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Brückenschläge und Schlagworte

Die Bodenlosen

Ich habe mich gestern fürchterlich über etwas geärgert. Wie in 35% der Fälle, in denen ich mich fürchterlich ärgere, geht es um etwas, das ich auf Twitter gelesen habe. Sollte diese Quote jemals auf über 50% steigen, werde ich tatsächlich mal über Konsequenzen nachdenken müssen. Bis dahin werde ich einen kleinen Rant schreiben. Das hat ja auch was Kathartisches.

Dass Twitter, und ich schreibe darüber nicht zum ersten Mal, für viele als Plattform zur Selbstdarstellung genutzt wird, ist unvermeidbar und gar nicht immer verwerflich. Im sozialen Netzwerk findet jeder seinen Platz, und jeder bekommt Feedback – positives und negatives. Was das jedoch mit den Leuten anstellt, ist zutiefst individuell. Und es ist ausnehmend auffällig, wie sich die Menschen mit (zu) wenig Selbstbewusstsein von idiotischen Trolls kaputtmachen lassen, während diejenigen, die sich selbst ohnehin wahnsinnig geil finden, jede Kritik an sich selbst in die Schranken der Geisteskrankheit verweisen. Die Bodenlosen, wie ich sie nenne, weil sie die Bodenhaftung offenbar schon lange verloren haben. Es geht mir, mit einem Wort, um die Selbstgerechtigkeit, die mir bisweilen auf Twitter begegnet.

Ich sollte mich darüber wahrlich nicht aufregen, denn es geht hier nur um eine ganz persönliche Antipathie und nicht um ein grundsätzliches, geschweige denn lösbares Problem. Ich muss diese Menschen nicht lesen. Ganz grundsätzlich sitzt ja mein Blockfinger lose. Ich blocke nicht nur selbstverständlich Accounts, die rassistische, homophobe, misogyne oder sonstwie diskriminierende Ansichten vertreten. Ich blocke auch Accounts, die Werbung machen; Accounts, die 2000 Leuten folgen, aber nur einen Follower haben; Accounts, die keine individuellen und originellen Inhalte produzieren. Ich blocke Accounts, auf denen mir zu radikal, zu krass, zu verstörend geschrieben wird, und ich blocke Accounts, deren Betreibern es meinem Empfinden nach offensichtlich nur und ausschließlich um sexuelle Bedürfnisbefriedigung geht. Ich will das alles nicht in meinem Leben haben, und ich will auch nicht, dass all das umgekehrt an meinem Leben Anteil hat. Möglicherweise fällt mein Urteil manchmal vorschnell aus, aber das ist meine Sache, und ich kann wirklich prima mit ein paar Followern weniger leben und damit, dass mich ein paar Leute im Netz blöd finden, wenn mir Twitter dafür weiter Spaß macht.

Mit den Bodenlosen ist das so eine Sache. Meistens fällt deren Benehmen nämlich nicht von Anfang an so stark ins Gewicht. Jemand macht eben mal einen arroganten Spruch über eine bestimmte Berufsgruppe, jeder hat das Recht auf das ein oder andere harsche Urteil. Vielleicht scherzt auch einer mal damit herum, wie großartig er oder sie selbst ist – wie klug, wie schön, was für ein wahnsinniger Gewinn für diese armselige Welt. Das ist bestimmt lustig gemeint. Aber dann nehmen diese Bemerkungen zu, und die Grundeinstellung des Standesdünkels fällt mir irgendwann bei fast jedem Tweet auf. Und trotzdem entfolge ich häufig nicht einmal.

Vielleicht ist da auch ein Funken Bewunderung im Spiel. Mir würde es auch gut tun, mal allen Leuten unter die Nase zu reiben, wie viele akademische Abschlüsse ich habe; wie viele Sprachen ich spreche; in wie viele Länder ich schon gereist bin; wie viele Menschen mich toll finden – um mich dann im „Ooooh!“ und „Aaaah!“ der geneigten Zuhörerschaft zu sonnen, die sich scheinbar von seelenlosen Zahlen beeindrucken lässt. Ich finde nur leider, dass all das keine Gründe zum Angeben sind. Die Tatsache, dass ich nach zwei sehr guten Universitätsabschlüssen nun promoviere, macht mich zum Beispiel noch nicht klug, geschweige denn bewundernswert. Ich will es freundlich formulieren: Ihr wärt überrascht, wie viele uninspirierte und undisziplinierte Menschen an langweiligen Doktorarbeiten schreiben. Irgendwann, wenn mein Buch fertig ist und wenn es gut ist, dann kann ich vielleicht damit angeben. Vielleicht. Aber sehen wir den Dingen ins Auge: Ich bin kein Immanuel Kant und keine Judith Butler, und meine akademische Leistung wird solide sein, aber die Welt nicht verändern.

Vielleicht ist es das wirklich – ich wäre auch gerne so stolz auf meine Leistungen wie diese Menschen, die sich für die beste Erfindung seit geschnitten Brot halten, nur weil sie irgendwie aussehen oder irgendwas können. Ich stelle mir das sehr entspannt vor, wenn diese Stimme fehlt, die alles relativiert. Bei mir sagt immer etwas: „Ich kann nichts für meine Intelligenz, das ist Erbmasse.“ „Ich kann nichts für meine Abschlüsse, schließlich hatte ich das Privileg, durch die Unterstützung meiner Eltern von finanziellen Sorgen befreit studieren zu dürfen.“ „Ich kann nichts für meine Talente, denn ich habe ja nicht hart dafür gearbeitet.“ In meinem Kopf kann ich im Übrigen auch nichts für die Dinge, die ich mir hart erarbeitet habe, wie etwa meinen Job. Das ergibt keinen Sinn? Nein, tatsächlich nicht. Aber das interessiert meinen Kopf herzlich wenig.

Ich hege also durchaus eine gewisse Faszination für die Bodenlosen. Deswegen muss es manchmal erst zum Äußersten kommen, bis ich mich wirklich ärgere. Das geschieht dann, wenn ein Bodenloser sich in deutlichen Worten über andere stellt. Wenn er nicht mehr darüber spricht, wie schön sein Leben ist, sondern wenn er darüber spricht, wie scheiße das Leben aller anderen ist. Wenn er die breite Masse seiner Follower als hohl und verblödet bezeichnet und ein paar Auserwählte gnädig davon ausnimmt. Solange die Bodenlosen über sich sprechen, mag mich ihr Gestus manchmal etwas befremden, aber irgendwie lesen sie sich doch ganz nett. Wenn sie aber über andere urteilen und erst daraus ihren eigenen Wert beziehen, dann erlischt mein Interesse schlagartig. Und es liegt nicht daran, dass ich ihnen nicht gönne, was sie für ein tolles Leben führen. Es liegt daran, dass ich das Gefühl habe, dass dieses tolle Leben nur um den Preis der respektlosen Verachtung gegenüber anderen Lebensentwürfen Bestand haben kann.

Und dann entfolge ich. Meistens ohne zu blocken. Ich gehe in solchen Fällen davon aus, dass ich uninteressant werde, wenn ich den Standesdünkel nicht mehr mit Zuspruch füttere. Schließlich kreisen die Bodenlosen ohnehin in aller Regel um nichts als sich selbst.

1 Kommentar

  1. Ja, viele sehen in Twitter und Co nicht die Möglichkeit und die Freude daran sich auszutauschen, sondern sehen darin eher eine Einbahnstraße. Die eigene Meinung wird laut und mit möglichst viel Getöse veröffentlich, wenn dann jemand darauf reagiert, dann bitte nur mit ‚ja, super, find‘ ich auch, gut, dass es mal wer sagt,…‘ Von konstruktiver Kritik oder gar einer anderen Meinung wollen viele nichts hören.
    Und das hat auch nichts mit einer bestimmten Intelligenz oder Bildung zu tun. Es gibt unterschiedliche Arten von Intelligenz, die nicht abhängig von irgendeinem Doktortitel oder so sind und dumme Menschen gibt es auch in allen Bildungsschichten.

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