Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal mit dem Zug gefahren bin, ich glaube es war zwischen Sarajevo und Mostar. Zwischen Plovdiv und Stara Zagora faehrt ein alter deutscher Regionalexpress. Es ist immer wieder seltsam, in einem fremden Land in einem Zug, Bus oder einer Strassenbahn aus Deutschland zu sitzen. Meistens sind die Schildchen – „Nicht aus dem Fenster lehnen“, „Notbremse nur im Notfall benutzen“, „Waehrend der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen“- unuebersetzt oder nur provisorisch mit bedruckten Aufklebern ueberklebt.
Wie wir es aus dem Regionalexpress von jeher kennen, gibt es auch hier nicht ausreichend Platz fuer Gepaeck. Mein Rucksack ist staendig im Weg und faellt auch immer um. Mein Sitznachbar fragt mich schliesslich „Na gore?“- „Nach oben?“ und zeigt auf ein Gepaecknetz, und ich nicke engagiert. Er guckt verwirrt. „Ne?“- „Nein?“ Ach du meine Guete, das geht hier ja andersrum mit dem Kopfschuetteln und dem Nicken! Ich sage schnell: „Da, da!“ und nicke wieder – ach nein, wieder falsch! und wechsele dann zum Kopfschuetteln. Ich glaube der arme Mann haelt mich fuer ein wenig seltsam, aber mein Rucksack landet schliesslich auf der Ablage. In Stara Zagora muss ich umsteigen, die Zeit ist knapp, ich laufe auf das zweite Gleis und frage einen Schaffner, der da neben dem Zug sitzt: „Veliko Tarnovo?“ Er schuettelt den Kopf und sagt „Tarnovo, da!“ Gott sei Dank ergaenzt er die Geste um die Worte, auf die ich mich immerhin verlassen kann, sonst waere ich sicherlich endgueltig verwirrt am Bahnsteig stehen geblieben.

Veliko Tarnovo ist heiss. Jeder andere Eindruck verschwindet zunaechst hinter den Temparaturen, es sind wohl an die 40 Grad. Trotzdem mache ich mich nachmittags auf, um auf die Festung Tsaravets zu klettern. Sie ist riesig und ausgesprochen gut erhalten.

Am hoechsten Punkt steht eine Kirche, die mich schwer beeindruckt. Sie ist mit Fresken aus den 1980er Jahren geschmueckt. Ich tue mich sonst so schwer mit moderner Kunst, aber die Waende hier sprechen mich wirklich an. Neben christlichen Motiven finden sich wohl auch Bezuege zur bulgarischen Geschichte. Ich kenne mich leider viel zu wenig aus um irgendetwas zuordnen zu koennen, aber das ist nicht so schlimm. Die Figuren sprechen ihre eigene Sprache, mit der sie Leid und Triumph zum Ausdruck bringen. Abends gibt es im Hostel das Fussballspiel gegen Australien. Ich gehe nach dem 4:0 ausgesprochen gutgelaunt zu Bett.
Am naechsten Tag organisiert das Hostel einen kleinen Trip zu einem nahen Kloster, wo wir versuchen, Fresken bestimmten biblischen Geschichten oder mythologischen Figuren zuzuordnen und schliesslich dahinterkommen, dass das grosse Bild an der Klosterwand den Wechsel der Jahreszeiten darstellt. Alles ist hier von aussen ein bisschen heruntergekommen, aber das Innere der Klosterkirche strahlt im ganzen traditionellen Glanz. Anschliessend fahren wir zum Hotnica-Wasserfall. Wir schwimmen im gruenen Wasser des Flusses und springen die zwei oder drei Meter den Wasserfall hinunter. Eine herrliche Erfrischung!

Ich mache mich zwei Tage spaeter fast etwas wehmuetig auf nach Varna – obwohl oder gerade weil ich in Veliko Tarnovo noch lange nicht alles gesehen habe, hat es mir dort ausgesprochen gut gefallen und ich haette noch viel mehr Zeit dort verbringen koennen. Die Kueste lockt jedoch mit ihren etwas kuehleren Temparaturen. Meine Gastgeberin Boyana kommt mich in Varna vom Bus abholen und wir laufen zu ihrem am Rande des Zentrums gelegenen Appartment, das sie mit ihrem Freund Niki teilt. Vom Balkon aus sehe ich schon das Schwarze Meer, da haelt es mich nicht mehr und ich laufe gleich in die Stadt. Ich bin erstaunt ueber die Schoenheit des Zentrums. Es erinnert mich stark an Opatija in Kroatien und hat viel von oesterreich-ungarischem Kurort-Pomp – wie kann das sein? Die Bulgaren haben das von osmanischer Architektur gepraegte Zentrum Ende des 19. Jahrhunderts nach westlichem Vorbild umgebaut – alles fuer die Distanzierung vom „Joch der tuerkischen Herrschaft“. Niki spricht, vielleicht in Ermangelung besserer Englischkenntnisse, sogar von „Slavery“, wenn es um die tuerkische bestimmte Vergangenheit Bulgariens geht.
Und schliesslich erreiche ich durch den Primorski Park, den Park am Meer, den Stadtstrand von Varna und sitze am Ufer des Schwarzen Meeres. Es ist graugruener als das Mittelmeer und mir dadurch sehr vertraut. Wild, aber bestaendig. Aus irgendeinem Grund ist mir seine Endlichkeit sehr bewusst. Am Ufer von Ostsee und Mittelmeer erscheint mir der Horizont in aller Regel unbeschreiblich weit, als kaeme niemals Land dahinter. Hier denke ich unmittelbar daran, dass auf der anderen Seite des Meeres Asien liegt und die Weiten Russlands. Es weht ein leichter Wind, der mir den Kopf frei macht. Das Mittelmeer ist wunderbar, es ist ein Urlaubsmeer zum Schwimmen und Strandliegen. Das Schwarze Meer, wie meine geliebte Ostsee, ist zum Spazierengehen und Horizontgucken. Es bringt mich anders zur Ruhe.

Am naechsten Tag verbringe ich den Morgen am Strand und nachmittags gucken Boyana, Niki und ich das Spiel gegen Serbien, naja, reden wir nicht weiter darueber. Niki geht anschliessend mit mir an den Hafen. Er erklaert mir viel bulgarische Geschichte und wir schauen den Segelschiffen zu, die mit bunten Spinnaker in den Hafen einlaufen.

Die naechste Station heisst Burgas. Es ist eın beschauliches Staedtchen mit Kuestenflair, in dem ich zwei ruhige Tage mit viel Fussball und guten Gespraechen mit meiner Gastgeberin Dora und ihrer Cousine Galina verbringe. Von dort bin ich heute nacht nach Istanbul gereist, das einen eigenen Blog verdient. Es ist bislang noch unbeschreiblich. Mein Bild muss sich erst noch festigen. Soviel vorweg: Ich finde es phantastisch.