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Brückenschläge und Schlagworte

Istanbul

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Istanbul und ich, das ist die ganz grosse Liebe.
Bayrampaşa

Im Bus ueberfaellt mich kurz die Angst vor der eigenen Courage. Bin ich denn des Wahnsinns, alleine in eine der grössten Staedte der Welt zu fahren ohne auch nur einen Stadtplan im Gepaeck? Ich hab ja keine Ahnung von Istanbul. Ich hab ja noch nicht mal Orhan Pamuk gelesen. Vielleicht ist so ein bisschen Ehrfurcht ganz gut. Ich steige in Bayrampaşa aus und tue mich mit einem schwedischen Paerchen aus dem Bus zusammen, um den Weg in die Stadt zu finden. Wir werden in den kommenden Tagen noch viel zusammen die Stadt erkunden.

Eminönü

Überall ist Wasser. Alles ist blau und golden. Moscheen thronen stolz und maechtig am Ufer. Ein westlicher Orientalismus schlaegt in mir durch und vielleicht verklaere ich diese Aesthetik, aber ich kann mir nicht helfen: Ich finde es bezaubernd. Wir gehen frühstücken auf der Galata-Brücke – der Brücke vom Goldenen Horn, vom Haliç. Der Kellner hat fuenf Jahre in Radolfzell am Bodensee gearbeitet, spricht hervorragendes Deutsch und schenkt uns bunt bemalte Untertassen. Der tuerkische Joghurt mit Honig schmeckt nach Sommerurlaub.

Bosporus

Der Wind weht uns auf dem Schiff um die Nase und die Sonne strahlt genauso wie wir drei. Am Ufer eroeffnen sich immer neue wunderbare Aussichten. Ich kann noch keines der Gebaeude zuordnen. Ich trete der Stadt voellig unbefangen gegenueber – vielleicht trifft mich genau deswegen jeder neue Blickwinkel ins Herz. Mein Kopf wird frei auf den gruenblauen Wellen des Bosporus. Europa und Asien, Moderne und Geschichte, ich fuehle mich im Herzen einer riesigen Metropole aus Gegensaetzen, die europaeischen Lebensstil und mitteloestliche Lebensfreude zu einer einzigartigen Synthese bringt.

Sultanahmet

Der Weg fuehrt durch den Gülhane-Park am Topkapı-Palast vorbei zur Ayasofia. Buntes Treiben auf den Strassen, Touristen werden sofort als solche erkannt. „Hey Lady! Lady!“ rufen uns die Strassenverkaeufer zu, um uns was auch immer zu verkaufen – Kebab, Orangensaft, Schmuck, Teppiche. Am Orangensaft kommen wir nicht vorbei, er wird vor unseren Augen frisch gepresst und schmeckt so suess und fruchtig, dass ich mir kaum vorstellen kann, jemals wieder Saft aus einem Tetrapack zu trinken. Wir lernen einen sechzigjaehrigen Goldschmied kennen, der seinen Çay neben uns trinkt. Er teilt tausend Lebensweisheiten mit uns – manche sind gut, manche sind weniger gut.

Taksim Meydanı

Ich treffe Emre, meinen Couchsurfing-Gastgeber, abends am Taksim Meydanı. Ich bin frueh dran und gebe meinen touristischen Beduerfnissen nach: Venti Iced latte bei Starbucks. Chaotischer Verkehr, ausschliesslich junge Leute, eine ueberdimensionale tuerkische Flagge, feine Hotels, Dürüm-Staende. Das geballte Leben am Kreisverkehr vor der Metrostation. Alles ist schnell und energiegeladen, aber das Gefuehl von Stress will sich nicht einstellen. Emre und ich laufen zu seiner Wohnung in einer Sackgasse. Ploetzlich ist alles ruhig. Dutzende von streunenden Katzen spielen auf der laecherlich steil abfallenden Strasse. Das Leben von Taksim tobt nur ein paar Blocks weiter. Ich fuehle mich hier sofort wohl. Fuenf Tage spaeter, wenn ich von dort zu meinem Shuttlebus nach Bayrampaşa laufen werde, werde ich mich fuehlen als haette ich hier gelebt und es nicht nur besucht.

Fındıklı

Fındıklı ist die Metrostation, die man erreicht, wenn man von Emres Wohnung immer bergab zum Wasser laeuft. Ich fruehstuecke am Ufer Starbucks-Kaffee und Börek. Bosnien hat sicher den besten Burek auf dem Balkan, aber die Tuerkei ist das Mutterland des Börek. Der Blick auf den Bosporus – unbeschreiblich. Ein Spielplatz mit laermenden Kindern nebenan zaubert mir ein Laecheln auf’s Gesicht. Ich lege es die gesamte Zeit in Istanbul nicht ab.

Gülhane Parkı

Der Rosenhaus-Park, so die deutsche Uebersetzung, am Topkapı Sarayı ist eine Oase der Ruhe in dieser riesigen Metropole. Er ist gruen und bunt und laedt zum Entspannen ein. Ich sitze auf einer Bank, hinter mir spielen zwei Jungs Gitarre. Ich ziehe auf den Rasen um und warte, dass sie etwas spielen, das ich kenne. Da: „Wonderwall“. Ich fange an zu singen. Sie winken mich zu sich rueber und wir machen gemeinsam Musik und unterhalten uns nett. Die zwei kommen aus Libanon. Es ist so einfach, hier Menschen kennen zu lernen! Es faengt an heftig zu regnen. Ich suche Schutz unter einem Baum. Eine Baby-Katze versteckt sich unter meinem bodenlangen Rock.

Sultanahmet Camii

Laute Geschaeftigtkeit herrscht in der Blauen Moschee. Die Schuhe muessen wir ausziehen, aber das Kopftuch ist im Besucherbereich nicht notwendig. Kinder rennen und spielen auf dem weichen Teppich. Ueberalle sitzen Menschen im Schneidersitz auf dem Fussboden, Touristen lesen sich gegenseitig aus Reisefuehrern vor, das Klicken der Kameras reisst nicht ab. Es ist trotz allem ein spiritueller Ort. Die Glaeubigen beten dort nur mitten im Leben und nicht in der stillen Abgeschiedenheit. Ich empfinde Moscheen als so viel einladender als christliche Kirchen, die haeufig einschuechtern mit ihrer unsubtilen Demonstration von Macht und Groesse. Ich denke an den Petersdom in Rom. Ich assoziiere: gross und eindrucksvoll. Ich denke an die Blaue Moschee. Ich assoziiere: warm und lebendig.

Taksim I

Taksim, oh, Taksim. Ich habe mein Herz an Taksim verloren. Das Leben ist hier dichter als an anderen Orten. Emre und ich essen in einem einfachen kleinen Lokal. Wir suchen uns den Fisch im Fenster selbst aus. Dazu Salat und zum Nachtisch Wassermelone. Alles ist hier geschmacksintensiv und frisch. Anschliessend laufen wir durch die verschlungenen kleinen Strassen mit Kopfsteinpflaster und tausend Strassencafes. Wir trinken Bier in einer Kneipe, in der ausschliesslich gute Musik laeuft. Es gibt tausend Dinge zu sehen und alles scheint sich staendig zu veraendern, ohne dass es unangenehm unruhig waere. Bunte Lichter an alten Haeusern. Zigarettenrauch und Dürüm-Duft in der Luft. Menschen, die sich zufaellig treffen und mit einer Herzlichkeit begruessen, die mich anruehrt. Der Ort sprueht vor einer Energie, die ansteckend ist. Das Glueck kommt ueber mich wie eine Welle.

Kadıköy

Von Beşkitaş bringt die Faehre uns nach Kadıköy auf der asiatischen Seite Istanbuls. Am Haydarpaşa Bahnhof, von dem aus traditionell die Hajj nach Mekka beginnt, laufen wir langsam in den Hafen ein. Wir trinken tuerkischen Kaffee am Ufer des Bosporus und geniessen die entspannte Atmosphaere. Es fuehlt sich nicht sehr anders an auf diesem neuen Kontinent. Aber ein bisschen. Ich kann nicht beschreiben, warum. Ueber Europa zieht ein Gewitter herauf. Ein wahnsinniger weiter Himmel spannt sich ueber uns. Dass diese Stadt so gross ist und man trotzdem immer so viel Himmel sieht!

Ayasofia
Ayasofia, die beruehmte. Ein historischer Platz. Wunderschoen. Unfassbar. Mich macht er vor allem traurig. Wieder denke ich an Rom, diesmal an die Sixtinische Kapelle. Meine Gastmama hat darueber gesagt: „It was like a mall in there.“ Ayasofia ist kein spiritueller Ort mehr. Es ist jetzt nur noch ein Museum. Nur noch? Vielleicht ist das der einzige Weg, dieses unvergleichliche Bauwerk zu schuetzen vor den Klauen der Geschichte, vor dem Zahn der Zeit. Es faellt mir schwer, Ayasofia nicht als geweihten Ort zu begreifen, sondern als ein touristisches Objekt. Ich kann sie nicht richtig spueren. Sie bleibt trotz ihrer Schoenheit ein wenig seelenlos.

Topkapı Sarayı

Ich fuehle mich wie in den Gaerten von Alamut. Wieder denke ich, dass meine westliche Erziehung vermutlich den orientalischen Stil zu einem maerchenhaften Wunder. Ob ein Tuerke Topkapı wohl so empfindet wie ich etwa Sanssouci? Und wie empfindet ein Tuerke dann Sanssouci? Ich verliere mich in den verschiedenen Palastgebaeuden und den endlosen Gartenanlagen. In einem Raum singt ein junger Mann aus dem Koran. Ich stehe zwanzig Minuten und hoere ihm zu, waehrend die Touristen an mir vorbeirauschen, nicht rechts oder links schauend. Koennen sie den Zauber dieser Musik nicht fuehlen?

Ortaköy

„It has to be night,“ sagt Emre, als wir uns gegen 8 auf den Weg nach Ortaköy machen. Wir kaufen Kumpir und setzen uns ans Wasser. Boğaziçi Köprüsü, die erste Bosporus-Bruecke, wird in allen Regenbogenfarben angestrahlt. Blauer Nachthimmel scheint durch eine lose Wolkendecke. Ortaköy Camii, die Moschee, liegt stolz und ruhig hinter uns. Das Leben summt um uns wie in einem Bienenstock. Der Bosporus schlaegt leicht Wellen, aber das Wasser kraeuselt sich nicht so sehr, dass es dumpf wird, sondern es glaenzt wie ein Zerrspiegel. Die bunten Lichter werden zurueckgeworfen in die Nachtluft. Die Stadt hat alles zu bieten, aber sie hat nichts noetig. Ihr groesstes Geschenk fuer den geneigten Besucher ist, dass er hier einfach sein kann.

Taksim II

Auch tagsueber verliert Taksim nichts von seiner Anziehungskraft. Ich kaufe mir einen Ring. Ich moechte die Stadt am Finger tragen. In der langen Fussgaengerzone, İstiklâl Caddesi, spielen alle paar Meter Strassenkuenstler Musik von voellig unterschiedlichem Stil und Klang, alle paar Meter aendert sich die Atmosphaere. Emre und ich rauchen Nargile (Shisha), essen Dürüm (Kebab im Wrap), trinken Ayran (Joghurt) und spielen Tavla (Backgammon). Wir sitzen in einem Hinterhof, in dem Menschen bei Çay oder Kaffee zusammensitzen und antiquarische Buecher verkauft werden. Wir schauen einfach nur zu. Noch nie ist es mir in einer wirklich grossen Stadt so leicht gefallen, zur Ruhe zu kommen.

Haliç

Der Shuttlebus von Taksim nach Bayrampaşa faehrt am gesamten Suedufer des Goldenen Horns entlang. Ich blicke noch einmal hinueber nach Beyoğlu. Am Horizont ueber Istanbul geht ein roter Mond auf. Ich verlasse die Stadt sehr wehmuetig. Es waere nicht auszuhalten, wenn ich nicht das sichere Wissen im Herzen truege, dass ich wiederkommen werde, wann auch immer.

6 Kommentare

  1. oh mariella…man spürt die liebe in deinen worten!!!

  2. Wow, das hat mich berührt! Ich bin durch deinen Text gerauscht… Bisher habe ich bei deinen Orten gedacht: Klingt nett, könnte man mal hin. Aber hier MUSS ich wohl mal hin. Du hast es fantastisch geschrieben, danke für diesen Blog!

  3. achja, das ist was ich hier so vermisse… 🙂 danke, dass du es mir mit deiner so wundervollen Bechreibung ins Wohnzimmer gebracht hast…

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