Mein Mann hat heute Geburtstag. Gestern abend wollte ich ihm einen Marmorkuchen backen. Ich habe seit Jahren keinen Marmorkuchen gebacken, aber ich weiß, dass er den lieber isst als meinen Standard-Apfelkuchen mit Streusseln. Von dem Apfelkuchen habe ich Mamis Rezept. Ich backe ihn zwar ein winziges bisschen anders, aber es ist Mamis Rezept. Von ihrem Marmorkuchen habe ich kein Rezept. Dabei gab es den früher immer als Geburtstagskuchen, aus der Gugelhupform. Mit Smarties drauf und einer Kerze in der Mitte.

Ich habe dann gestern abend überlegt, ein Rezept auf Chefkoch zu suchen. Aber Mami hat ja auch ohne Chefkoch gebacken. Also habe ich mein Backbuch konsultiert. Ein altes, schweres, das ich mir mal gewünscht habe, weil eine Freundin darauf schwor. Das Rezept ist anders als das von Mami, soviel erinnere ich mich. Für den Rührteig soll ich die Eier trennen, das Eiweiß aufschlagen und unterheben. Und Milch ist auch nicht drin. Bei Mami war definitiv Milch drin. Aber ich probier das jetzt.

Der helle Teig fällt behäbig in die gebutterte, mit Mehl ausgestäubte Kuchenform. Ich erinnere mich, wie ich mir, zehn- oder elfjährg, von Mami zeigen ließ, was es bedeutet, dass der Teig „schwer reißend von Löffel fallen“ soll. Ich hatte Zutaten zusammengerührt und zeigte ihr die Schüssel. „So?“ fragte ich. Sie nahm die Rührhaken hoch, der Teig kleckste schwerfällig in die Schüssel. Dann warf sie das Handrührgerät an, rührte noch zweimal um. „So ist gut,“ sagte sie. Ich ärgerte mich. Weil ihr nochmaliges Zweimal-Umrühren ja gar nichts an der Konsistenz verändert hatte. Als hätte ich das mit dem Teig nicht auch ohne ihr nochmaliges Zweimal-Umrühren richtig gemacht.

Ich rühre den Backkakao unter den hellen Teig. Er färbt sich dunkel ein. Zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich wieder Lust, eine Teigschüssel auszuschlecken. Aber erst muss der dunkle Teig auf den hellen und dann mit einer Gabel durchgezogen werden, damit der Kuchen auch marmoriert ist und nicht nur geschichtet. Das fand ich früher besonders faszinierend. Ich stelle den Kuchen in den Ofen und widme mich der Schüssel. Mit dem Finger Teig naschen. Es knirscht mehr als früher, weil ich braunen Zucker verwende, der ein bisschen grobkörnig ist, und nicht den weißen Industriezucker.

Später hole ich den Kuchen aus dem Ofen und lasse ihn auskühlen. Dann will ich ihn stürzen. Er hängt fest. Ich lockere mit einem Messer den Rand. Er will immer noch nicht. Ich ruckle ein bisschen, da kommt der Kuchen aus der Form. Der halbe Kuchen. Die andere Hälfte ist steckengeblieben. Tja nun. Mein Mann wird einen etwas originell aussehenden Geburtstagskuchen haben. Einen halben. Aber Kerzen draufstecken kann man ja trotzdem. Ich probiere von dem Rest in der Form. Der Kuchen schmeckt, aber er schmeckt ganz anders als bei Mami. Ich muss dringend dieses Rezept suchen.

Nachdem ich den Kuchen auf dem Geburtstagstisch deponiert und meinem Mann untersagt habe, das Geburtstagszimmer zu betreten (weil *ich* eine furchtbare Freude an Geburtstagsheimlichkeiten habe – ihm ist das alles gar nicht so wichtig), packe ich noch Geschenke ein. Eigentlich gibt es nur eine winzige Überraschung, den Rest weiß er schon. Ich packe trotzdem alles ein. Am Geburtstag muss man etwas zum Auspacken haben. Als ich meinen Führerschein zum 18. Geburtstag bekam, hat Mami mir mein Duschgel, Deo, Ohrenstäbchen, Wattepads und eine Menge einzelne Packungen Taschentücher in Geschenkpapier verpackt. Es waren insgesamt 18 Päckchen und in einem war der Gutschein für den Führerschein.

Weil das Tesafilm drüben ist und ich nicht nochmal hin und her rennen will, kriegen die Konzertkarten nur eine überdimensionale Schleife. Aber das Buch packe ich richtig ein. Ohne Tesafilm. OHNE TESAFILM! Ich bin völlig beeindruckt von meiner immensen praktischen Fähigkeit, es hält, nur Papier und Schleife! Mami hat früher unsere Geschenke immer ohne Tesafilm eingepackt, zum Geburtstag und zu Weihnachten. Nach dem Auspacken hat sie das Geschenkpapier gebügelt, ordentlich zusammengelegt und beim nächsten Anlass wiederverwendet. Nachkriegskind. Ich wünschte, ich könnte sie anrufen und ihr von meinem Triumph erzählen.

Mami, ich hab gestern ein Geschenk eingepackt. OHNE TESAFILM! Aber der Marmorkuchen hat nicht geklappt. Gib mir doch bitte mal dein Rezept.