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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: Eastern Europe (Seite 9 von 9)

Istanbul

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Istanbul und ich, das ist die ganz grosse Liebe.
Bayrampaşa

Im Bus ueberfaellt mich kurz die Angst vor der eigenen Courage. Bin ich denn des Wahnsinns, alleine in eine der grössten Staedte der Welt zu fahren ohne auch nur einen Stadtplan im Gepaeck? Ich hab ja keine Ahnung von Istanbul. Ich hab ja noch nicht mal Orhan Pamuk gelesen. Vielleicht ist so ein bisschen Ehrfurcht ganz gut. Ich steige in Bayrampaşa aus und tue mich mit einem schwedischen Paerchen aus dem Bus zusammen, um den Weg in die Stadt zu finden. Wir werden in den kommenden Tagen noch viel zusammen die Stadt erkunden.

Eminönü

Überall ist Wasser. Alles ist blau und golden. Moscheen thronen stolz und maechtig am Ufer. Ein westlicher Orientalismus schlaegt in mir durch und vielleicht verklaere ich diese Aesthetik, aber ich kann mir nicht helfen: Ich finde es bezaubernd. Wir gehen frühstücken auf der Galata-Brücke – der Brücke vom Goldenen Horn, vom Haliç. Der Kellner hat fuenf Jahre in Radolfzell am Bodensee gearbeitet, spricht hervorragendes Deutsch und schenkt uns bunt bemalte Untertassen. Der tuerkische Joghurt mit Honig schmeckt nach Sommerurlaub.

Bosporus

Der Wind weht uns auf dem Schiff um die Nase und die Sonne strahlt genauso wie wir drei. Am Ufer eroeffnen sich immer neue wunderbare Aussichten. Ich kann noch keines der Gebaeude zuordnen. Ich trete der Stadt voellig unbefangen gegenueber – vielleicht trifft mich genau deswegen jeder neue Blickwinkel ins Herz. Mein Kopf wird frei auf den gruenblauen Wellen des Bosporus. Europa und Asien, Moderne und Geschichte, ich fuehle mich im Herzen einer riesigen Metropole aus Gegensaetzen, die europaeischen Lebensstil und mitteloestliche Lebensfreude zu einer einzigartigen Synthese bringt.

Sultanahmet

Der Weg fuehrt durch den Gülhane-Park am Topkapı-Palast vorbei zur Ayasofia. Buntes Treiben auf den Strassen, Touristen werden sofort als solche erkannt. „Hey Lady! Lady!“ rufen uns die Strassenverkaeufer zu, um uns was auch immer zu verkaufen – Kebab, Orangensaft, Schmuck, Teppiche. Am Orangensaft kommen wir nicht vorbei, er wird vor unseren Augen frisch gepresst und schmeckt so suess und fruchtig, dass ich mir kaum vorstellen kann, jemals wieder Saft aus einem Tetrapack zu trinken. Wir lernen einen sechzigjaehrigen Goldschmied kennen, der seinen Çay neben uns trinkt. Er teilt tausend Lebensweisheiten mit uns – manche sind gut, manche sind weniger gut.

Taksim Meydanı

Ich treffe Emre, meinen Couchsurfing-Gastgeber, abends am Taksim Meydanı. Ich bin frueh dran und gebe meinen touristischen Beduerfnissen nach: Venti Iced latte bei Starbucks. Chaotischer Verkehr, ausschliesslich junge Leute, eine ueberdimensionale tuerkische Flagge, feine Hotels, Dürüm-Staende. Das geballte Leben am Kreisverkehr vor der Metrostation. Alles ist schnell und energiegeladen, aber das Gefuehl von Stress will sich nicht einstellen. Emre und ich laufen zu seiner Wohnung in einer Sackgasse. Ploetzlich ist alles ruhig. Dutzende von streunenden Katzen spielen auf der laecherlich steil abfallenden Strasse. Das Leben von Taksim tobt nur ein paar Blocks weiter. Ich fuehle mich hier sofort wohl. Fuenf Tage spaeter, wenn ich von dort zu meinem Shuttlebus nach Bayrampaşa laufen werde, werde ich mich fuehlen als haette ich hier gelebt und es nicht nur besucht.

Fındıklı

Fındıklı ist die Metrostation, die man erreicht, wenn man von Emres Wohnung immer bergab zum Wasser laeuft. Ich fruehstuecke am Ufer Starbucks-Kaffee und Börek. Bosnien hat sicher den besten Burek auf dem Balkan, aber die Tuerkei ist das Mutterland des Börek. Der Blick auf den Bosporus – unbeschreiblich. Ein Spielplatz mit laermenden Kindern nebenan zaubert mir ein Laecheln auf’s Gesicht. Ich lege es die gesamte Zeit in Istanbul nicht ab.

Gülhane Parkı

Der Rosenhaus-Park, so die deutsche Uebersetzung, am Topkapı Sarayı ist eine Oase der Ruhe in dieser riesigen Metropole. Er ist gruen und bunt und laedt zum Entspannen ein. Ich sitze auf einer Bank, hinter mir spielen zwei Jungs Gitarre. Ich ziehe auf den Rasen um und warte, dass sie etwas spielen, das ich kenne. Da: „Wonderwall“. Ich fange an zu singen. Sie winken mich zu sich rueber und wir machen gemeinsam Musik und unterhalten uns nett. Die zwei kommen aus Libanon. Es ist so einfach, hier Menschen kennen zu lernen! Es faengt an heftig zu regnen. Ich suche Schutz unter einem Baum. Eine Baby-Katze versteckt sich unter meinem bodenlangen Rock.

Sultanahmet Camii

Laute Geschaeftigtkeit herrscht in der Blauen Moschee. Die Schuhe muessen wir ausziehen, aber das Kopftuch ist im Besucherbereich nicht notwendig. Kinder rennen und spielen auf dem weichen Teppich. Ueberalle sitzen Menschen im Schneidersitz auf dem Fussboden, Touristen lesen sich gegenseitig aus Reisefuehrern vor, das Klicken der Kameras reisst nicht ab. Es ist trotz allem ein spiritueller Ort. Die Glaeubigen beten dort nur mitten im Leben und nicht in der stillen Abgeschiedenheit. Ich empfinde Moscheen als so viel einladender als christliche Kirchen, die haeufig einschuechtern mit ihrer unsubtilen Demonstration von Macht und Groesse. Ich denke an den Petersdom in Rom. Ich assoziiere: gross und eindrucksvoll. Ich denke an die Blaue Moschee. Ich assoziiere: warm und lebendig.

Taksim I

Taksim, oh, Taksim. Ich habe mein Herz an Taksim verloren. Das Leben ist hier dichter als an anderen Orten. Emre und ich essen in einem einfachen kleinen Lokal. Wir suchen uns den Fisch im Fenster selbst aus. Dazu Salat und zum Nachtisch Wassermelone. Alles ist hier geschmacksintensiv und frisch. Anschliessend laufen wir durch die verschlungenen kleinen Strassen mit Kopfsteinpflaster und tausend Strassencafes. Wir trinken Bier in einer Kneipe, in der ausschliesslich gute Musik laeuft. Es gibt tausend Dinge zu sehen und alles scheint sich staendig zu veraendern, ohne dass es unangenehm unruhig waere. Bunte Lichter an alten Haeusern. Zigarettenrauch und Dürüm-Duft in der Luft. Menschen, die sich zufaellig treffen und mit einer Herzlichkeit begruessen, die mich anruehrt. Der Ort sprueht vor einer Energie, die ansteckend ist. Das Glueck kommt ueber mich wie eine Welle.

Kadıköy

Von Beşkitaş bringt die Faehre uns nach Kadıköy auf der asiatischen Seite Istanbuls. Am Haydarpaşa Bahnhof, von dem aus traditionell die Hajj nach Mekka beginnt, laufen wir langsam in den Hafen ein. Wir trinken tuerkischen Kaffee am Ufer des Bosporus und geniessen die entspannte Atmosphaere. Es fuehlt sich nicht sehr anders an auf diesem neuen Kontinent. Aber ein bisschen. Ich kann nicht beschreiben, warum. Ueber Europa zieht ein Gewitter herauf. Ein wahnsinniger weiter Himmel spannt sich ueber uns. Dass diese Stadt so gross ist und man trotzdem immer so viel Himmel sieht!

Ayasofia
Ayasofia, die beruehmte. Ein historischer Platz. Wunderschoen. Unfassbar. Mich macht er vor allem traurig. Wieder denke ich an Rom, diesmal an die Sixtinische Kapelle. Meine Gastmama hat darueber gesagt: „It was like a mall in there.“ Ayasofia ist kein spiritueller Ort mehr. Es ist jetzt nur noch ein Museum. Nur noch? Vielleicht ist das der einzige Weg, dieses unvergleichliche Bauwerk zu schuetzen vor den Klauen der Geschichte, vor dem Zahn der Zeit. Es faellt mir schwer, Ayasofia nicht als geweihten Ort zu begreifen, sondern als ein touristisches Objekt. Ich kann sie nicht richtig spueren. Sie bleibt trotz ihrer Schoenheit ein wenig seelenlos.

Topkapı Sarayı

Ich fuehle mich wie in den Gaerten von Alamut. Wieder denke ich, dass meine westliche Erziehung vermutlich den orientalischen Stil zu einem maerchenhaften Wunder. Ob ein Tuerke Topkapı wohl so empfindet wie ich etwa Sanssouci? Und wie empfindet ein Tuerke dann Sanssouci? Ich verliere mich in den verschiedenen Palastgebaeuden und den endlosen Gartenanlagen. In einem Raum singt ein junger Mann aus dem Koran. Ich stehe zwanzig Minuten und hoere ihm zu, waehrend die Touristen an mir vorbeirauschen, nicht rechts oder links schauend. Koennen sie den Zauber dieser Musik nicht fuehlen?

Ortaköy

„It has to be night,“ sagt Emre, als wir uns gegen 8 auf den Weg nach Ortaköy machen. Wir kaufen Kumpir und setzen uns ans Wasser. Boğaziçi Köprüsü, die erste Bosporus-Bruecke, wird in allen Regenbogenfarben angestrahlt. Blauer Nachthimmel scheint durch eine lose Wolkendecke. Ortaköy Camii, die Moschee, liegt stolz und ruhig hinter uns. Das Leben summt um uns wie in einem Bienenstock. Der Bosporus schlaegt leicht Wellen, aber das Wasser kraeuselt sich nicht so sehr, dass es dumpf wird, sondern es glaenzt wie ein Zerrspiegel. Die bunten Lichter werden zurueckgeworfen in die Nachtluft. Die Stadt hat alles zu bieten, aber sie hat nichts noetig. Ihr groesstes Geschenk fuer den geneigten Besucher ist, dass er hier einfach sein kann.

Taksim II

Auch tagsueber verliert Taksim nichts von seiner Anziehungskraft. Ich kaufe mir einen Ring. Ich moechte die Stadt am Finger tragen. In der langen Fussgaengerzone, İstiklâl Caddesi, spielen alle paar Meter Strassenkuenstler Musik von voellig unterschiedlichem Stil und Klang, alle paar Meter aendert sich die Atmosphaere. Emre und ich rauchen Nargile (Shisha), essen Dürüm (Kebab im Wrap), trinken Ayran (Joghurt) und spielen Tavla (Backgammon). Wir sitzen in einem Hinterhof, in dem Menschen bei Çay oder Kaffee zusammensitzen und antiquarische Buecher verkauft werden. Wir schauen einfach nur zu. Noch nie ist es mir in einer wirklich grossen Stadt so leicht gefallen, zur Ruhe zu kommen.

Haliç

Der Shuttlebus von Taksim nach Bayrampaşa faehrt am gesamten Suedufer des Goldenen Horns entlang. Ich blicke noch einmal hinueber nach Beyoğlu. Am Horizont ueber Istanbul geht ein roter Mond auf. Ich verlasse die Stadt sehr wehmuetig. Es waere nicht auszuhalten, wenn ich nicht das sichere Wissen im Herzen truege, dass ich wiederkommen werde, wann auch immer.

Mavrovo / Skopje / Štip / Kloster Rila / Plovdiv

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Von Ohrid aus moechte ich eigentlich ueber den Sueden Mazedoniens in Richtung Bulgarien reisen, aber ich finde keine Couchsurfer, es gibt keine Hostels und die Verbindungen mit Bus und Bahn sind fast unmoeglich herauszufinden. Kurz bin ich mal so richtig genervt. Ich habe das Hostel schon bezahlt und mein Zimmer geraeumt und weiss noch immer nicht wo ich als naechstes hin soll. Von einer Minute auf die andere entscheide ich dann, ueber das Kloster Bigorski im Mavrovo Nationalpark nach Skopje zu fahren.
Ach, der Transport hier unten… Diese Route bedeutet ein Taxi von Ohrid nach Struga, einen Furgon von Struga nach Debar und noch ein Taxi von dort zum Kloster. Der Furgonfahrer ist auch wieder ein bisschen aufdringlich und erzaehlt mir eine halbe Stunde lang wie huebsch ich bin. Langsam gewoehne ich mich ja fast an Avancen von uebergewichtigen Mittfuenfzigern und kuemmere mich schon gar nicht mehr richtig darum. Vielmehr geniesse ich den Blick auf die wunderbare Landschaft vom Mavrovo-Nationalpark. Mir war gar nicht klar, dass wir da durchfahren – und ploetzlich finde ich mich inmitten einer der schoensten Landschaften meiner Reise wieder. Gruene Huegel, tiefe Schluchten, und unter uns im Tal die Radika, ein Fluss von einer sensationell blauen Farbe. 

Das Kloster Jovan Bigorski hat zwar eine herrliche Ikonostase mit wunderschoenen Schnitzereien – da der Grossteil der Gebaeude aber vor wenigen Jahren niedergebrannt ist, ist das ganze Gelaende eine grosse Baustelle und von stiller Klosteratmosphaere ist wenig zu spueren. Umso froher bin ich um die Fahrt vom Kloster nach Skopje, die weiter durch Mavrovo fuehrt. In der Abendsonne sind die dichtbewaldeten Huegel noch gruener und die Radika noch blauer.

In Skopje couchsurfe ich wieder – das erste Mal seit Serbien. Meine Gastgeberin Mariska holt mich vom Busbahnhof ab. Sie kommt aus den Niederlanden und macht in Skopje einen Europaeischen Freiwilligendienst – sofort fuehle ich mich an meinen eigenen EFD in Polen erinnert. Mariska teilt die Wohnung mit zwei Slowaken. Ueberall an den Waenden haengen Post-its mit mazedonischen Vokabeln und grosse Flipcharts mit Projektplanungen. In Ohrid stand mir das Couchsurfen etwas bevor, ich war doch sehr ans Hosteln und die staendige Gesellschaft anderer Reisender gewoehnt. Kaum mache ich es mir aber auf Mariskas Couch bequem bin ich wieder vollkommen begeistert von der Gastfreundschaft und dem Erfahrungsreichtum, den diese Internetgemeinschaft ermoeglicht.
In Skopje ist es heiss. Ich verbringe den ersten Vormittag hauptsaechlich damit, die Fussgaengerzone auf und ab zu schlendern, Kaffee zu trinken, Eis zu essen und Leute zu beobachten. Ich sitze dazu lange auf einer Parkbank neben dem Mutter-Theresa-Haus – die ist hier geboren und allgegenwaertig mit kleinen Denkmaelern und in Informationsbroschueren. Nachmittags treffe ich Mariska und sie zeigt mir das tuerkische Viertel, die Čaršija, und wir klettern auf die verwilderte Burg Kale und schauen uns den Sonnenuntergang an. 

Skopje ist lebendig und energiegeladen. Dass es nicht besonders huebsch ist, macht ueberhaupt nichts, ich fuehle mich wohl. Zum Beispiel am Parlament – ein unglaublich haesslicher sozialistischer Bau, aber davor wehen, ich habe gezaehlt, 25 mazedonische Flaggen am Strassenrand. Die gelbe Sonne auf rotem Grund gibt dem Ort ein froehliches und stolzes Flair.
Skopje ist deswegen so gezeichnet von sozialistischer Architektur, weil es in den 1960er Jahren bei einem Erdbeben weitgehend zerstoert worden ist. Nun baut sich die Stadt ihre Geschichte neu, ueberall entstehen Gebaeude, die alt aussehen, es aber nicht sind. Am Anfang der zentralen Bruecke ueber den Vardar stehen gewaltige Statuen von Goce Delčev und Dame Gruev, zwei mazedonischen Freiheitskaempfern. Sie sind monumental und sehen aus als seien sie mindestens hundert Jahre alt – aber tataeachlich stehen sie dort erst seit zwei Monaten. Ich nehme an, dass Mazedonien als ein Land, das eigentlich keine Geschichte als selbststaendiger Staat hat, solche Dinge braucht, um sich selbst zu definieren. Es ist ja ein zutiefst zerrissenes Land, das Konflikte mit allen angrenzenden Staaten hat. Mit den sonst so schwierigen Serben sind die Beziehungen noch am besten – Albanien, Griechenland und Bulgarien haben alle ein aeusserst gespaltenes Verhaeltnis zu dem kleinen Nachbarn.
Am Abend gehen Mariska, ihre Mitbewohner und ich zum MakeDox Dokumentarfilmfestival und schauen einen Film ueber Mostar, der mich nur einmal mehr daran erinnert, wie tief sich diese Stadt in meinem Herzen verankert hat. Anschliessend uebersiedeln wir auf den Hauptmarkt, dort ist Strassenfest und herrliche Musik von einer italienischen Band mit einer E-Geige, einem Sopransaxophon, Gitarre und Bass – irgendwo zwischen Klezmer, Ethnic, Balkanfolk und Ska. Wir tanzen mit fremden Menschen bis nachts um 2.

Am naechsten Morgen fahre ich mit dem Bus nach Štip und treffe dort meinen Gastgeber Dejan. Wir versuchen meine weitere Route zu planen und es stellt sich heraus, dass der Bus nach Bulgarien, den ich nehmen will, nur nachts um 11 faehrt. Daher schlafe ich nur nachmittags 2 Stunden auf Dejans Couch und verbringe keine ganze Nacht in Štip. Die Stadt ist aber auch wirklich nicht sehr spannend – dafuer die Gespraeche mit Dejan umso mehr. Er hat nur ein Bein, faehrt aber gerade in Etappen mit dem Fahrrad um die Welt, Europa, Asien und Suedamerika hat er schon abgehakt. Wir schnacken so die Zeit davon und abends bringt er mich dann zum Bus.

Der Grenzuebergang nach Bulgarien ist definitiv ein EU-Grenzuebergang. Das erste Mal auf der Reise muss mein Gepaeck oeffnen, sie wollen viermal meinen Pass sehen und das ganze nachts um 2 mitten im Nirgendwo auf einem Bergpass. Mir ist kalt und ich bin muede. Trotzdem beschaeftigt mich am meisten, wie das Ganze die Mazedonier nerven muss. Jahrelang war der Grenzverkehr hier sicher voellig unspektakulaer, und dann brauchten die Mazedonier zwischen 2007 und Anfang des laufenden Jahres ploetzlich sogar Visa fuer Bulgarien!
Ich lande nachts um 4 in Blagoevgrad, wickele mich am Busbahnhof in meinen Schlafsack und doese zwei Stunden vor mich hin. Um 6 stehe ich auf und suche lange nach einem Geldautomaten und dem richtigen Busbahnhof. Schliesslich kriege ich um 7 einen Bus nach Rila und von dort aus einen zweiten zum Kloster Rila.
Rila ist ein friedlicher, ein zauberhafter Ort. Die Sonne scheint so schoen auf die herrliche Klosterkirche und die angrenzenden Klostergebaeude, und die bewaldeten Huegel des Rilagebirges sind voller Vogelgesang. 

Der Bergfluss donnert am Kloster vorbei ins Tal. Es ist so friedlich, dass einem die Geraeusche der Natur wie Laerm vorkommen – aber ein herrlicher Laerm! Ich beziehe fuer eine Nacht eine Zelle mit einer Pritsche, einem Waschbecken mit kaltem Wasser und einer geschnitzten und bemalten Holzdecke, die dem kargen Zimmerchen eine einfache Schoenheit verleiht, wie sie vielleicht nur einem Kloster angemessen ist. Ich wandere ein bisschen um das Kloster herum, verbringe eine lange Zeit in der Kirche und singe schliesslich eine Weile am Ufer des Flusses, in dessen eiskaltes Wasser ich natuerlich auch meine Fuesse hineinhalte. Um 7 gehe ich schlafen.

Ich erreiche Plovdiv am naechsten Nachmittag, und das erste Mal auf der Reise moechte ich am liebsten rueckwaerts wieder zurueck in den Bus fallen, der so schoen kuehl ist mit der Klimaanlage – es ist wahnsinnig heiss. Ich esse ein Eis und treffe meinen Gastgeber Ivan an der Hauptpost. Wir fahren zu ihm und seiner Freundin Nelly nach hause, gehen abends essen und haben einen sehr entspannten Abend.
Am naechsten Morgen laufe ich in die Stadt. Ivan und Nelly halten mich fuer verrueckt, weil ich ankuendige, vermutlich den ganzen Tag ausser Haus zu sein, trotz der Hitze. 

In der Tat suche ich mir zwischen antikem Amphitheater, den wunderbaren Gebaeuden in der Altstadt aus der Zeit der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert und der Fussgaengerzone haeufig ein schattiges Plaetzchen, um ein paar Minuten auszuruhen, und nachmittags gehe ich Klamotten einkaufen und schaue in einem Irish Pub Weltmeisterschaft. Anders ist die Hitze einfach nicht zu ertragen.

Ich kann grundsaetzlich nicht bestaetigen, dass die Bulgaren alle grummelig und unfreundlich sind. In einem Internetcafe in Plovdiv lasse ich meine Wasserflasche stehen und ein Maedchen kommt mir, trotz 35 Grad, zwei Kreuzungen hinterhergelaufen um sie mir nachzutragen. Der Busfahrer zwischen dem Kloster in Rila und dem Dorf hilft mir, den schnellsten Weg nach Plovdiv herauszufinden und bewahrt mich so vor 4 Stunden Wartezeit in Blagoevgrad. Das Land kommt mir ansonsten westeuropaeischer vor, vor allem was die Standards im Transportwesen betrifft. Ich bin sehr gespannt auf die Kueste, die sicher deutlich touristischer sein wird. Vor allem freue ich mich auf das Schwarze Meer. Ich habe ja eine besondere Beziehung zur Ostsee, und das Mittelmeer ist mir auch so vertraut. Wie wohl diese neue Kueste mit ihren neuen Horizonten auf mich wirken wird?

Saranda / Ionische Kueste / Korfu / Ohrid

Von Berat aus nehmen Steve und ich in aller Herrgottsfruehe den Bus nach Saranda. Es wird immer heisser und die Landschaft immer karger, deswegen ist die fruehe Stunde kein Nachteil. In Saranda an der Bushaltestelle, die durch kein Schild und keinen Hinweis gekennzeichnet ist und eigentlich nur aus einer grossen Ansammlung von Bussen besteht, stuerzen sich die Leute mit Angeboten fuer Unterkuenfte auf uns. Wir entscheiden uns trotzdem fuer das Hostel, um dort Internet und Reisetipps nutzen zu koennen.

Das Hostel liegt im 8 Stock eines grossen Appartmentblocks mit herrlichem Blick auf die Bucht von Saranda und auf Korfu. Es haelt uns nicht lange dort, wir gehen gleich schwimmen und schlendern durch das Staedtchen. Es ist nicht gerade huebsch, vielmehr kommt es sehr touristisch daher und am Hang stehen tonnenweise halbfertige Gebaeude. Mit dem Fall des Kommunismus musste man auf einem Stueck Land bauen, um es fuer sich in Anspruch zu nehmen. Viele Leute haben damals ein qualitativ minderwertiges Fundament auf den Hang gesetzt und niemals fertig gebaut. Die schiere Menge an Haeuserskeletten steht in krassem Kontrast zu den aufbluehenden Strandbars und hippen Restaurants an der Promenade. Der Tourismus kommt im grossen Schritten auf dieses Land zu.

Ausser uns ist mit Noveed aus den USA nur noch ein weiterer Gast im Hostel, die Saison ist noch nicht richtig losgegangen. Am Morgen fahren wir zu dritt nach Butrint, um die Quote an UNESCO Weltkulturerbe-Staetten hoch zu halten. Die antike Stadt hat roemische, venezianische und osmanische Ruinen zu bieten – ein herrliches Amphitheater, eine Basilika, ein Kastell auf dem Berggipfel. Die Gelder fuer eine vernuenftige Restaurierung fehlen, alles ist ein bisschen ungepflegt. Das kenne ich aus Griechenland anders. Dafuer kenne ich aus Griechenland aber auch, dass man keinen Tempel betreten darf und ueberall nur auf den ausgeschilderten Wegen laufen darf. Hier koennen wir nach Herzenslust herumklettern. Auch das wird sich sicher bald aendern.

 
Auf dem Weg zurueck nach Saranda halten wir in Ksamil, der Strand soll sehr schoen sein – aber es sind uns schon anderswo schoene Straende versprochen worden, die dann nur mittelmaessig waren. Umso groesser ist die Ueberraschung:

Ein traumhafter kleiner Kiesstrand mit netten Restaurants und drei kleine Inseln, die man schwimmend erreichen kann. Das Wasser ist glasklar und von einem hellen tuerkisblau wie es mir noch nie untergekommen ist. Abends machen wir alle drei bei Annette, der das Hostel gehoert, eine Sitzung Akkupunktur – entspannter geht es einfach nicht.

Fuer den naechsten Tag haben Steve und ich ein Auto gemietet und fahren die ionische Kueste hoch. Ein herrlicher Strand jagt den naechsten. Wir springen fast ueberall kurz ins blaue Mittelmeer und machen auf der Kuestenstrasse staendig halt, um die herrliche Landschaft zu photographieren. Kuehe am Strand und Ziegen auf der Hauptstrasse machen das Flair malerisch und urspruenglich, wir finden eine verlassene Festung und essen herrlichen Fisch zum Mittagessen am Strand, es wird einfach immer besser. Das aendert sich auch nicht, als wir nachmittags das uns gesteckte Ziel erreichen: den Strand von Drymades. Der Lonely Planet schickt uns auf eine „dirt road“ – aber die gibt es nicht mehr, alles ist frisch asphaltiert, wir muessen die „dirt road“ um wenige Wochen verpasst haben. Deswegen wird die Idylle, die wir erleben, auch nicht mehr lange anhalten. Wir finden voellig verlassene grosse Buchten mit herrlichen Ausblicken auf die Weiten des Meeres. Wir breiten unsere Schlafsaecke unter einem Felsvorsprung aus, Steve macht Feuer, wir haben eine Flasche Wein, die Sonne geht unter, die Sterne zeigen sich. Es ist definitiv eines der Highlights meiner Reise.

Morgens bringen wir das Auto zurueck nach Saranda und nehmen die Faehre nach Korfu. Die drei Tage, die folgen, sind ein Urlaub vom Urlaub: Strand, Sonne, gutes Essen und das ein oder andere Bier in einem Hostel, dessen Anlage eher an Cluburlaub erinnert. Ich habe diese Art von Entspannung dringend noetig und geniesse es in vollen Zuegen.

Der Abschied von Korfu ist auch der Abschied von Steve, der ueber Athen weiter zu den griechischen Inseln in der Aegeis reist. Ich habe mich sehr an ihn gewoehnt und muss mich nun erstmal wieder ins Alleinsein hineinfinden. Die Fahrt nach Ohrid hilft dabei nicht: Ich soll morgens um halb 6 einen Bus in Saranda nach Korca bekommen, der nicht faehrt. Ein Taxifahrer bringt mich fuer ein horrendes Geld nach Gjirokaster, von wo aus der Bus angeblich fahren soll – das stimmt natuerlich auch nicht. Ich bin fast am Verzweifeln, bekomme dann aber einen Bus in ueber Fier Richtung Tirana, der mich irgendwo in der Wallachei bei einem Furgon (einem Minivan, den die Leute hier privat als Bus betreiben) absetzt, welcher mich wiederum nach Elbasan bringt. Von Elbasan bringt mich ein weiterer Furgon an die Grenze zu Mazedonien. Ich muss ueber die Grenze laufen, das ist ziemlich skurril. Auf der anderen Seite erwische ich wieder ein Taxi nach Ohrid. Ich mache drei Kreuze, als ich endlich ankomme, und gehe erstmal schlafen. Wer die Reise auf der Karte nachschaut, wird die absurde Kurve entdecken, die ich da gefahren bin. Aber was lehrt es mich? Man kommt immer irgendwie an.

Ohrid ist ein wunderschoenes Fleckchen Erde. Von der Festung aus ist der Blick ueber den Ohrid-See, das antike Amphitheater und die zahlreichen Kirchen und Kirchlein unfassbar. Die Kirchen gefallen mir am besten. Sie haben eine ganz eigene Architektur mit vielen Kuppeln und Backstein und sind alle mit wunderbaren Wandmalereien geschmueckt. Fast immer stehen die Heiligenbilder vor dunkelblauem Grund, der einen tiefen, unendlichen Nachthimmel suggeriert.

Die Kirche Sveti Jovan Kaneo ist winzig klein und steht auf einem hohen Kliff ueber dem See. Ich zuende dort zwei Kerzen an und muss ploetzlich, kniend auf dem nackten Steinfussboden, bitterlich weinen. Etwas in meinem tiefsten Innern ist angeruehrt von diesem Ort. Ich klettere ueber die hohe Tuerschwelle aus der Nachtstimmung ins Tageslicht zurueck und vor mir liegt in seiner ganzen Schoenheit der See. Es ist bewoelkt in Ohrid, aber auf dem gegenueberliegenden Ufer ueber Albanien funkelt die Sonne. Dankbarkeit durchflutet mich. Nachmittags gehen wir mit einer Menge anderer Reisender aus dem Hostel schwimmen. Wir klettern unmoegliche Wege in eine kleine geheime Bucht hinunter. Das Wasser ist kalt, aber angenehm.

Es giesst in Stroemen, als ich am naechsten Morgen den Bus zum Kloster Sveti Naum nehme. Der Klosterhof ist von sicherlich um die 15 Pfauen bevoelkert, wie ich lerne symbolisieren sie den byzantinischen Glauben. Ich habe noch nie so gepflegte, stolze Pfauen gesehen. Sie wissen sicher um ihre Schoenheit, jedenfalls machen sie einen dementsprechenden Laerm. Das ist skurril, wenn man in der Klosterkirche steht und die Fresken bewundert. Ich sitze lange in der Exedra der Klosterkirche und denke nach. Ich finde langsam wieder zum Alleinsein zurueck. Mir wird klar, dass es mir in Gesellschaft nicht so vorkam, als wuerde ich mich viel und staendig bewegen, weil es eine Konstante in meinem Reisealltag gab. Jetzt strengt mich die viele Bewegung wieder mehr an, aber sie bringt mich auch zurueck zum kribbelnden Aufgeregtsein, wenn es an einen neuen Ort geht. So hat alles seine Zeit, die Geselligkeit und die Einsamkeit, die Unruhe und die Stille.

Kotor / Budva / Ulcinj / Tirana / Berat

Endlich reisst die Wolkendecke auf, die mich nun seit einer Weile begleitet hat, und es wird sommerlicher. Im Hostel in Kotor treffe ich mehrere Reisende wieder, die ich in Mostar kennen gelernt habe. Zusammen mit einigen Ankoemmlingen aus anderen Richtungen finden wir uns zu einer bunten Runde zusammen, die gemeinsam Kotor und die Straende an der montenegrinischen Kueste erkundet.
Kotor ist eine kleine, gemueliche, traditionellere Ausgabe von Split. An allen drei Tagen, die ich dort bin, kaufe ich auf dem Markt frische Erdbeeren und Joghurt. Wir klettern auf die Festung, ein ziemlicher Gewaltmarsch im warmen Wetter, aber das Picknick oben mit der herrlichen Aussicht ueber die weite Bucht ist den Aufstieg definitiv wert. Wir fahren nach Jaz an den Sandstrand, der nicht haelt, was die Einheimischen in Kotor versprechen, aber die Altstadt von Tivat ist huebsch und die Kuestenstrasse eroeffnet herrliche Landschaften mit wilden gruenbewachsenen Bergen und der ausgedehnten Adria.

Sana aus Kanada hat ein Auto gemietet. Nach zwei Naechten in Kotor fahren wir gemeinsam mit Steve aus Australien nach Budva. Die Stadt gefaellt uns, und spontan beschliessen wir eine Nacht zu bleiben. Abends schauen wir das Championsleague-Finale, kein Mensch spricht Serbisch, es sind nur Auslaender in dem Irish Pub, das das Spiel uebertraegt, aber der Abend ist ausgesprochen unterhaltsam.
Am naechsten Morgen schliesst sich uns noch Chris aus Norwegen an. Gemeinsam fahren wir landeinwaerts zum Skadar-See, aber das Doerfchen, das wir erreichen koennen, ist wenig spektakulaer – was soll’s, der Weg ist das Ziel, denn auf der Fahrt sehen wir wieder wunderschoene landschaftliche Szenerien. Mein staerkster Eindruck von Montenegro ist das schnelle Umschlagen des Wetters. Von einer Minute zur anderen folgt auf strahlenden Sonnenschein und brennende Hitze ein Nieselregen oder gar ein dunkles Gewitter. Insgesamt ist mein kultureller Eindruck eher blass geblieben. Ich komme nicht mit der einheimischen Bevoelkerung in Kontakt, sondern erlebe das Land hauptsaechlich als Touristin. Das ist schade, aber im Moment tut es mir gut, mit anderen Reisenden zusammen zu sein und mich nicht an jedem Ort neu auf einen ortsansaessigen Couchsurfer einzulassen.
Nachmittags erreichen wir Ulcinj. Die Stadt ist deutlich aermer und ungepflegter als Kotor und Budva. Wir bekommen zu viert ein dekadentes Hotelzimmer mi Balkon und Meerblick fuer 7,50 Euro pro Person. Die Adria ist noch kuehl, aber der Strand ist sandig und sauber.

Am naechsten Tag verstauen wir unsere vier Rucksaecke im Kofferraum eines Taxis zum Busbahnhof und erwischen gerade eben so puenktlich einen Bus nach Shkodra in Albanien. Nur aus dem Busfenster bewundern wir die dortige Festung, bevor wir weiterfahren nach Tirana. Schon auf der Fahrt ist einiges anders als in den slavischen Balkanstaaten. Die Albaner sind zweifelsohne das freundlichste und hilfsbereiteste Volk, das mir jemals untergekommen ist. Keiner versteht uns, aber alle wollen helfen. Der Busfahrer lacht sich scheckig ueber uns, sein Gesicht scheint zu sagen: Warum in Gottes Namen ihr hier seid, werde ich gar nicht versuchen zu begreifen – aber ich bin gerne bereit euch den Aufenthalte so angenehm wie moeglich zu machen. In Tirana fragt der Taxifahrer, der ebenfalls kein Wort Englisch spricht, ungefaehr vier verschiedene Passanten nach dem Weg und uebergibt uns schliesslich an einer Strassenecke an einen Unbekannten, der mit uns zum Hostel laeuft und stuermisch fuer uns an der Tuer klingelt.
Wir beginnen die Stadterkundung am Abend auf dem Weg zu einem Restaurant, in dem wir phantastisches albanisches Essen geniessen – viel Kaese und viel Fleisch, ich esse einen gewuerzten Huettenkaese mit Leber, lecker!
Am naechsten Morgen folgen wir dem Stadtrundgang, den der Lonely Planet vorschlaegt. Tirana wirkt auf mich wie eine Kreuzung aus Berlin, Athen und meiner Vorstellung von Damaskus. Auf Speed. Die Stadt ist schnell, kitschig, dreckig, bunt, haesslich und wunderbar. Der Verkehr folgt keinen Regeln und alles geht voellig durcheinander. Ich schmunzle ueber mein Beduerfnis, Ordnung im Chaos zu erkennen. Es fuehrt mir meine westliche Praegung vor Augen.

Nachmittags verabschieden Steve und ich uns von Sana und Chris, die wieder in den Norden wollen. Steve will nach Korfu, unsere Reiserouten ueberschneiden sich also noch eine Weile und wir verstehen uns praechtig. Wir springen in Tirana in ein Taxi und sagen, so macht man das hier, „Autobus Berat“, und der Taxifahrer bringt uns zum Abfahrtsort fuer den Bus nach Berat. Der Busfahrer spricht, Ueberraschung, kein Englisch, aber er bringt uns bei, wie man „danke“ auf albanisch sagt (falim nderit) und steht dann neben uns und telephoniert. Dann gibt er Steve das Telephon. Er hat seinen Sohn angerufen, damit der uns auf englisch erklaeren kann, dass wir Problemen jederzeit den Busfahrer bitten koennen, seinen Sohn zu kontaktieren und auf englisch fuer uns die Lage zu klaeren. Das ist wirklich deutlich mehr Gastfreundlichkeit als irgendjemand erwarten wuerde.
In Berat finden wir das Hostel schneller als jedes andere Hostel auf der Reise. Es ist mitten im schoensten Teil der Stadt gelegen, in einem alten osmanischen Haus, das auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes steht. Im Garten wachsen Granataepfel, Feigen und Kirschen. Das Hostel gehoert einem ganz unglaublich netten Briten und wir sitzen gemuetlich auf Sofas im Garten bis in den Abend.
Am naechsten Morgen stuermen Steve und ich die Festung. Schon um 10 Uhr ist es so heiss, dass es kaum auszuhalten ist. Der Aufstieg ist muehsam auf dem blankpoliertem Kopfsteinpflaster in der brennenden Sonne, ich wickle mir turbanartig mein Tuch um den Kopf. Wir sind umgeben von osmanischen Steinhaeusern. Oben angekommen ist es deutlich kuehler. Ich bin begeistert von der Atmosphaere und freue mich, dass der Tourismus noch nicht nach Albanien gekommen ist. Ich kann mir ein aehnliches Monument auch in Griechenland vorstellen, aber da waere es teuer und ueberlaufen und voll von haesslichen Souvenirlaeden. Wir klettern auf einen steilen Aussichtsturm. Steve vermutet, dass es sich um die Ueberreste eines Minaretts handelt, und er koennte damit durchaus recht haben. Der Blick ueber das weite Tal mit dem fast ausgetrockneten Fluss, das von schneebedeckten Bergen begrenzt wird, ist monumental. In ein paar Jahren wird der Tourismus hier einschlagen wie eine Bombe.

Wieder im Tal besuchen wir die Tekke mit einer herrlichen goldverzierten Holzdecke, in der uns ein unglaublich freundliches Maedchen eine kleine Tour gibt und kein Geld dafuer annehmen will. Wir schlendern auch durch die Markthalle und kaufen Gewuerze zwischen Kaese- und Fleischstaenden. Alle gruessen uns freundlich und haben gute Laune wenn wir „falim nderit“ sagen. Ich mag die Menschen in diesem Land! Ich bin sehr leicht dadurch gluecklich zu machen, dass Leute nett zu mir sind. Morgen geht es in den Sueden des Landes, nach Moeglichkeit an die schoensten Straende. Da der oeffentliche Transport hier eher provisorisch funktioniert, kann ich nicht genau sagen, wo wir landen. Es ist verrueckt, dass mich das gar nicht nervoes macht, im Gegenteil, ich finde es herrlich, mich nicht festlegen zu muessen. Auf Reisen ist es leicht, dem Motto „Carpe Diem“ zu folgen.

Anekdoten aus Serbien und Herzegovina

Ich fahre im Bus von Kraljevo nach Užice. Der Bus ist ziemlich voll und entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten habe ich keinen Fensterplatz. Neben mir sitzt ein irgendwie altersloser Mann mit gegerbtem Gesicht. Vielleicht ist er schon 75. Vielleicht ist er auch erst 50 und hat in seinem Leben viel und schwer gearbeitet und gekaempft. Er hoert, wie ich vom Busfuehrer mein Ticket kaufe und verzieht kaum eine Mine zu meinen broeckeligen Versuchen, serbisch zu sprechen.
Gegen Ende der Fahrt kommt ein junger Mann aus dem vorderen Teil des Busses nach hinten und unterhaelt sich ueber meinen Kopf hinweg angeregt mit meinem Nachbarn. Ich beachte das zunaechst nicht weiter, sondern doese nur gemuetlich vor mich hin. Schliesslich merke ich, dass er ueber mich spricht. Mein Nachbar sagt zu ihm auf serbisch: „Sie versteht dich nicht.“ Ich nicke und bestaetige: „Ich verstehe nicht.“ Aber manche Menschen sind ja hartnaeckig. Ich unterhalte mich schliesslich fast eine Stunde mit dem Kerl auf serbisch. Das beinhaltet von meiner Seite ziemlich viel „Ne razumijem!“ („Ich verstehe nicht!“) und „Šta?“ („Was?“) und mit Sicherheit tausend gruselige Fehler, Kroatismen, Polonismen und Germanismen, aber ich kann ihm irgendwie verstaendlich machen, wer ich bin und was ich hier und zuhause tue. Mein Gespraechspartner, Damir heisst er, ist aber auch sehr geduldig, und es soll sich zeigen warum: Serbien sei kein gutes Land, Arbeit zu finden sei schwer, das Geld sei zu wenig; Deutschland dagegen – ein Land wo Milch und Honig fliessen, er wolle dorthin auswandern, aber man brauche da diese Papiere, und ein deutscher Staatsbuerger muesse fuer einen buergen, und langer Rede kurzer Sinn, ich koenne das doch eigentlich fuer ihn uebernehmen. Praktisch, dass ich mich wieder auf mein „Ne razumijem“ verlassen kann.Ich bleibe schliesslich noch fuenf Tage in Mostar haengen und bin voellig verliebt in die Stadt und ganz Herzegovina. Auch heute morgen kann ich mich kaum dazu durchringen die Stadt zu verlassen ohne mir selbst zu versichern, dass ich wiederkommen werde. Ich muss wieder dorthin, um besser zu begreifen, wie der Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalitaeten und Religionen weiter schwelt. Gestern war ich mit zwei Amerikanerinnen in einer ausgebombten Bank in Mostar, die im Krieg als Hort fuer Scharfschuetzen benutzt wurde, im „Snipers‘ Nest“. Die Ruine steht direkt an der Frontlinie. Ueberall liegen rostige Patronenhuelsen, und die kaputten Fensterscheiben sind ueber den Boden verteilt, sogar Moebel und Akten sind noch im ganzen Gebaeude aufzufinden. An den Waenden prangen grosse Grafittis von Unterstuetzern der kroatisch-nationalistischen Szene. Wenn man das Stadtpanorama betrachtet, faellt das grosse Kreuz ins Auge, dass die Kroaten auf einem Berggipfel errichtet haben, von dem aus sie im Krieg dynamitgefuellte Traktorreifen auf die Stadt haben rollen lassen. Das „Snipers‘ Nest“ ist ein symboltraechtiger Ort, er zeigt viel von Geschichte und aktueller Situation in Mostar.

An einem Tag in Mostar fahre ich mit Aasa, einer Kanadierin, die im Hostel arbeitet, zurueck nach Blagaj zur Tekke. Wir wollen auf die dortige Burg klettern. Im Ort fragen wir nach dem Weg, der aeltere Herr im Souvenierladen erwaehnt Stein, ich verstehe aber nicht alles, na gut. Wir kommen an eine Kreuzung, da ist ein Schild: Betreten nur mit Helm und Stahlkappenstiefeln erlaubt. Also den anderen Weg, der schnurgerade nach oben fuehrt, mit Felsbrocken und Kieseln bedeckt ist, steil und und ein bisschen gruselig aussieht. Da liegt ein dickes Drahtseil, wir ziehen uns ein bisschen daran hoch. Oben auf der Burg treffen wir auf eine Horde Bauarbeiter. Die lachen sich tot. Sie sagen: „Aber da drueben ist ein Pfad!“ Wir sagen: „Naja, das wussten wir nicht…“ Wir fragen ob wir trotz Bauarbeiten die Festungsruine anschauen durefen. Ein Bauarbeiter sagt einen langen Satz, am Ende faellt das Wort „…pada!“ Ich sage zu Aasa: „It’s falling down.“ Aasa sagt: „Great!“ Und wir stuermen die Festung. Aasa bemerkt nuechtern: „I just realized how ridiculous it is that we thought we couldn’t take the regular path but decided instead to climb that steep slope that probably every normal person with common sense would recognize without a sign to be too dangerous to be used!“ Der Blick ins Tal ist unbezahlbar und die Bauarbeiter schliessen uns umgehend ins Herz und zeigen uns das ganze Gelaende. Anschliessend verbringen wir zwei stille Stunden in der Tekke. Es ist ein herrlicher herrlicher Tag.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.

Slowenische Kueste / Rijeka / Zagreb / Plitvička Jezera

Der Weg von Bled an die Kueste steht unter keinem guten Stern. Ich verlaufe mich natuerlich auf dem fruehmorgendlichen Gewaltmarsch zum Bahnhof in Bled und erwische den Zug gerade noch so, schweissgebadet. Das Wetter ist miserabel und die Sicht auf die eigentlich huebsche slowenische Landschaft dementsprechend auch nur halbschoen. In Koper sitze ich kaum im Bus nach Piran, da faengt es an zu hageln in riesigen Koernern. Na, das kann ja was werden!
Aber ich habe ja mehr Glueck als Verstand mit dem Wetter. In Piran ist strahlender Sonnenschein, und die Adria liegt in schoenster Ruhe zu meinen Fuessen, als ich aus dem Bus klettere. Und mein Gott, was fuer eine huebsche Stadt! Sehr italienisch mit ihrer Piazza, den venezianischen Haeuschen und der Hafenanlage, aber eben irgendwie slawisch! Nicht nur die Strassenschilder sind zweisprachig italienisch-slowenisch (ich freue mich an dem herrlichen Ausdruck „Prvomajski trg“ fuer „Platz des ersten Mai“ – Slowenisch ist so praezise!), sondern auch die Werbeplakate fuer den Sparmarkt. Das Hostel ist teuer, aber gut gelegen und sehr sauber und nett, und in den kleinen Gaesschen kann man sich gut verlaufen. Ich schlendere hoch zur Kirche Svet Jurij. Auf dem Weg waechst Pfefferminze, das riecht so gut. Nachmittags trinke ich einen Cappucino auf einem kleinen Platz, da duftet es auch – nach Zigarettenrauch, Wein, Proščut und Kaffee. Die Stadt ist wunderbar, ich koennte hier Wochen verbringen und einfach sitzen und lesen und gucken.

Am naechsten Tag fahre ich nach Koper weiter – nicht so spektakulaer, aber auch sehr niedlich. Nina, meine Gastgeberin dort, ist wieder eine Couchsurferin, wir gehen abends in einem herrlichen Sonnenuntergang an der Hafenpromenade spazieren. Am Morgen darauf fahre ich mit dem Bus nach Izola und laufe immer am Wasser entlang nach Koper zurueck. In der Ferne glitzern wieder schneebedeckte Berge.

Von Koper mache ich mich auf den Weg nach Rijeka. Die Grenzueberschreitung ist diesmal ganz anders – es gibt einen direkten Zug von Pivka nach Rijeka, ich muss also nur einmal umsteigen. Dafuer kommen in Illirska Bistrica und in Šapjane die Kontrolleure und schauen Paesse an. Ich bekomme meinen ersten Stempel und finde das irgendwie alles so ganz gut und richtig. Dann faellt mir auf, wie komisch es ist, dass ich dieses Ritual so verinnerlicht habe und es so viel gewoehnlicher finde als die Grenzueberschreitung zwischen Ungarn und Slowenien, die ohne jede Formalitaet auskommt. Seltsam.

In Rijeka fahre ich mit dem Bus zu meinem neuen Gastgeber Roni. Wir verstehen uns blendend und schnacken gleich mal mehrere Stunden auf seinem Balkon. Abends wollen wir zu einem Let3 Konzert, eine kroatische Band, die unbeschreiblich ist, ich empfehle Kostproben auf YouTube. Leider ist das Event ausverkauft, aber wir gehen sehr nett mit vielen Leuten was trinken und sind spaet zu hause.
Am naechsten Morgen fahren wir mit dem Bus in das Fischerdorf Volosko und laufen von dort nach Opatija. Ueberall ist oesterreich-ungarischer Kitsch und Kurort-Pomp. Es gibt deutsche Touristen in rauen Mengen, die auf den Hotelterassen sonnenbaden – Roni findet es dafuer noch viel zu kalt, aber ich merke auch schon den Sommer! In Opatija genehmigen wir uns ein Eis, um dann mit dem Bus nach Rijeka an den Hafen zu fahren und dort frische Sardellen zu essen – lecker! Ich mag Rijeka sehr, es hat einen rauen Charme, ein bisschen wie Hamburg – muss am Hafen liegen.

Am naechsten Tag fahreich hoch zum Schloss und geniesse den Blick auf die Stadt. Der Himmel ist grau, aber auf dem Weg ins Zentrum reisst die Wolkendecke auf und es gibt wieder Sonnenschein. Den ganzen Nachmittag sitzen Roni und ich auf dem Balkon und diskutieren beim schoensten Adria-Blick ueber Gott und die Welt. Gegen abend kommt mich ein Freund von Roni abholen, der mich im Auto mit nach Zagreb nimmt.

In Zagreb komme ich in einer Couchsurfer-WG unter. Marina tritt mir ihr Bett ab, weil sie ab und zu gerne auf dem Boden schlaeft – ruehrend! Ich habe nur einen Tag um mir die Stadt anzuschauen, viel zu wenig – es ist seit Budapest die erste Stadt, die die Qualitaet einer Metropole hat, und sie ist viel schoener als ich dachte. Auf Marinas Empfehlung hin fahre ich zum Friedhof, der herrliche Arkaden hat. An einem Grab weint ein altes Muetterchen bitterlich. Ich schleiche eine Weile um sie herum, habe dann aber doch das Beduerfnis, sie zu troesten. Ich gehe zu ihr hin und sage: „Ich verstehe leider kein Kroatisch…“ und sie sagt: „Ich bisschen deutsch.“ Sie weint um ihren Sohn und freut sich glaube ich sehr ueber meine Gesellschaft und meine Hand zum Festhalten. Sie zeigt mir die Graeber der deutschen Gefallenen aus dem zweiten Weltkrieg. Fuenf oder sechs grosse Grabfelder.

Wieder in der Stadt geniesse ich das bunte Treiben und freue mich ueber die Entdeckung der ersten orthodoxen Kirche – so schoen, so wahnsinnig bunt und froehlich! Die Kathedrale ist ebenso eine Offenbarung, und die Parkanlagen um das Theater und verschiedene Museen herum allemal auch einen Spaziergang wert. Abends gehen Marina und ich mit ein paar Freunden in einem ausgesprochen alternativen Laden etwas trinken. Marina hat noch einen zweiten Couchsurfer fuer die Nacht, einen japanischen Puppenspieler, der seine Marionette fuer uns tanzen laesst.

Am Morgen fahre ich ganz frueh zum Busbahnhof, weil um halb 8 mein Bus nach Plitvice zu dem beruehmten Nationalpark gehen soll. Der Bus geht dann erst um 9, deswegen kann ich nicht den ganzen Park sehen – aber mit diesem Fleckchen Erde hat der liebe Gott es wirklich extrem gut gemeint! Ich habe in Europa noch kein so schoenes Stueck Natur gesehen. Wasserfaelle, Seen, Waelder, die Sonne, die auf dem Wasser tanzt. Worte reichen hier nicht aus. Es ist wunderschoen.

Von Plitvice fahre ich mit dem Bus nach Zadar. Ich habe hier keine Couchsurfer gefunden, deswegen hat Marina mich, ruehrend!, an eine Freundin vermittelt, bei der ich jetzt die kleine Wohnung bevoelkere, die eigentlich mit Mann, Baby und zwei Hunden schon voll genug ist. Aber die unfassbare Gastfreundschaft, mit der ich ueberall empfangen werde, hoert auch hier nicht auf. Die Leute haben keinen Platz, aber sie teilen ihn mit fremden Menschen. Das ist ein gefundenes Fressen fuer meinen Idealismus. Das Leben ist schoen.

Maribor / Ljubljana / Bled

In Veszprem habe ich eineinhalb Stunden nach einer Verbindung nach Slowenien gesucht, die nicht ueber Graz geht – das fand ich total albern. Endlich habe ich dann was gefunden und beginne die neunstuendige Fahrt mit der Etappe Veszprem – Zalaegerszeg, dort muss ich umsteigen in einen winzigen Zug von vielleicht 10 Metern Laenge, ein einziger Waggon. Der aechzt und ruckelt dann sehr angestrengt nach Hodoš, wo die Grenze ist. Die letzten Passagiere ausser mir sind an der letzten ungarischen Station ausgestiegen und ich fahre mit dem Schaffner alleine ueber die Grenze und steige in Hodoš aus- das ist ein totales Nest, das im Prinzip aus einem riesigen Bahnhofsgebaeude mit Zollbehoerde und allem Drum und Dran besteht und sonst aus gar nichts. Nur die slowenische Flagge weht stolz und froehlich ueber den Bahnhof. Ich habe dort eine Stunde Aufenthalt, das ist voellig skurril. Mich fasziniert diese voellig entvoelkerte Grenze. Was fuer ein Kontrast zur amerikanisch-mexikanischen Grenze zwischen El Paso und Ciudad Juarez, an der die zwei Staedte und Staaten nahtlos ineinander uebergehen und die Grenze in der Zivilisation ertrinkt! Weiter geht es ueber Murska Sobota und dann immerhin ohne Umsteigen, dafuer in einer absurden Suedkurve ueber Ormož, Ptuj und Pragersko nach Maribor.

In Maribor komme ich in einer WG von 5 Studenten unter, die aber alle arbeiten – ich komme gegen 20 Uhr an und wir sitzen lange in der Kueche, trinken Salbeischnaps und Wein und diskutieren ueber den Bolognaprozess. Ich moechte am liebsten sofort einziehen. Am naechsten Tag stehen Mojca un Rok, in deren Zimmer ich schlafe, frueh auf und ich setze mich dann irgendwann zum Fruehstueck in die Kueche. Ich fuehle mich wie zuhause. Den ganzen Tag laufe ich durch die Stadt, eigentlich laufe ich immer ein kurzes Stueck und sitze dann irgendwo eine Stunde lang und lese mein Buch – an der Drava, auf dem Glavni trg, im Stadtpark, oben auf dem Huegel Piramida. Das Wetter ist phantastisch und abends habe ich einen Sonnenbrand. Langsam trudeln verschiedene Mitbewohner in der Wohnung ein, Tilen kocht, wir trinken Wein, alle rauchen (nur ich bleibe stark!), es kommt Besuch, wir gehen tanzen bis nachts um 3. Es ist als wurde ich hier wohnen.

Am naechsten Tag nimmt Tilen Eva und mich im Auto mit nach Ljubljana. Auf dem Weg halten wir bei einem Weinbauern in der Naehe von Slovenska Bistrica, weil Tilen dort Wein kaufen will. Wir werden verkoestigt wie die Koenige: verschiedene Sorten kalter Braten, Schinken, Kaese, Raeucherwurst mit viel Knoblauch, Kaese, Brot, selbstgemachte Kuchen, zwei Sorten Wein, selbstgemachter Apfelsaft, Most, es hoert ueberhaupt nicht mehr auf! Es ist einfach wunderbar, und die Gesellschaft stimmt auch.

In Ljubljana angekommen finde ich relativ zuegig zu Mias WG – es ist schoen, auch mal bei jemandem unterzukommen, den man schon kennt. Sie hat ihren Freund Kalle zu Besuch, und am ersten Abend gehen wir noch durch den Regen auf die Metelkova, einen herrlichen alternativen besetzten Gebaeudekomplex mit vielen Clubs in ehemaligen Militaerbarracken. Am naechsten Tag entdecke ich Ljubljana – der Blick vom Schloss auf die verschneiten Berge in der Ferne ist unbezahlbar, die Stadt ist wunderschoen, die Menschen so freundlich – Slowenien begeistert mich restlos.

Abends gehen wir essen – zum Nachtisch gibt es Gibanica, einen Mohn-Topfen-Apfel-Walnuss-Strudel-Unfassbar-Lecker-Unbedingt-Sofort-Jeden-Tag-Essen-Wollen-Nachtisch. Ich habe von einer Freundin von Mias Mitbewohnerin auch ein Rezept bekommen. Der zweite Tag in der Hauptstadt ist ruhig, ich kaufe in einem herrlichen Antiquariat mit englischen Buechern – eine Empfehlung der Maribor-WG – Vladimir Bartols „Alamut“, einen slowenischen Klassiker. Auf die Lektuere freue ich mich sehr!

Heute in aller Fruehe dann der Bus nach Bled. Auf der Fahrt brechen die schneebedeckten Berge durch eine dicke Wolkenwand, das sieht so schoen aus! Leider nieselt oder regnet es den ganzen Tag, aber der Spaziergang um den herrlichen Bleder See mit dem Inselchen in der Mitte und die Fahrt mit dem Boot dorthin lasse ich mir nicht nehmen. Ich laeute die Wunschglocke und denke in dem barocken Kirchlein an meine polnischen Freunde und frage mich, wie es in Polen wohl aussieht nach dem Flugzeugunglueck.
Nachmittags laufe ich noch hoch zum Schloss. Dort gehe ich nicht hinein, der Eintritt ist unverschaemt teuer und schon die Bootsfahrt und der Eintritt auf der Insel waren nicht von Pappe. Aber ich waere nicht Papis Tochter, wenn ich nicht eine Alternative zum Blick von der Schlossmauer suchen wuerde. Ich besteige voellig unbefestigte Wege und laufe um das Schloss herum. Gott segne das Profil meiner Wanderstiefel, ungefaehrlich ist das nicht – aber ich werde mit einem atemberaubenden Blick auf den See belohnt.

Morgen muss ich in aller Fruehe einen Zug bekommen und fahre dann an die Kueste – da soll auch das Wetter wieder besser werden. Schon jetzt ist mir klar, dass dies nicht mein letzter Besuch in Slowenien sein wird, ich habe zu wenig Zeit fuer alles, was ich sehen moechte. Eine unfassbare Vielfalt, von Mittelmeerkueste bis zum Skifahren in den Alpen, Weinberge, Hoehlen, roemische Ruinen, es scheint hier einfach alles zu geben und nichts ist weiter als drei bis vier Stunden entfernt- es sei jedem ans Herz gelegt, sich davon selbst zu ueberzeugen!

Kecskemét, Pécs, Veszprém, Balaton

An meinem letzten Morgen in Budapest gehe ich lange auf der Margareteninsel spazieren. Am Ufer entlang flanierend höre ich plötzlich so eine Klopfen, ein bisschen wie von einem Specht. Ich schaue hinter die Straeucher am Weg und da ist ein riesiges Gehege mit Störchen, die mit den Schnaebeln klappern. Ich habe noch nie so viele Störche auf einmal gesehen. Schöne Tiere. Überhaupt erlebe ich in diesem Land viel Friedlichkeit. Von der Margareteninsel gehe ich zurück zum Szabadság tér, den ich schon am ersten Tag so mochte – es muss am Namen liegen, es ist der Platz der Freiheit, wie ich nun weiss. Dort sitze ich lange in der Sonne und gucke Kindern auf dem Spielplatz zu. Es ist herrlich, für so etwas Zeit zu haben.
Die Zugfahrt nach Kecskemét ist unaufregend. Ich fahre dort übrigens hin, weil Mami bei der Reiseplanung immer dieses Brahmslied gesungen hat: „Schönstes Staedtchen im Alföld ist Kecskemét!“ Ich lerne dann von meinem Gastgeber Dániel, dass Alföld auf ungarisch so etwas wie Tiefebene heisst. Die Stadt ist sehr hübsch und sehr klein, das Glockenspiel am Art-Nouvaeu-Rathaus spielt ein Stück aus der Zauberflöte und die Sonne scheint.

Am zweiten Tag fahren Dániel und ich mit einem Freund von Dániel in einem 30 Jahre alten Opel Kadett in den Kiskunság Nationalpark. Hier geht es mir zum ersten Mal so wie an vielen Orten danach in Ungarn: Ich bin zuerst nur maessig begeistert und plötzlich wird es wunderschön und übertrifft meine Erwartungen. Der Blick von dem Kirchhügel in dem kleinen Dorf beim Park über die Tiefebene, und die Sonne, die postkartenkitschig blutrot zwischen den dunkelgrauen Wolken hindurchscheint, diese Weite – es ist wunderschön und ein bisschen wie in Norddeutschland mit dem platten Land. Wir laufen 4 1/2 Stunden durch den Park – ganz beabsichtigt ist das nicht, wir verlaufen uns zwischendurch ein bisschen. Aber umso besser schmeckt die Palinka, der Schnaps, nach der Rückkehr nach hause. Abends gehen wir mit vielen Leuten etwas trinken und ich lerne, dass man in Ungarn die Begrüssungsküsschen von rechts nach links gibt – sehr verwirrend!

Am naechsten Tag geht es in aller Frühe nach Pécs. Langsam brauche ich mal eine Pause von der vielen Gesellschaft und Zeit um über all die neuen Eindrücke nachzudenken. Ich erkunde die Stadt allein. Sie ist Kulturhauptstadt 2010, aber nichts ist fertiggeworden, alles ist Baustelle. Das ist sehr schade, man merkt, dass es eine wunderbare Stadt ist. Die Moscheekirche auf dem Hauptplatz und die Kathedrale haben es mir besonders angetan. In der Kathedrale gehe ich am Ostersonntag morgens in den Kindergottesdienst. Er ist sehr stimmungsvoll. 
Am Ostermontag fahren mein Gastgeber Zsolt und ich mit einer Freundin von ihm in ein Dorf in der Naehe von Pécs und gucken uns dort die traditionellen Ostertaenze an – mit Trachten und Blaskapelle, es ist wirklich süss. In Deutschland kaeme es mir nicht so hübsch vor, sondern ein bisschen albern, befürchte ich.
Nachmittags fahre ich nach Siófok an den Balaton. Das Wetter ist jetzt grauslig, es giesst in Strömen. In Siófok habe ich ein Pensionszimmer, ich bleibe dort und mache mir einen ruhigen Nachmittag mit, oh Schreck, deutschem Fernsehen. Wir haben alle unsere Laster… Der Ort macht vom Bus aus ohnehin keinen netten Eindruck, sondern wirkt wie eine Ansammlung einer beliebigen Menge von Kreisverkehren unterschiedlicher Grösse. Am naechsten morgen gehe ich zum Faehranleger – hier zeigt Siófok seine touristische Seite, aber am Strand stehen auch ein paar hübsche herrschaftliche Gebaeude. Es weht und windet, der See schlaegt hohe Wellen, ich verstehe ein bisschen, warum sie ihn das „ungarische Meer“ nennen. Die Faehre geht im April nur am Wochenende. Ich fahre also mit dem Bus nach Veszprém.
In Veszprém komme ich bei einer Familie mit drei Kindern im Altern von 1 1/2, 5 und 8 Jahren unter. Vater Gabor ist Übersetzer und spricht sehr gut englisch, Mutter Judit spricht ein bisschen deutsch. Es ist ein Abenteuer, und ich finde es wunderbar. Nach meiner Stadterkundung – Veszprém hat einen hübschen Schlossberg und liegt sehr malerisch am Hang – gibt es abends ein grosses Abendessen und anschliessend spiele ich mit Gabor und den beiden grossen Kindern Carcassonne. Der Kleine ist schon im Bett, aber meine Güte, so ein süsses Kind! Am naechsten Morgen beim Frühstück gibt er mir sogar ein Küsschen, einfach so. Mir geht das Herz auf!
Ich erkunde von Veszprém aus auch Keszthely (sprich „Kaest-hej“ – oh, diese Sprache!!!) mit seinem habsburgischen Schloss, Balatonfüred mit seiner herrlichen Uferpromenade und dem Schick eines Kurorts – es gibt hier auch Heilquellen – und Tihany, das auf der gleichnamigen Halbinsel auf einem Berg über dem Balaton thront und mir einen herrlichen Panoramablick eröffnet.
Ich sitze lange auf der Mauer der Klosterkirche und lese. Als ich mich umdrehe, ist der Schatten des Berges unten über das Ufer der Halbinsel hinaus auf den See gekrochen und man sieht die Silhouette der zwei Kirchtürme auf dem Wasser. Auf der Busfahrt zurück nach Veszprém geht die Sonne unter. Der See hat tausend verschiedene Farben, in Siófok war er grau, in Balatonfüred nachmittags war er von einem hellen Grüngrau, von Tihany oben war er blau und silbern und im Sonnenuntergang jetzt glaenzt er golden. Ein herrliches Fleckchen Erde.
Heute geht es in 9 Stunden mit 5 bis 6 mal umsteigen nach Maribor. Eine neue Grenzüberschreitung. Ich bin gespannt!
„Reisen ist gesund, ich hau ab und zieh Leine und ihr seht mich als Punkt am
Horizont verschwinden um ein Stück weiter hinten mich selbst zu
finden…“

Wien / Bratislava / Budapest

Man haette ja auch fliegen können. Aber Zugfahren erlaubt es, so richtig Abstand zu bringen zwischen den Ort, den man verlaesst, und den, zu dem man reist. Im Übrigen ist so eine Bahnfahrt von Berlin nach Wien doch sicherlich immer für eine Überraschung gut und überdies unschlagbar günstig. Ich steige morgens um halb 9 in Berlin in den Zug und – schwupps! – zehn Stunden spaeter bin ich in Wien. Dazwischen liegt ein Abenteuer: Ich teile eine Sitzgruppe im Grossraumwagen mit einer sechsköpfigen bosnischen Familie, Mama und fünf Söhne, der aelteste so um die 15, die jüngsten Zwillinge von etwa 4 Jahren – halleluja! Wenn ich nicht aufgeregt gewesen waere und ausgesprochen gut gelaunt, haette mich nach etwa einer halben Stunde der Geruch von warmgewordenen Milchprodukten aus der riesigen Provianttüte tödlich genervt, und das Geschrei der Zwillinge erst recht. Ich bin aber gut gelaunt, und laechle die arme Mutter immer wieder an, damit sie kein schlechtes Gewissen hat. Dafür bietet sie mir spaeter in gebrochenem, aber ausgesprochen charmantem Deutsch Waffeln an. Jetzt freue ich mich noch mehr auf Bosnien!

Wien ist wunderbar, aber vor allem wegen Nele und der schönen entspannten Zeit, die wir miteinander verbringen. Die Stadt und ich werden keine besten Freunde mehr, ich halte sie auf Distanz. Sie ist mir zu kühl und zu adrett.
Umso schöner der Tagesausflug nach Bratislava. Die Stadt wirkt kaum wie eine Hauptstadt, zu verschlafen und gemütlich kommt sie daher an diesem Schönwettersonntag. Aber gegen die Abwesenheit von Hektik habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Nele und ich schauen in die Martinskathedrale hinein, dort gibt es ein kostenloses Konzert, ich glaube es ist eine Passion. Herrlich! Anschliessend gehen wir ausgesprochen gut und günstig essen in einem Restaurant, das der Lonely Planet empfiehlt. Um uns herum spricht man trotzdem, Gott sei Dank, nur Slovakisch, es ist also keine Touristenfalle und die Atmosphaere stimmt auch mit Haekelvorhaengen und alten Radios und Schreibmaschinen als Deko. Ich versuche auf Polnisch zu bestellen und das klappt ganz gut.

Und ploetzlich ist schon Montagmorgen und ich steige in Wien an einer der zahlreichen Baustellen, die ein Bahnhof sein wollen, wenn sie gross sind, in den Zug nach Budapest. Drei Stunden dauert die Fahrt, jetzt ist es endlich so richtig losgegangen!
Am Keleti Bahnhof steige ich aus, das Gebaeude ist wunderschön und alles ist aufregend. Es ist ein Kopfbahnhof, und zwischen Gleisende und Absperrung spielen alte Maenner Schach. Das Wetter ist fast sommerlich warm und es herrscht ein buntes Treiben. Ich gebe meinen Rucksack in die Gepaeckaufbewahrung und stiefele los.
Als erstes lande ich, eher zufaellig, im juedischen Viertel. Die Synagoge ist von aussen herrlich, aber es ist voll und teuer und das Wetter ist zu schön um drinnen zu sein. Ich laufe also weiter und erkunde Pest von allen Seiten. Viele hübsche Ecken gibt es, und ich bin ganz angetan. Mehr oder minder plötzlich stehe ich auf dem Szabadsag ter, der umrahmt ist von herrlichen Gebaeuden, und meine Begeisterung waechst – und dann taucht das Parlament auf und ich kann mich kaum noch halten. Der Reichstag wirkt wie eine schlecht gestrichene Streichholzschachtel dagegen.
Mir faellt auf wie lange ich nicht mehr in einem Land war, in dem ich die Sprache kein bisschen verstehe. Ich habe noch nicht mal eine Ahnung, wie man irgendwas aussprechen könnte. Was die Leute reden ist mir ein völliges Raetsel. Heute, drei Tage spaeter, habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt, ich spreche jetzt in der Metro dem Ansager die Stationen nach um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen, aber es ist so unfassbar anders, dass es mich manchmal etwas anstrengt. Dunkel fühle ich mich an die Zeiten erinnert, in denen das Polnische mir genauso fremd war. Wie schön, dass das vorbei ist!
Nun, ich fahre also abends zu meinen Gastgebern zur ersten Couchsurfing-Erfahrung, ich habe lange niemanden gefunden und Melinda und Laszlo haben sich sehr kurzfristig bereit erklaert, mich aufzunehmen – die beiden sind entzückend und wahnsinnig hilfsbereit und freundlich. Sie müssen die ganze Woche sehr viel arbeiten, aber ich bekomme haufenweise Hinweise auf lohnenswerte Aktivitaeten.
Am naechsten Morgen stehen wir alle frueh auf, da ich keinen Schlüssel habe muss ich mit den beiden das Haus verlassen. Ich erkunde tagsüber das Parlament von innen – für EU-Bürger ist das kostenlos. Besonders gefallen mir die Zigarrenhalter vor den Plenarsaelen und die Tatsache, dass sich der Securitymann am Eingang von dem Hinweis auf das Messer in meiner Tasche (sowas muss man als Backpacker ja dabei haben) kein bisschen beeindrucken laesst. Ich schaue mir auch die Stephanskathedrale an und gehe nachmittags mit einem ungarischen Maedchen, das ich ebenfalls über Couchsurfing kontaktiert habe, zum Schloss hoch. Es ist ein sehr netter Nachmittag mit angeregten Diskussionen.
Heute schliesslich war ich früh am Heldenplatz und dann im Haus des Terrors, einem Museum über die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, und den Soviet-Terror in Ungarn. Museumspaedagogisch erinnert es mich hier an das Museum zum Warschauer Aufstand in Warschau, es ist sehr interaktiv und emotional aufgezogen. Ich lasse mich darauf nicht mehr so stark ein wie früher vielleicht. Ich habe aber auch sachlich einiges mitgenommen, denn ich war so firm zuvor in ungarischer Geschichte nicht. Am fruehen Abend bin ich in einem kostenlosen Konzert im Palast der Kuenste und geniesse anschliessend das Sonnenuntergangs-Panorama auf dem Gellert-Hügel.

Untermalt werden diese vielen kulturellen Eindrücke natürlich von den zugehörigen Kleinigkeiten – zum Beispiel das Geraeusch der Krankenwagen. Es klingt wie ein Laser-Maschinengewehr in einem Computerspiel, das einen besonders scheusslichen Ork töten soll. Oder die roten Postkaesten. Oder die Computertastatur, auf der es ü und ö gibt, aber keinen a-Umlaut, dafür ł und Ł, obwohl die Ungarn das nicht brauchen. Oder der kurze Ausflug in die Markthalle, wo es so wahnsinnig gut duftet nach Gemüse, Gewürzen, frischem Fleisch und ganz viel Knoblauch und Paprika. Diese Kleinigkeiten werden sich noch weiter zu einem Ungarn-Gesamteindruck zusammenfügen. Denn noch ist ja Ungarn nicht abgeschrieben: Morgen geht es erstmal nach Kecskemet, und dann nach Pecs und an den Balaton. Ich hoffe zum Beispiel noch auf ein zünftiges Gulas und auf den ersten Titel in meinem Lieder-Repertoire, das ich mitbringen soll. Da gibt es noch viel zu tun. Also: Szia!

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