie kam aus Japan und wir haben uns in der zweiten Klasse gestritten, weil sie immer meine Bilder in Kunst abgemalt hat und nie eigene Ideen hatte. In der dritten Klasse wurde Paulina meine beste Freundin. Sie war klein und zerbrechlich und schenkte mir zum Abschied in der Grundschule eine selbstgebastelte Muschelkette.

Von keiner der drei habe ich heute eine Telephonnummer, Emailadresse oder auch nur den Facebookkontakt.

Mein Leben war auch später eine Sukzession bester Freundinnen – und irgendwann auch bester Freunde. Andere probierten ihre ersten Beziehungen aus, ich hatte dafür immer einen großen Freundeskreis und immer auch tief vertraute allerbeste, allerengste, allerwichtigste Personen um mich. Meinen ersten schlimmen Liebeskummer hatte ich, als eine Freundschaft zerbrach. Ich bin noch nie von einem langjährigen Partner verlassen worden, aber schon oft von langjährigen Freunden oder Freundinnen. Ich glaube nicht, dass das weniger schlimm ist. Gerade als Teenager hat es mich sehr verstört. Dass Beziehungen von einem Tag auf den anderen enden können, wusste ich aus Büchern und Filmen. Dass auch in einer Freundschaft jemand sagen konnte: „Ich will das nicht mehr!“ – darauf hatte mich niemand vorbereitet.

Irgendwann war der Begriff „beste Freundin“ nicht mehr unschuldig. Er hatte schon vielen gehört, und keine war in meinem Leben geblieben. Was bedeutete er dann noch?

Ich habe eine Freundin, sie ist diejenige, mit der ich am längsten befreundet bin. Wir kennen uns seit der Krabbelgruppe, fanden aber erst mit 13 wirklich zueinander. Seitdem war sie immer da, auch wenn wir uns zwischendurch immer mal ein paar Jahre weniger nahe standen. Unsere Lebenswege sind ausgesprochen unterschiedlich. Sie hat einen ganz anderen Beruf gelernt, sie hat früh gearbeitet, während ich noch studierte, und fing nochmal an zu studieren, als ich in die Arbeitswelt eintrat. Ihre Perspektive auf die Welt ist pragmatisch, sachlich, und es tut mir gut, dass sie mich wohlwollend auslacht, wenn ich ihr komplizierte philosophische Gedankengänge unterbreite. Ich bewundere sie, weil sie sich so handfest und stark in einer Branche behauptet, in der ich keinen Tag überleben könnte, und sie bewundert mich, weil ich abstrakt und strukturell denke und in der Kunst zuhause bin. Wir sprechen nicht jeden Tag miteinander, aber wenn wir es tun, dann gibt es doch immer wieder Parallelen zwischen unseren Leben. Sie versteht, woher ich komme. Wir müssen uns nichts erklären.

Ich habe eine Freundin, sie ist diejenige, die mir am ähnlichsten ist. Wir haben zusammen studiert, unsere Abschlussarbeiten gegenseitig korrigiert, uns durch unsere ersten wichtigen Trennungen geweint, sind direkt nacheinander von der kleinen Unistadt in die große Hauptstadt gezogen, haben ähnliche berufliche Laufbahnen eingeschlagen und gemeinsam danach gesucht, wer wir sind. Sie denkt wie ich. Wenn ich ihr ein Problem aus dem Alltag schildere, strukturiert sie es für mich so, wie ich es noch nicht kann, weil mir der nötige Abstand noch fehlt, und umgekehrt kann ich das gleiche für sie tun. Wenn es mir schlecht geht und ich sie anrufe, steht sie eine Stunde später mit Wein und Schokolade vor der Tür und schläft, wenn es sein muss, mit mir in meinem Bett, obwohl sie das nicht mag. Sie nimmt meine Probleme intuitiv ähnlich war wie ich und weiß, warum mich Dinge belasten, weil es ihr auch so geht. Wir müssen uns nichts erklären.

Ich habe eine Freundin, sie ist diejenige, die immer unterschiedliche Rollen in meinem Leben gespielt hat. Wir haben zusammen ehrenamtlich gearbeitet und waren in unserer mittlerweile über zehnjährigen Freundschaft kaum ein Jahr am selben Ort. Es waren häufig die großen, die wichtigsten Ereignisse, an denen die andere besonders intensiv teilgenommen hat. Berufliche Neuorientierung. Liebeskummer. Auslandsaufenthalte. Die lebensverändernden Entscheidungen haben wir immer besprochen. Wir können gemeinsam 3 Wochen in den Urlaub fahren und uns nicht auf den Geist gehen. Ich bin Patentante ihrer Tochter und seitdem mit einer noch größeren Selbstverständlichkeit in ihr Familienleben integriert, was ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Wenn ich bei ihr vor der Tür stehe, macht sie auf, drückt mir ihre Tochter in den Arm und sagt: „Halt sie mal, ich bin gleich wieder da“ um in die Küche zu laufen und Kaffee aufzusetzen. Wir müssen uns nichts erklären.

Wer ist meine beste Freundin?

Was ist Freundschaft?

Freundschaft ist, sich nichts erklären zu müssen, aber sich dem anderen erklären zu dürfen, wenn man es braucht.